Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].

Bild:
<< vorherige Seite

getragen hat, da sie nicht herausgezogen werden konnte. Napoleon ging bei Mainz über den Rhein, und erreichte bald Paris, wo er mit unglaublicher Thätigkeit neue Heere auf die Beine brachte.

Nun war noch Dresden, damals eine der stärksten Festungen mit ungeheuern Mauern und tiefen Gräben, von den Franzosen besetzt. Obgleich der Marschall Saint-Cyr auf keinen Ersatz hoffen konnte, so hielt er die Stadt, nach der Leipziger Schlacht, doch noch 4 Wochen. Erst am 14. November kam die Nachricht von der Einnahme Dresdens nach Berlin. Unbeschreiblich litten die Einwohner während dieser drangvollen Zeit. Die Hospitäler waren mit Tausenden von Kranken angefüllt, unter denen der Typhus in schreckenerregender Weise aufräumte. Sehr spät drang die Nachricht von dem Leipziger Siege durch die strenge Festungsperre, und belebte die Hoffnungen der Eingeschlossenen. Erst als die Lebensmittel ausgingen, entschloß sich Saint-Cyr zu einer Kapitulation, die ihm freien Abzug nach Frankreich sicherte. Man fand aber bald darauf, daß er die ihm gestellten Bedingungen nicht gehalten habe, und machte ihn mit seinem ganzen Corps zu Kriegsgefangenen. Endlich erhielten wir auch Briefe von unsern Freunden aus Dresden, von der Tante Keiner, von Körners Aeltern und mehreren andern. Unsre Angst um sie war vergebens gewesen; alle hatten die schwere Zeit glücklich überstanden.

Während der folgenden Wintermonate, bis zu Neujahr 1814 suchten wir uns eine genauere Kenntniß von den Einzelheiten des großen Völkerkampfes von Leipzig zu erwerben. Spezialkarten waren damals noch nicht so häufig und so weit verbreitet wie jetzt. Ob sogleich ein offizieller

getragen hat, da sie nicht herausgezogen werden konnte. Napoléon ging bei Mainz über den Rhein, und erreichte bald Paris, wo er mit unglaublicher Thätigkeit neue Heere auf die Beine brachte.

Nun war noch Dresden, damals eine der stärksten Festungen mit ungeheuern Mauern und tiefen Gräben, von den Franzosen besetzt. Obgleich der Marschall Saint-Cyr auf keinen Ersatz hoffen konnte, so hielt er die Stadt, nach der Leipziger Schlacht, doch noch 4 Wochen. Erst am 14. November kam die Nachricht von der Einnahme Dresdens nach Berlin. Unbeschreiblich litten die Einwohner während dieser drangvollen Zeit. Die Hospitäler waren mit Tausenden von Kranken angefüllt, unter denen der Typhus in schreckenerregender Weise aufräumte. Sehr spät drang die Nachricht von dem Leipziger Siege durch die strenge Festungsperre, und belebte die Hoffnungen der Eingeschlossenen. Erst als die Lebensmittel ausgingen, entschloß sich Saint-Cyr zu einer Kapitulation, die ihm freien Abzug nach Frankreich sicherte. Man fand aber bald darauf, daß er die ihm gestellten Bedingungen nicht gehalten habe, und machte ihn mit seinem ganzen Corps zu Kriegsgefangenen. Endlich erhielten wir auch Briefe von unsern Freunden aus Dresden, von der Tante Keiner, von Körners Aeltern und mehreren andern. Unsre Angst um sie war vergebens gewesen; alle hatten die schwere Zeit glücklich überstanden.

