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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

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Wie oft wünschten wir unsere kleineren Versamlungen in der Brüderstraße zurück! Doch gewährten uns die Abende im kurländischen Hause die schönsten musikalischen Genüsse. Mehrere durchreisende Klaviervirtuosen fanden hier die beste Gelegenheit, sich einer gewählten Gesellschaft durch ihr Spiel bekannt zu machen, ehe sie mit der Ankündigung ihrer öffentlichen Konzerte vor das Publikum traten. Ausgezeichnete Gesangtalente rechneten es sich zur Ehre, in diesem Kreise sich hören zu lassen. Die ausführenden Musiker merkten gar bald, daß der edlen Wirtin kein größerer Gefallen geschehn könne, als durch den Vortrag eines Stückes aus Himmels Kompositionen zur Urania. Die Züge der hohen Frau erheiterten sich, sobald es am Klavier ertönte: Mir auch war ein Leben aufgegangen, oder: Heil'ge Nacht, du führest deine Globen. Diese Lieder hörten wir nach und nach von den verschiedensten Stimmen und mit sehr wechselndem Ausdrucke: wir konnten uns überzeugen, daß die Weichheit der musikalischen Modulationen mit dem dämmerhaften Karakter des Gedichtes im besten Einklang stehe. Sehr gespannt waren wir, als es hieß, Himmel selbst werde erscheinen, und etwas von seinen Sachen vortragen. Wir erwarteten einen zarten schmachtenden Virtuosen, aber welche Enttäuschung ward uns bereitet, als ein gedunsener kahler Dickwanst hereinstolperte, der alle Spuren einer zügellos hingebrachten Jugend an seinem alten verwelkten Körper trug. Doch versöhnte sein meisterhaftes Spiel mit seinem abstoßenden Aeußeren. Etwas mußte ja wohl an ihm gewesen sein, da Göthe ihn durch ein eignes Gedicht gefeiert hatte. Für den klangvollen Schmelz des Anschlags wüßte ich nur Ludwig Berger mit Himmel zu vergleichen.

Wie oft wünschten wir unsere kleineren Versamlungen in der Brüderstraße zurück! Doch gewährten uns die Abende im kurländischen Hause die schönsten musikalischen Genüsse. Mehrere durchreisende Klaviervirtuosen fanden hier die beste Gelegenheit, sich einer gewählten Gesellschaft durch ihr Spiel bekannt zu machen, ehe sie mit der Ankündigung ihrer öffentlichen Konzerte vor das Publikum traten. Ausgezeichnete Gesangtalente rechneten es sich zur Ehre, in diesem Kreise sich hören zu lassen. Die ausführenden Musiker merkten gar bald, daß der edlen Wirtin kein größerer Gefallen geschehn könne, als durch den Vortrag eines Stückes aus Himmels Kompositionen zur Urania. Die Züge der hohen Frau erheiterten sich, sobald es am Klavier ertönte: Mir auch war ein Leben aufgegangen, oder: Heil’ge Nacht, du führest deine Globen. Diese Lieder hörten wir nach und nach von den verschiedensten Stimmen und mit sehr wechselndem Ausdrucke: wir konnten uns überzeugen, daß die Weichheit der musikalischen Modulationen mit dem dämmerhaften Karakter des Gedichtes im besten Einklang stehe. Sehr gespannt waren wir, als es hieß, Himmel selbst werde erscheinen, und etwas von seinen Sachen vortragen. Wir erwarteten einen zarten schmachtenden Virtuosen, aber welche Enttäuschung ward uns bereitet, als ein gedunsener kahler Dickwanst hereinstolperte, der alle Spuren einer zügellos hingebrachten Jugend an seinem alten verwelkten Körper trug. Doch versöhnte sein meisterhaftes Spiel mit seinem abstoßenden Aeußeren. Etwas mußte ja wohl an ihm gewesen sein, da Göthe ihn durch ein eignes Gedicht gefeiert hatte. Für den klangvollen Schmelz des Anschlags wüßte ich nur Ludwig Berger mit Himmel zu vergleichen.

