Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

Bild:
<< vorherige Seite

(zuletzt russischem Gesandten in Wien) ein Exemplar der Urania, das sie ihm als höchstes Zeichen ihrer Liebe geschenkt. Man bemerkte darin, wie sie angefangen hatte, die schönsten Stellen mit Tinte zu unterstreichen, und wie nach und nach das ganze kleine Maroquin-Bändchen zu dieser Ehre gelangt war. Bei einer ferneren Lesung wurde eine Menge der ausgesuchtesten Stellen, gewiß ein Drittel des Buches, doppelt unterliniirt, und einige ganz überschwängliche Verse zeigten sogar eine dritte Potenz des Lobes. Ein Freund von mir machte es als einen negativen Vorzug der Urania geltend, daß ihre Lesung durchaus nicht aufregend sei. Nach einem heftigen Nervenfieber konnte er in der langen Reconvalescenz gar keine kräftige geistige Nahrung vertragen. Wenn man ihm aus Göthe oder Schiller vorlas, so fing er an zu weinen, und bekam Nervenzufälle; nur aus der Urania konnte er stundenlang vorlesen hören, ohne daß es ihm etwas schadete.

Als wir bei dem ersten Besuche mit meinen Aeltern die bequem und prächtig eingerichteten Zimmer Elisas betraten, fielen meine Blicke sogleich auf die großen und kleinen Oelbilder, die alle Wände bedeckten. Es waren darunter trefliche Bildnisse der kurländischen Verwandten von Graffs Meisterhand, ferner Brustbilder von Klopstock, Gleim, Wieland, die wir nach den Kupferstichen in des Grosvaters Nicolai Stube erkannten, ein Kniestück der Herzogin von Kurland in leuchtender Farbe von Gerard in Paris. Der Schreibtisch war ein Muster eleganter und sorgfältiger Ausstattung, bedeckt mit allen kleinen Zierlichkeiten einer vornehmen Existenz.

Mit herzgewinnender Freundlichkeit und mit jenem seelenvollen Organe, das die Frauen in Kurland und

(zuletzt russischem Gesandten in Wien) ein Exemplar der Urania, das sie ihm als höchstes Zeichen ihrer Liebe geschenkt. Man bemerkte darin, wie sie angefangen hatte, die schönsten Stellen mit Tinte zu unterstreichen, und wie nach und nach das ganze kleine Maroquin-Bändchen zu dieser Ehre gelangt war. Bei einer ferneren Lesung wurde eine Menge der ausgesuchtesten Stellen, gewiß ein Drittel des Buches, doppelt unterliniirt, und einige ganz überschwängliche Verse zeigten sogar eine dritte Potenz des Lobes. Ein Freund von mir machte es als einen negativen Vorzug der Urania geltend, daß ihre Lesung durchaus nicht aufregend sei. Nach einem heftigen Nervenfieber konnte er in der langen Reconvalescenz gar keine kräftige geistige Nahrung vertragen. Wenn man ihm aus Göthe oder Schiller vorlas, so fing er an zu weinen, und bekam Nervenzufälle; nur aus der Urania konnte er stundenlang vorlesen hören, ohne daß es ihm etwas schadete.

Als wir bei dem ersten Besuche mit meinen Aeltern die bequem und prächtig eingerichteten Zimmer Elisas betraten, fielen meine Blicke sogleich auf die großen und kleinen Oelbilder, die alle Wände bedeckten. Es waren darunter trefliche Bildnisse der kurländischen Verwandten von Graffs Meisterhand, ferner Brustbilder von Klopstock, Gleim, Wieland, die wir nach den Kupferstichen in des Grosvaters Nicolai Stube erkannten, ein Kniestück der Herzogin von Kurland in leuchtender Farbe von Gerard in Paris. Der Schreibtisch war ein Muster eleganter und sorgfältiger Ausstattung, bedeckt mit allen kleinen Zierlichkeiten einer vornehmen Existenz.