Während der folgenden Wintermonate, bis zu Neujahr 1814 suchten wir uns eine genauere Kenntniß von den Einzelheiten des großen Völkerkampfes von Leipzig zu erwerben. Spezialkarten waren damals noch nicht so häufig und so weit verbreitet wie jetzt. Ob sogleich ein offizieller

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="1">
          <p><pb facs="#f0416" n="404"/>
getragen hat, da sie nicht herausgezogen werden konnte. Napoléon ging bei Mainz über den Rhein, und erreichte bald Paris, wo er mit unglaublicher Thätigkeit neue Heere auf die Beine brachte. </p><lb/>
          <p>Nun war noch Dresden, damals eine der stärksten Festungen mit ungeheuern Mauern und tiefen Gräben, von den Franzosen besetzt. Obgleich der Marschall Saint-Cyr auf keinen Ersatz hoffen konnte, so hielt er die Stadt, nach der Leipziger Schlacht, doch noch 4 Wochen. Erst am 14. November kam die Nachricht von der Einnahme Dresdens nach Berlin. Unbeschreiblich litten die Einwohner während dieser drangvollen Zeit. Die Hospitäler waren mit Tausenden von Kranken angefüllt, unter denen der Typhus in schreckenerregender Weise aufräumte. Sehr spät drang die Nachricht von dem Leipziger Siege durch die strenge Festungsperre, und belebte die Hoffnungen der Eingeschlossenen. Erst als die Lebensmittel ausgingen, entschloß sich Saint-Cyr zu einer Kapitulation, die ihm freien Abzug nach Frankreich sicherte. Man fand aber bald darauf, daß er die ihm gestellten Bedingungen nicht gehalten habe, und machte ihn mit seinem ganzen Corps zu Kriegsgefangenen. Endlich erhielten wir auch Briefe von unsern Freunden aus Dresden, von der Tante Keiner, von Körners Aeltern und mehreren andern. Unsre Angst um sie war vergebens gewesen; alle hatten die schwere Zeit glücklich überstanden. </p><lb/>
          <p>Während der folgenden Wintermonate, bis zu Neujahr 1814 suchten wir uns eine genauere Kenntniß von den Einzelheiten des großen Völkerkampfes von Leipzig zu erwerben. Spezialkarten waren damals noch nicht so häufig und so weit verbreitet wie jetzt. Ob sogleich ein offizieller
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[404/0416] getragen hat, da sie nicht herausgezogen werden konnte. Napoléon ging bei Mainz über den Rhein, und erreichte bald Paris, wo er mit unglaublicher Thätigkeit neue Heere auf die Beine brachte. Nun war noch Dresden, damals eine der stärksten Festungen mit ungeheuern Mauern und tiefen Gräben, von den Franzosen besetzt. Obgleich der Marschall Saint-Cyr auf keinen Ersatz hoffen konnte, so hielt er die Stadt, nach der Leipziger Schlacht, doch noch 4 Wochen. Erst am 14. November kam die Nachricht von der Einnahme Dresdens nach Berlin. Unbeschreiblich litten die Einwohner während dieser drangvollen Zeit. Die Hospitäler waren mit Tausenden von Kranken angefüllt, unter denen der Typhus in schreckenerregender Weise aufräumte. Sehr spät drang die Nachricht von dem Leipziger Siege durch die strenge Festungsperre, und belebte die Hoffnungen der Eingeschlossenen. Erst als die Lebensmittel ausgingen, entschloß sich Saint-Cyr zu einer Kapitulation, die ihm freien Abzug nach Frankreich sicherte. Man fand aber bald darauf, daß er die ihm gestellten Bedingungen nicht gehalten habe, und machte ihn mit seinem ganzen Corps zu Kriegsgefangenen. Endlich erhielten wir auch Briefe von unsern Freunden aus Dresden, von der Tante Keiner, von Körners Aeltern und mehreren andern. Unsre Angst um sie war vergebens gewesen; alle hatten die schwere Zeit glücklich überstanden. Während der folgenden Wintermonate, bis zu Neujahr 1814 suchten wir uns eine genauere Kenntniß von den Einzelheiten des großen Völkerkampfes von Leipzig zu erwerben. Spezialkarten waren damals noch nicht so häufig und so weit verbreitet wie jetzt. Ob sogleich ein offizieller

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-01-07T13:04:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1) (2014-01-07T13:04:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/416
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/416>, abgerufen am 23.11.2024.