Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

Bild:
<< vorherige Seite

Wir stifteten darauf mit einigen Gesinnungsgenossen eine litterarische Gesellschaft, bei welcher Statuten und Geschäftsordnung nicht fehlten. Jedes Mitglied lieferte poetische oder prosaische Arbeiten, und jedes andre Mitglied konnte dieselben recensiren. Fritz gehörte auch zu den Theilnehmern, und beschloß sogleich, ein komisches Gedicht in fünffüßigen Jamben anzufertigen. Weil ihm aber außer der musikalischen Anlage jeder Sinn für Takt und Rhythmus fehlte, so kam er nicht vom Flecke. Umsonst versuchte ich, ihm auch hierin zu helfen; ich fertigte ihm das Schema eines jambischen Verses mit kurzen und langen Sylben, und forderte ihn auf, Pauls Beispiel nachzuahmen, der ohne Anstrengung eine ganze Weile in gereimten Versen fortsprechen konnte. Allein der jambische Fluß stockte in Fritzens Munde nach den ersten Worten, und zu seinem grösten Verdrusse mußte er die komische Erzählung in Prosa aufsetzen. Diese litterarischen Unterhaltungen hielten wir sehr geheim; als indessen nach einem Jahre ein Quartheft von Gedichten, Aufsätzen und Recensionen vorlag, konnten wir der Versuchung nicht widerstehn, dasselbe meinem Vater, mit der Bitte um Geheimhaltung zu überreichen. Er war sehr zufrieden und ermunterte uns, fortzufahren, konnte aber nicht reinen Mund halten, und so geschah es, daß eines Abends der Prediger Delbrück, Erzieher des Kronprinzen (nachherigen Königs Friedrich Wilhelms IV.) mir die schönsten Sachen über unsre "privaten wissenschaftiichen Bestrebungen" sagte. Dies verdroß mich ganz ungemein, anstatt mich zu erfreuen, und der "Zeitungsbund" - so hatten wir unsre harmlose Vereinigung genannt - löste sich in Folge davon auf.

