Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].Die schönen Gypsabgüsse nach Antiken in der münchner Kunstakademie besuchten wir mehr als einmal, und genossen hier den reinen Anblick so mancher Göttergestalt, die uns aus der Mengsischen Samlung als beschmutzt vorschwebte. Auch vieles neue trat hinzu. Der Herkules Farnese und die Flora von Versailles standen als das kolossalste Paar nicht weit von einander. Heß begeisterte sich vorzüglich für einen Pallaskopf vom Vatikan; er fand darin den Ausdruck der vollkommensten weiblichen Selbstlosigkeit, eine Abnegation jedes sinnlichen Bewußtseins, eine potenzirte Kälte der Empfindung, wie sie nur bei der jungfräulichen Minerva gedacht werden könne. Wir kamen auch angesichts der vielen blendend weißen Gypsmassen auf die Frage der Polychromie, die später so ausführlich behandelt ward; ich hielt eine mäßige Buntheit für erlaubt, wenngleich ihre konsequente und künstlerische Anwendung mir nicht deutlich war, Heß dagegen bestand für die Skulptur auf der Abstraction von aller Farbe; seinen geliebten Pallaskopf wollte er sich durch keinen bunten Helm verderben lassen: denn der Helm würde die Färbung des Haares nach sich ziehn, das Haar fordere die Andeutung der Augen, Wangen, Lippen, und so würden wir schließlich bei den widerwärtigen, das Leben lügenden Wachsfiguren anlangen. Ein schöner Abguß des Apollo vom Belvedere stand auf einer Drehscheibe und ward von allen Seiten betrachtet. Bei einer bestimmten Wendung erhielt der Kopf von dem hoch einfallenden Lichte einen merkwürdig zornigen, fast häslichen Ausdruck, der uns allen auffiel; Paul erinnerte sich aus Creuzers Kollegium, daß man behauptet habe, der Apollo sehe dem Nero ähnlich, der nach seinem Muttermorde die Statue des Die schönen Gypsabgüsse nach Antiken in der münchner Kunstakademie besuchten wir mehr als einmal, und genossen hier den reinen Anblick so mancher Göttergestalt, die uns aus der Mengsischen Samlung als beschmutzt vorschwebte. Auch vieles neue trat hinzu. Der Herkules Farnese und die Flora von Versailles standen als das kolossalste Paar nicht weit von einander. Heß begeisterte sich vorzüglich für einen Pallaskopf vom Vatikan; er fand darin den Ausdruck der vollkommensten weiblichen Selbstlosigkeit, eine Abnegation jedes sinnlichen Bewußtseins, eine potenzirte Kälte der Empfindung, wie sie nur bei der jungfräulichen Minerva gedacht werden könne. Wir kamen auch angesichts der vielen blendend weißen Gypsmassen auf die Frage der Polychromie, die später so ausführlich behandelt ward; ich hielt eine mäßige Buntheit für erlaubt, wenngleich ihre konsequente und künstlerische Anwendung mir nicht deutlich war, Heß dagegen bestand für die Skulptur auf der Abstraction von aller Farbe; seinen geliebten Pallaskopf wollte er sich durch keinen bunten Helm verderben lassen: denn der Helm würde die Färbung des Haares nach sich ziehn, das Haar fordere die Andeutung der Augen, Wangen, Lippen, und so würden wir schließlich bei den widerwärtigen, das Leben lügenden Wachsfiguren anlangen. Ein schöner Abguß des Apollo vom Belvedere stand auf einer Drehscheibe und ward von allen Seiten betrachtet. Bei einer bestimmten Wendung erhielt der Kopf von dem hoch einfallenden Lichte einen merkwürdig zornigen, fast häslichen Ausdruck, der uns allen auffiel; Paul erinnerte sich aus Creuzers Kollegium, daß man behauptet habe, der Apollo sehe dem Nero ähnlich, der nach seinem Muttermorde die Statue des <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p> <pb