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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

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hüten, in Zorn zu gerathen, eine andre Woche im Wohlthun etwas leisten, eine dritte Woche der Sparsamkeit sich befleißigen, eine vierte Woche der Wahrhaftigkeit eingedenk sein etc., bis man zuletzt hoffen durfte, mit allen guten Qualitäten ausgerüstet, und von allen Schlacken der Leidenschaften gereinigt dazustehn; ungefähr so wie ein ausgelernter Athlet des Alterthumes, der sich nach und nach im Ringen und Springen, im Lanzenwerfen und Laufen vervollkomnet, es mit jedem Gegner aufzunehmen vermag. Das Büchlein von Franklin ist mir abhanden, und später nie wieder zu Gesicht gekommen, aber der wunderbare Inhalt, den ich nach so vielen Jahren vielleicht nicht ganz genau wiedergegeben, machte auf mich den eigenthümlichsten Eindruck. Es beunruhigte mich eine ganze Weile der Gedanke, daß ich bisher in diesen moralischen Exercitien, die ein so bedeutender Mann wie Franklin empfahl, so gut als gar nichts gethan: aber es schien mir ein halber Widerspruch, sich abwechselnd in bestimmten Zwischenräumen den entgegengesetzten Zielen, der Freigebigkeit und der Sparsamkeit, der Aufrichtigkeit und der Verschwiegenheit, der Milde und der Strenge zu widmen, auch konnte man ja nicht wissen, ob gerade in der Woche der Herzhaftigkeit sich ein Anlaß zur Bethätigung derselben finden werde, und es war nicht gesagt, wie man sich zu verhalten habe, wenn etwa in der Woche der Dienstfertigkeit eine starke Gelegenheit zum Zorne eintrete. Indessen dauerte es gar nicht lange, bis ich mir klar machte, daß man zwar theoretisch den Karakter des Menschen in gute und böse Eigenschaften zerlegen könne, daß aber der Fluß des Lebens viel zu bewegt sei, um bald diese bald jene specielle Uebung durchzumachen. Nur eine gleichzeitige harmonische

hüten, in Zorn zu gerathen, eine andre Woche im Wohlthun etwas leisten, eine dritte Woche der Sparsamkeit sich befleißigen, eine vierte Woche der Wahrhaftigkeit eingedenk sein etc., bis man zuletzt hoffen durfte, mit allen guten Qualitäten ausgerüstet, und von allen Schlacken der Leidenschaften gereinigt dazustehn; ungefähr so wie ein ausgelernter Athlet des Alterthumes, der sich nach und nach im Ringen und Springen, im Lanzenwerfen und Laufen vervollkomnet, es mit jedem Gegner aufzunehmen vermag. Das Büchlein von Franklin ist mir abhanden, und später nie wieder zu Gesicht gekommen, aber der wunderbare Inhalt, den ich nach so vielen Jahren vielleicht nicht ganz genau wiedergegeben, machte auf mich den eigenthümlichsten Eindruck. Es beunruhigte mich eine ganze Weile der Gedanke, daß ich bisher in diesen moralischen Exercitien, die ein so bedeutender Mann wie Franklin empfahl, so gut als gar nichts gethan: aber es schien mir ein halber Widerspruch, sich abwechselnd in bestimmten Zwischenräumen den entgegengesetzten Zielen, der Freigebigkeit und der Sparsamkeit, der Aufrichtigkeit und der Verschwiegenheit, der Milde und der Strenge zu widmen, auch konnte man ja nicht wissen, ob gerade in der Woche der Herzhaftigkeit sich ein Anlaß zur Bethätigung derselben finden werde, und es war nicht gesagt, wie man sich zu verhalten habe, wenn etwa in der Woche der Dienstfertigkeit eine starke Gelegenheit zum Zorne eintrete. Indessen dauerte es gar nicht lange, bis ich mir klar machte, daß man zwar theoretisch den Karakter des Menschen in gute und böse Eigenschaften zerlegen könne, daß aber der Fluß des Lebens viel zu bewegt sei, um bald diese bald jene specielle Uebung durchzumachen. Nur eine gleichzeitige harmonische

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[175/0183] hüten, in Zorn zu gerathen, eine andre Woche im Wohlthun etwas leisten, eine dritte Woche der Sparsamkeit sich befleißigen, eine vierte Woche der Wahrhaftigkeit eingedenk sein etc., bis man zuletzt hoffen durfte, mit allen guten Qualitäten ausgerüstet, und von allen Schlacken der Leidenschaften gereinigt dazustehn; ungefähr so wie ein ausgelernter Athlet des Alterthumes, der sich nach und nach im Ringen und Springen, im Lanzenwerfen und Laufen vervollkomnet, es mit jedem Gegner aufzunehmen vermag. Das Büchlein von Franklin ist mir abhanden, und später nie wieder zu Gesicht gekommen, aber der wunderbare Inhalt, den ich nach so vielen Jahren vielleicht nicht ganz genau wiedergegeben, machte auf mich den eigenthümlichsten Eindruck. Es beunruhigte mich eine ganze Weile der Gedanke, daß ich bisher in diesen moralischen Exercitien, die ein so bedeutender Mann wie Franklin empfahl, so gut als gar nichts gethan: aber es schien mir ein halber Widerspruch, sich abwechselnd in bestimmten Zwischenräumen den entgegengesetzten Zielen, der Freigebigkeit und der Sparsamkeit, der Aufrichtigkeit und der Verschwiegenheit, der Milde und der Strenge zu widmen, auch konnte man ja nicht wissen, ob gerade in der Woche der Herzhaftigkeit sich ein Anlaß zur Bethätigung derselben finden werde, und es war nicht gesagt, wie man sich zu verhalten habe, wenn etwa in der Woche der Dienstfertigkeit eine starke Gelegenheit zum Zorne eintrete. Indessen dauerte es gar nicht lange, bis ich mir klar machte, daß man zwar theoretisch den Karakter des Menschen in gute und böse Eigenschaften zerlegen könne, daß aber der Fluß des Lebens viel zu bewegt sei, um bald diese bald jene specielle Uebung durchzumachen. Nur eine gleichzeitige harmonische

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/183>, abgerufen am 19.05.2024.