Wir stifteten darauf mit einigen Gesinnungsgenossen eine litterarische Gesellschaft, bei welcher Statuten und Geschäftsordnung nicht fehlten. Jedes Mitglied lieferte poetische oder prosaische Arbeiten, und jedes andre Mitglied konnte dieselben recensiren. Fritz gehörte auch zu den Theilnehmern, und beschloß sogleich, ein komisches Gedicht in fünffüßigen Jamben anzufertigen. Weil ihm aber außer der musikalischen Anlage jeder Sinn für Takt und Rhythmus fehlte, so kam er nicht vom Flecke. Umsonst versuchte ich, ihm auch hierin zu helfen; ich fertigte ihm das Schema eines jambischen Verses mit kurzen und langen Sylben, und forderte ihn auf, Pauls Beispiel nachzuahmen, der ohne Anstrengung eine ganze Weile in gereimten Versen fortsprechen konnte. Allein der jambische Fluß stockte in Fritzens Munde nach den ersten Worten, und zu seinem grösten Verdrusse mußte er die komische Erzählung in Prosa aufsetzen. Diese litterarischen Unterhaltungen hielten wir sehr geheim; als indessen nach einem Jahre ein Quartheft von Gedichten, Aufsätzen und Recensionen vorlag, konnten wir der Versuchung nicht widerstehn, dasselbe meinem Vater, mit der Bitte um Geheimhaltung zu überreichen. Er war sehr zufrieden und ermunterte uns, fortzufahren, konnte aber nicht reinen Mund halten, und so geschah es, daß eines Abends der Prediger Delbrück, Erzieher des Kronprinzen (nachherigen Königs Friedrich Wilhelms IV.) mir die schönsten Sachen über unsre „privaten wissenschaftiichen Bestrebungen“ sagte. Dies verdroß mich ganz ungemein, anstatt mich zu erfreuen, und der „Zeitungsbund“ – so hatten wir unsre harmlose Vereinigung genannt – löste sich in Folge davon auf.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p>
          <pb facs="#f0160" n="152"/>
        </p><lb/>
        <p>Wir stifteten darauf mit einigen Gesinnungsgenossen eine litterarische Gesellschaft, bei welcher Statuten und Geschäftsordnung nicht fehlten. Jedes Mitglied lieferte poetische oder prosaische Arbeiten, und jedes andre Mitglied konnte dieselben recensiren. Fritz gehörte auch zu den Theilnehmern, und beschloß sogleich, ein komisches Gedicht in fünffüßigen Jamben anzufertigen. Weil ihm aber außer der musikalischen Anlage jeder Sinn für Takt und Rhythmus fehlte, so kam er nicht vom Flecke. Umsonst versuchte ich, ihm auch hierin zu helfen; ich fertigte ihm das Schema eines jambischen Verses mit kurzen und langen Sylben, und forderte ihn auf, Pauls Beispiel nachzuahmen, der ohne Anstrengung eine ganze Weile in gereimten Versen fortsprechen konnte. Allein der jambische Fluß stockte in Fritzens Munde nach den ersten Worten, und zu seinem grösten Verdrusse mußte er die komische Erzählung in Prosa aufsetzen. Diese litterarischen Unterhaltungen hielten wir sehr geheim; als indessen nach einem Jahre ein Quartheft von Gedichten, Aufsätzen und Recensionen vorlag, konnten wir der Versuchung nicht widerstehn, dasselbe meinem Vater, mit der Bitte um Geheimhaltung zu überreichen. Er war sehr zufrieden und ermunterte uns, fortzufahren, konnte aber nicht reinen Mund halten, und so geschah es, daß eines Abends der Prediger Delbrück, Erzieher des Kronprinzen (nachherigen Königs Friedrich Wilhelms IV.) mir die schönsten Sachen über unsre &#x201E;privaten wissenschaftiichen Bestrebungen&#x201C; sagte. Dies verdroß mich ganz ungemein, anstatt mich zu erfreuen, und der &#x201E;Zeitungsbund&#x201C; &#x2013; so hatten wir unsre harmlose Vereinigung genannt &#x2013; löste sich in Folge davon auf.
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[152/0160] Wir stifteten darauf mit einigen Gesinnungsgenossen eine litterarische Gesellschaft, bei welcher Statuten und Geschäftsordnung nicht fehlten. Jedes Mitglied lieferte poetische oder prosaische Arbeiten, und jedes andre Mitglied konnte dieselben recensiren. Fritz gehörte auch zu den Theilnehmern, und beschloß sogleich, ein komisches Gedicht in fünffüßigen Jamben anzufertigen. Weil ihm aber außer der musikalischen Anlage jeder Sinn für Takt und Rhythmus fehlte, so kam er nicht vom Flecke. Umsonst versuchte ich, ihm auch hierin zu helfen; ich fertigte ihm das Schema eines jambischen Verses mit kurzen und langen Sylben, und forderte ihn auf, Pauls Beispiel nachzuahmen, der ohne Anstrengung eine ganze Weile in gereimten Versen fortsprechen konnte. Allein der jambische Fluß stockte in Fritzens Munde nach den ersten Worten, und zu seinem grösten Verdrusse mußte er die komische Erzählung in Prosa aufsetzen. Diese litterarischen Unterhaltungen hielten wir sehr geheim; als indessen nach einem Jahre ein Quartheft von Gedichten, Aufsätzen und Recensionen vorlag, konnten wir der Versuchung nicht widerstehn, dasselbe meinem Vater, mit der Bitte um Geheimhaltung zu überreichen. Er war sehr zufrieden und ermunterte uns, fortzufahren, konnte aber nicht reinen Mund halten, und so geschah es, daß eines Abends der Prediger Delbrück, Erzieher des Kronprinzen (nachherigen Königs Friedrich Wilhelms IV.) mir die schönsten Sachen über unsre „privaten wissenschaftiichen Bestrebungen“ sagte. Dies verdroß mich ganz ungemein, anstatt mich zu erfreuen, und der „Zeitungsbund“ – so hatten wir unsre harmlose Vereinigung genannt – löste sich in Folge davon auf.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-01-07T13:04:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1) (2014-01-07T13:04:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/160
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/160>, abgerufen am 19.05.2024.