facs="#f0359" n="351"/> </p><lb/> <p>Die schönen Gypsabgüsse nach Antiken in der münchner Kunstakademie besuchten wir mehr als einmal, und genossen hier den reinen Anblick so mancher Göttergestalt, die uns aus der Mengsischen Samlung als beschmutzt vorschwebte. Auch vieles neue trat hinzu. Der Herkules Farnese und die Flora von Versailles standen als das kolossalste Paar nicht weit von einander. Heß begeisterte sich vorzüglich für einen Pallaskopf vom Vatikan; er fand darin den Ausdruck der vollkommensten weiblichen Selbstlosigkeit, eine Abnegation jedes sinnlichen Bewußtseins, eine potenzirte Kälte der Empfindung, wie sie nur bei der jungfräulichen Minerva gedacht werden könne. Wir kamen auch angesichts der vielen blendend weißen Gypsmassen auf die Frage der Polychromie, die später so ausführlich behandelt ward; ich hielt eine mäßige Buntheit für erlaubt, wenngleich ihre konsequente und künstlerische Anwendung mir nicht deutlich war, Heß dagegen bestand für die Skulptur auf der Abstraction von aller Farbe; seinen geliebten Pallaskopf wollte er sich durch keinen bunten Helm verderben lassen: denn der Helm würde die Färbung des Haares nach sich ziehn, das Haar fordere die Andeutung der Augen, Wangen, Lippen, und so würden wir schließlich bei den widerwärtigen, das Leben lügenden Wachsfiguren anlangen. Ein schöner Abguß des Apollo vom Belvedere stand auf einer Drehscheibe und ward von allen Seiten betrachtet. Bei einer bestimmten Wendung erhielt der Kopf von dem hoch einfallenden Lichte einen merkwürdig zornigen, fast häslichen Ausdruck, der uns allen auffiel; Paul erinnerte sich aus Creuzers Kollegium, daß man behauptet habe, der Apollo sehe dem Nero ähnlich, der nach seinem Muttermorde die Statue des </p> </div> </body> </text> </TEI> [351/0359]
Die schönen Gypsabgüsse nach Antiken in der münchner Kunstakademie besuchten wir mehr als einmal, und genossen hier den reinen Anblick so mancher Göttergestalt, die uns aus der Mengsischen Samlung als beschmutzt vorschwebte. Auch vieles neue trat hinzu. Der Herkules Farnese und die Flora von Versailles standen als das kolossalste Paar nicht weit von einander. Heß begeisterte sich vorzüglich für einen Pallaskopf vom Vatikan; er fand darin den Ausdruck der vollkommensten weiblichen Selbstlosigkeit, eine Abnegation jedes sinnlichen Bewußtseins, eine potenzirte Kälte der Empfindung, wie sie nur bei der jungfräulichen Minerva gedacht werden könne. Wir kamen auch angesichts der vielen blendend weißen Gypsmassen auf die Frage der Polychromie, die später so ausführlich behandelt ward; ich hielt eine mäßige Buntheit für erlaubt, wenngleich ihre konsequente und künstlerische Anwendung mir nicht deutlich war, Heß dagegen bestand für die Skulptur auf der Abstraction von aller Farbe; seinen geliebten Pallaskopf wollte er sich durch keinen bunten Helm verderben lassen: denn der Helm würde die Färbung des Haares nach sich ziehn, das Haar fordere die Andeutung der Augen, Wangen, Lippen, und so würden wir schließlich bei den widerwärtigen, das Leben lügenden Wachsfiguren anlangen. Ein schöner Abguß des Apollo vom Belvedere stand auf einer Drehscheibe und ward von allen Seiten betrachtet. Bei einer bestimmten Wendung erhielt der Kopf von dem hoch einfallenden Lichte einen merkwürdig zornigen, fast häslichen Ausdruck, der uns allen auffiel; Paul erinnerte sich aus Creuzers Kollegium, daß man behauptet habe, der Apollo sehe dem Nero ähnlich, der nach seinem Muttermorde die Statue des
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