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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

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zustrecken. Auf der andern Seite verstand es sich ganz von selbst, die Rücksicht gegen meine gütige Wirtin nie aus den Augen zu verlieren. Der schmale Fußpfad zwischen der Aufrechthaltung eines würdigen Selbstgefühles und der unveränderlichen Ehrerbietung vor dem Genius des Hauses schien mir nicht leicht inne zu halten, doch vertraute ich auf meinen guten Willen und ein wenig auf mein gutes Glück. Als ich über meine neue Lage an Paul berichtete, fand ich keinen andern Ausdruck als den Malvolios: some have greatness thrust upon them!

Paris zählte im Jahre 1820 bereits 800,000 Einwohner, und machte an den meisten Stellen den Eindruck eines Ameisenhaufens. Die engen schmutzigen Straßen von fünf- und sechsstöckigen Häusern eingefaßt, wimmelten von Menschen und gestatteten kaum das Ausweichen von zwei Wagen, wobei denn die Fußgänger sich in die nächsten Hausthüren flüchten mußten. Bürgersteige gab es nur auf den Boulevards und in der breiten Rue de la Paix, in allen übrigen Straßen bildete das gegen die Mitte geneigte Pflaster eine flache Rinne, die bei Regenwetter schwer zu überhüpfen war. Die Omnibus waren noch nicht erfunden, man bediente sich der Cabriolets mit einem Pferde, und der Fiacres mit zwei Pferden.

Die Herzogin wohnte im vornehmsten Theile der Stadt, im Fauboiurg Saint Germain in der Rue Saint Dominique. Betrat man diese Straße von der Seite des großen Hotel des Invalides, so schien sie ganz verlassen. Man wandelte zwischen langen, hohen, zuweilen von Bäumen überragten Backsteinmauem, in denen man nur große geschlossene Thorwege und kleine Gitterthüren bemerkte. Drückte man auf einen neben dem Fenster des Portiers

zustrecken. Auf der andern Seite verstand es sich ganz von selbst, die Rücksicht gegen meine gütige Wirtin nie aus den Augen zu verlieren. Der schmale Fußpfad zwischen der Aufrechthaltung eines würdigen Selbstgefühles und der unveränderlichen Ehrerbietung vor dem Genius des Hauses schien mir nicht leicht inne zu halten, doch vertraute ich auf meinen guten Willen und ein wenig auf mein gutes Glück. Als ich über meine neue Lage an Paul berichtete, fand ich keinen andern Ausdruck als den Malvolios: some have greatness thrust upon them!

Paris zählte im Jahre 1820 bereits 800,000 Einwohner, und machte an den meisten Stellen den Eindruck eines Ameisenhaufens. Die engen schmutzigen Straßen von fünf- und sechsstöckigen Häusern eingefaßt, wimmelten von Menschen und gestatteten kaum das Ausweichen von zwei Wagen, wobei denn die Fußgänger sich in die nächsten Hausthüren flüchten mußten. Bürgersteige gab es nur auf den Boulevards und in der breiten Rue de la Paix, in allen übrigen Straßen bildete das gegen die Mitte geneigte Pflaster eine flache Rinne, die bei Regenwetter schwer zu überhüpfen war. Die Omnibus waren noch nicht erfunden, man bediente sich der Cabriolets mit einem Pferde, und der Fiacres mit zwei Pferden.

Die Herzogin wohnte im vornehmsten Theile der Stadt, im Fauboiurg Saint Germain in der Rue Saint Dominique. Betrat man diese Straße von der Seite des großen Hotel des Invalides, so schien sie ganz verlassen. Man wandelte zwischen langen, hohen, zuweilen von Bäumen überragten Backsteinmauem, in denen man nur große geschlossene Thorwege und kleine Gitterthüren bemerkte. Drückte man auf einen neben dem Fenster des Portiers

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[413/0421] zustrecken. Auf der andern Seite verstand es sich ganz von selbst, die Rücksicht gegen meine gütige Wirtin nie aus den Augen zu verlieren. Der schmale Fußpfad zwischen der Aufrechthaltung eines würdigen Selbstgefühles und der unveränderlichen Ehrerbietung vor dem Genius des Hauses schien mir nicht leicht inne zu halten, doch vertraute ich auf meinen guten Willen und ein wenig auf mein gutes Glück. Als ich über meine neue Lage an Paul berichtete, fand ich keinen andern Ausdruck als den Malvolios: some have greatness thrust upon them! Paris zählte im Jahre 1820 bereits 800,000 Einwohner, und machte an den meisten Stellen den Eindruck eines Ameisenhaufens. Die engen schmutzigen Straßen von fünf- und sechsstöckigen Häusern eingefaßt, wimmelten von Menschen und gestatteten kaum das Ausweichen von zwei Wagen, wobei denn die Fußgänger sich in die nächsten Hausthüren flüchten mußten. Bürgersteige gab es nur auf den Boulevards und in der breiten Rue de la Paix, in allen übrigen Straßen bildete das gegen die Mitte geneigte Pflaster eine flache Rinne, die bei Regenwetter schwer zu überhüpfen war. Die Omnibus waren noch nicht erfunden, man bediente sich der Cabriolets mit einem Pferde, und der Fiacres mit zwei Pferden. Die Herzogin wohnte im vornehmsten Theile der Stadt, im Fauboiurg Saint Germain in der Rue Saint Dominique. Betrat man diese Straße von der Seite des großen Hotel des Invalides, so schien sie ganz verlassen. Man wandelte zwischen langen, hohen, zuweilen von Bäumen überragten Backsteinmauem, in denen man nur große geschlossene Thorwege und kleine Gitterthüren bemerkte. Drückte man auf einen neben dem Fenster des Portiers

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 413. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/421>, abgerufen am 24.11.2024.