Mit herzgewinnender Freundlichkeit und mit jenem seelenvollen Organe, das die Frauen in Kurland und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0011" n="3"/>
(zuletzt russischem Gesandten in Wien) ein Exemplar der Urania, das sie ihm als höchstes Zeichen ihrer Liebe geschenkt. Man bemerkte darin, wie sie angefangen hatte, die schönsten Stellen mit Tinte zu unterstreichen, und wie nach und nach das ganze kleine Maroquin-Bändchen zu dieser Ehre gelangt war. Bei einer ferneren Lesung wurde eine Menge der ausgesuchtesten Stellen, gewiß ein Drittel des Buches, doppelt unterliniirt, und einige ganz überschwängliche Verse zeigten sogar eine dritte Potenz des Lobes. Ein Freund von mir machte es als einen negativen Vorzug der Urania geltend, daß ihre Lesung durchaus nicht aufregend sei. Nach einem heftigen Nervenfieber konnte er in der langen Reconvalescenz gar keine kräftige geistige Nahrung vertragen. Wenn man ihm aus Göthe oder Schiller vorlas, so fing er an zu weinen, und bekam Nervenzufälle; nur aus der Urania konnte er stundenlang vorlesen hören, ohne daß es ihm etwas schadete. </p><lb/>
        <p>Als wir bei dem ersten Besuche mit meinen Aeltern die bequem und prächtig eingerichteten Zimmer Elisas betraten, fielen meine Blicke sogleich auf die großen und kleinen Oelbilder, die alle Wände bedeckten. Es waren darunter trefliche Bildnisse der kurländischen Verwandten von Graffs Meisterhand, ferner Brustbilder von Klopstock, Gleim, Wieland, die wir nach den Kupferstichen in des Grosvaters Nicolai Stube erkannten, ein Kniestück der Herzogin von Kurland in leuchtender Farbe von Gerard in Paris. Der Schreibtisch war ein Muster eleganter und sorgfältiger Ausstattung, bedeckt mit allen kleinen Zierlichkeiten einer vornehmen Existenz. </p><lb/>
        <p>Mit herzgewinnender Freundlichkeit und mit jenem seelenvollen Organe, das die Frauen in Kurland und
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[3/0011] (zuletzt russischem Gesandten in Wien) ein Exemplar der Urania, das sie ihm als höchstes Zeichen ihrer Liebe geschenkt. Man bemerkte darin, wie sie angefangen hatte, die schönsten Stellen mit Tinte zu unterstreichen, und wie nach und nach das ganze kleine Maroquin-Bändchen zu dieser Ehre gelangt war. Bei einer ferneren Lesung wurde eine Menge der ausgesuchtesten Stellen, gewiß ein Drittel des Buches, doppelt unterliniirt, und einige ganz überschwängliche Verse zeigten sogar eine dritte Potenz des Lobes. Ein Freund von mir machte es als einen negativen Vorzug der Urania geltend, daß ihre Lesung durchaus nicht aufregend sei. Nach einem heftigen Nervenfieber konnte er in der langen Reconvalescenz gar keine kräftige geistige Nahrung vertragen. Wenn man ihm aus Göthe oder Schiller vorlas, so fing er an zu weinen, und bekam Nervenzufälle; nur aus der Urania konnte er stundenlang vorlesen hören, ohne daß es ihm etwas schadete. Als wir bei dem ersten Besuche mit meinen Aeltern die bequem und prächtig eingerichteten Zimmer Elisas betraten, fielen meine Blicke sogleich auf die großen und kleinen Oelbilder, die alle Wände bedeckten. Es waren darunter trefliche Bildnisse der kurländischen Verwandten von Graffs Meisterhand, ferner Brustbilder von Klopstock, Gleim, Wieland, die wir nach den Kupferstichen in des Grosvaters Nicolai Stube erkannten, ein Kniestück der Herzogin von Kurland in leuchtender Farbe von Gerard in Paris. Der Schreibtisch war ein Muster eleganter und sorgfältiger Ausstattung, bedeckt mit allen kleinen Zierlichkeiten einer vornehmen Existenz. Mit herzgewinnender Freundlichkeit und mit jenem seelenvollen Organe, das die Frauen in Kurland und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-01-07T13:04:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1) (2014-01-07T13:04:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/11
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/11>, abgerufen am 23.11.2024.