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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

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Geist, der sich in gewagten Behauptungen gefiel, ich suchte so viel als möglich am Positiven festzuhalten, ohne jedoch einem blinden Autoritätsglauben zu huldigen.

Paul warf die Frage auf, ob die Menschwerdung Christi auf irgend einem anderen als dem natürlichen Wege habe stattfinden können? Ich war weit davon entfernt, einen übernatürlichen Weg anzunehmen, da ich keinen ausreichenden Grund dafür finden konnte.

Nun ging Paul weiter, und fragte: mit welchem Rechte wir Christus als den einzigen Sohn Gottes betrachten, der für die Sünden der Menschen geopfert sei? Dafür konnte ich nur eine sehr zweifelhafte, und in sich unklare Tradition anführen, die mir selbst sehr wenig genügte.

Paul betrachtete ferner die Kleinheit der Erde im Verhältniß zur Sonne und zu den Myriaden von Sonnen in der Milchstraße; er fragte, ob es vernünftiger Weise denkbar sei, daß der allmächtige Schöpfer Himmels und der Erden seinen eingebornen Sohn als Sühnopfer für die Sünden hingegeben, die auf dem winzigen Sandkorn, das wir Erde nennen, begangen wurden? Anfangs erschrak ich vor der Kühnheit dieses Gedankens, mußte aber zugeben, daß das Opfer in gar keinem Verhältniß zum Vergehen stehe; seien Sonnen oder Fixsterne, wie man doch annehmen müsse, auch bevölkert, so möchten da wohl, nach dem Verhältniß der Größe, Sünden begangen sein, die weit schwerer ins Gewicht fielen, als die irdischen.

Danach kam Paul auf den Opfertod selbst, und hob die vollkommen heidnische Natur dieser Lehre hervor, ohne zu ahnen, daß darüber schon viele Bände vollgeschrieben seien. Es komme wohl vor, meinte er, daß Menschen unschuldig hingerichtet würden, oder sich selbst,

Geist, der sich in gewagten Behauptungen gefiel, ich suchte so viel als möglich am Positiven festzuhalten, ohne jedoch einem blinden Autoritätsglauben zu huldigen.

Paul warf die Frage auf, ob die Menschwerdung Christi auf irgend einem anderen als dem natürlichen Wege habe stattfinden können? Ich war weit davon entfernt, einen übernatürlichen Weg anzunehmen, da ich keinen ausreichenden Grund dafür finden konnte.

Nun ging Paul weiter, und fragte: mit welchem Rechte wir Christus als den einzigen Sohn Gottes betrachten, der für die Sünden der Menschen geopfert sei? Dafür konnte ich nur eine sehr zweifelhafte, und in sich unklare Tradition anführen, die mir selbst sehr wenig genügte.

Paul betrachtete ferner die Kleinheit der Erde im Verhältniß zur Sonne und zu den Myriaden von Sonnen in der Milchstraße; er fragte, ob es vernünftiger Weise denkbar sei, daß der allmächtige Schöpfer Himmels und der Erden seinen eingebornen Sohn als Sühnopfer für die Sünden hingegeben, die auf dem winzigen Sandkorn, das wir Erde nennen, begangen wurden? Anfangs erschrak ich vor der Kühnheit dieses Gedankens, mußte aber zugeben, daß das Opfer in gar keinem Verhältniß zum Vergehen stehe; seien Sonnen oder Fixsterne, wie man doch annehmen müsse, auch bevölkert, so möchten da wohl, nach dem Verhältniß der Größe, Sünden begangen sein, die weit schwerer ins Gewicht fielen, als die irdischen.

Danach kam Paul auf den Opfertod selbst, und hob die vollkommen heidnische Natur dieser Lehre hervor, ohne zu ahnen, daß darüber schon viele Bände vollgeschrieben seien. Es komme wohl vor, meinte er, daß Menschen unschuldig hingerichtet würden, oder sich selbst,

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[162/0170] Geist, der sich in gewagten Behauptungen gefiel, ich suchte so viel als möglich am Positiven festzuhalten, ohne jedoch einem blinden Autoritätsglauben zu huldigen. Paul warf die Frage auf, ob die Menschwerdung Christi auf irgend einem anderen als dem natürlichen Wege habe stattfinden können? Ich war weit davon entfernt, einen übernatürlichen Weg anzunehmen, da ich keinen ausreichenden Grund dafür finden konnte. Nun ging Paul weiter, und fragte: mit welchem Rechte wir Christus als den einzigen Sohn Gottes betrachten, der für die Sünden der Menschen geopfert sei? Dafür konnte ich nur eine sehr zweifelhafte, und in sich unklare Tradition anführen, die mir selbst sehr wenig genügte. Paul betrachtete ferner die Kleinheit der Erde im Verhältniß zur Sonne und zu den Myriaden von Sonnen in der Milchstraße; er fragte, ob es vernünftiger Weise denkbar sei, daß der allmächtige Schöpfer Himmels und der Erden seinen eingebornen Sohn als Sühnopfer für die Sünden hingegeben, die auf dem winzigen Sandkorn, das wir Erde nennen, begangen wurden? Anfangs erschrak ich vor der Kühnheit dieses Gedankens, mußte aber zugeben, daß das Opfer in gar keinem Verhältniß zum Vergehen stehe; seien Sonnen oder Fixsterne, wie man doch annehmen müsse, auch bevölkert, so möchten da wohl, nach dem Verhältniß der Größe, Sünden begangen sein, die weit schwerer ins Gewicht fielen, als die irdischen. Danach kam Paul auf den Opfertod selbst, und hob die vollkommen heidnische Natur dieser Lehre hervor, ohne zu ahnen, daß darüber schon viele Bände vollgeschrieben seien. Es komme wohl vor, meinte er, daß Menschen unschuldig hingerichtet würden, oder sich selbst,

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/170>, abgerufen am 25.11.2024.