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Wie oft wünschten wir unsere kleineren Versamlungen in der Brüderstraße zurück! Doch gewährten uns die Abende im kurländischen Hause die schönsten musikalischen Genüsse. Mehrere durchreisende Klaviervirtuosen fanden hier die beste Gelegenheit, sich einer gewählten Gesellschaft durch ihr Spiel bekannt zu machen, ehe sie mit der Ankündigung ihrer öffentlichen Konzerte vor das Publikum traten. Ausgezeichnete Gesangtalente rechneten es sich zur Ehre, in diesem Kreise sich hören zu lassen. Die ausführenden Musiker merkten gar bald, daß der edlen Wirtin kein größerer Gefallen geschehn könne, als durch den Vortrag eines Stückes aus Himmels Kompositionen zur Urania. Die Züge der hohen Frau erheiterten sich, sobald es am Klavier ertönte: Mir auch war ein Leben aufgegangen, oder: Heil&#x2019;ge Nacht, du führest deine Globen. Diese Lieder hörten wir nach und nach von den verschiedensten Stimmen und mit sehr wechselndem Ausdrucke: wir konnten uns überzeugen, daß die Weichheit der musikalischen Modulationen mit dem dämmerhaften Karakter des Gedichtes im besten Einklang stehe. Sehr gespannt waren wir, als es hieß, Himmel selbst werde erscheinen, und etwas von seinen Sachen vortragen. Wir erwarteten einen zarten schmachtenden Virtuosen, aber welche Enttäuschung ward uns bereitet, als ein gedunsener kahler Dickwanst hereinstolperte, der alle Spuren einer zügellos hingebrachten Jugend an seinem alten verwelkten Körper trug. Doch versöhnte sein meisterhaftes Spiel mit seinem abstoßenden Aeußeren. Etwas mußte ja wohl an ihm gewesen sein, da Göthe ihn durch ein eignes Gedicht gefeiert hatte. Für den klangvollen Schmelz des Anschlags wüßte ich nur Ludwig Berger mit Himmel zu vergleichen.
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[22/0030] Wie oft wünschten wir unsere kleineren Versamlungen in der Brüderstraße zurück! Doch gewährten uns die Abende im kurländischen Hause die schönsten musikalischen Genüsse. Mehrere durchreisende Klaviervirtuosen fanden hier die beste Gelegenheit, sich einer gewählten Gesellschaft durch ihr Spiel bekannt zu machen, ehe sie mit der Ankündigung ihrer öffentlichen Konzerte vor das Publikum traten. Ausgezeichnete Gesangtalente rechneten es sich zur Ehre, in diesem Kreise sich hören zu lassen. Die ausführenden Musiker merkten gar bald, daß der edlen Wirtin kein größerer Gefallen geschehn könne, als durch den Vortrag eines Stückes aus Himmels Kompositionen zur Urania. Die Züge der hohen Frau erheiterten sich, sobald es am Klavier ertönte: Mir auch war ein Leben aufgegangen, oder: Heil’ge Nacht, du führest deine Globen. Diese Lieder hörten wir nach und nach von den verschiedensten Stimmen und mit sehr wechselndem Ausdrucke: wir konnten uns überzeugen, daß die Weichheit der musikalischen Modulationen mit dem dämmerhaften Karakter des Gedichtes im besten Einklang stehe. Sehr gespannt waren wir, als es hieß, Himmel selbst werde erscheinen, und etwas von seinen Sachen vortragen. Wir erwarteten einen zarten schmachtenden Virtuosen, aber welche Enttäuschung ward uns bereitet, als ein gedunsener kahler Dickwanst hereinstolperte, der alle Spuren einer zügellos hingebrachten Jugend an seinem alten verwelkten Körper trug. Doch versöhnte sein meisterhaftes Spiel mit seinem abstoßenden Aeußeren. Etwas mußte ja wohl an ihm gewesen sein, da Göthe ihn durch ein eignes Gedicht gefeiert hatte. Für den klangvollen Schmelz des Anschlags wüßte ich nur Ludwig Berger mit Himmel zu vergleichen.

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/30>, abgerufen am 24.11.2024.