Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].Deutschlands von dem fremden Joche als eine Unmöglichkeit erschien. Hatte doch damals selbst Göthe geäußert: Rüttelt nur an euren Ketten, der Mann ist euch zu groß! Das Verhalten Oestreichs wurde mit einer fieberhaften Angst verfolgt, und es ist gar keine Frage, daß in jenem kritischen Momente das Schicksal Deutschlands in Oestreichs Händen lag. Trat es auf Napoleons Seite, und theilte mit ihm die Herrschaft über die mittleren und kleinen Staaten, so war Preußen allem menschlichen Ermessen nach verloren, und würde wohl kaum ein selbstständiges Reich geblieben sein. Stellte Oestreich sich dem französischen Kaiser entgegen, so mußte es gewärtig sein, nach vier großen Niederlagen noch eine fünfte zu erdulden. Aber Napoleon hatte es nie verstanden, die besiegten Völker zu seinen Verbündeten zu machen, noch weniger wußte er die besiegten Fürsten durch seine Persönlichkeit anzuziehn. Er hatte den Kaiser von Oestreich kaum vor Jahresfrist mit dem äußersten Uebermuthe behandelt, und man wußte von dem treuherzigen Kaiser Franz, daß er in allen persönlichen Beziehungen sehr empfindlich sei. Endlich war auch bei den östreichischen Staatsmännern nicht alle deutsche Gesinnung erstorben. Welche Forderungen Graf Metternich in Dresden an Napoleon gestellt, erfuhr man damals gar nicht, nur die Geschichte mit dem Hute erzählte man sich mit sehr unwahrscheinlichen Umständen. Die beiden Herren, so hieß es, seien in äußerst lebhaftem Gespräche auf und ab gegangen. Der Kaiser versuchte die Forderungen Oestreichs herabzustimmen, aber Metternich beharrte mit der höflichsten Entschiedenheit auf seinen Bedingungen. Der Kaiser ließ seinen Hut fallen, und erwartete, daß Metternich Deutschlands von dem fremden Joche als eine Unmöglichkeit erschien. Hatte doch damals selbst Göthe geäußert: Rüttelt nur an euren Ketten, der Mann ist euch zu groß! Das Verhalten Oestreichs wurde mit einer fieberhaften Angst verfolgt, und es ist gar keine Frage, daß in jenem kritischen Momente das Schicksal Deutschlands in Oestreichs Händen lag. Trat es auf Napoléons Seite, und theilte mit ihm die Herrschaft über die mittleren und kleinen Staaten, so war Preußen allem menschlichen Ermessen nach verloren, und würde wohl kaum ein selbstständiges Reich geblieben sein. Stellte Oestreich sich dem französischen Kaiser entgegen, so mußte es gewärtig sein, nach vier großen Niederlagen noch eine fünfte zu erdulden. Aber Napoléon hatte es nie verstanden, die besiegten Völker zu seinen Verbündeten zu machen, noch weniger wußte er die besiegten Fürsten durch seine Persönlichkeit anzuziehn. Er hatte den Kaiser von Oestreich kaum vor Jahresfrist mit dem äußersten Uebermuthe behandelt, und man wußte von dem treuherzigen Kaiser Franz, daß er in allen persönlichen Beziehungen sehr empfindlich sei. Endlich war auch bei den östreichischen Staatsmännern nicht alle deutsche Gesinnung erstorben. Welche Forderungen Graf Metternich in Dresden an Napoléon gestellt, erfuhr man damals gar nicht, nur die Geschichte mit dem Hute erzählte man sich mit sehr unwahrscheinlichen Umständen. Die beiden Herren, so hieß es, seien in äußerst lebhaftem Gespräche auf und ab gegangen. Der Kaiser versuchte die Forderungen Oestreichs herabzustimmen, aber Metternich beharrte mit der höflichsten Entschiedenheit auf seinen Bedingungen. Der Kaiser ließ seinen Hut fallen, und erwartete, daß Metternich <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <p><pb facs="#f0379" n="367"/> Deutschlands von dem fremden Joche als eine Unmöglichkeit erschien. 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Er hatte den Kaiser von Oestreich kaum vor Jahresfrist mit dem äußersten Uebermuthe behandelt, und man wußte von dem treuherzigen Kaiser Franz, daß er in allen persönlichen Beziehungen sehr empfindlich sei. Endlich war auch bei den östreichischen Staatsmännern nicht alle deutsche Gesinnung erstorben. </p><lb/> <p>Welche Forderungen Graf Metternich in Dresden an Napoléon gestellt, erfuhr man damals gar nicht, nur die Geschichte mit dem Hute erzählte man sich mit sehr unwahrscheinlichen Umständen. Die beiden Herren, so hieß es, seien in äußerst lebhaftem Gespräche auf und ab gegangen. Der Kaiser versuchte die Forderungen Oestreichs herabzustimmen, aber Metternich beharrte mit der höflichsten Entschiedenheit auf seinen Bedingungen. Der Kaiser ließ seinen Hut fallen, und erwartete, daß Metternich </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [367/0379]
Deutschlands von dem fremden Joche als eine Unmöglichkeit erschien. Hatte doch damals selbst Göthe geäußert: Rüttelt nur an euren Ketten, der Mann ist euch zu groß!
Das Verhalten Oestreichs wurde mit einer fieberhaften Angst verfolgt, und es ist gar keine Frage, daß in jenem kritischen Momente das Schicksal Deutschlands in Oestreichs Händen lag. Trat es auf Napoléons Seite, und theilte mit ihm die Herrschaft über die mittleren und kleinen Staaten, so war Preußen allem menschlichen Ermessen nach verloren, und würde wohl kaum ein selbstständiges Reich geblieben sein. Stellte Oestreich sich dem französischen Kaiser entgegen, so mußte es gewärtig sein, nach vier großen Niederlagen noch eine fünfte zu erdulden. Aber Napoléon hatte es nie verstanden, die besiegten Völker zu seinen Verbündeten zu machen, noch weniger wußte er die besiegten Fürsten durch seine Persönlichkeit anzuziehn. Er hatte den Kaiser von Oestreich kaum vor Jahresfrist mit dem äußersten Uebermuthe behandelt, und man wußte von dem treuherzigen Kaiser Franz, daß er in allen persönlichen Beziehungen sehr empfindlich sei. Endlich war auch bei den östreichischen Staatsmännern nicht alle deutsche Gesinnung erstorben.
Welche Forderungen Graf Metternich in Dresden an Napoléon gestellt, erfuhr man damals gar nicht, nur die Geschichte mit dem Hute erzählte man sich mit sehr unwahrscheinlichen Umständen. Die beiden Herren, so hieß es, seien in äußerst lebhaftem Gespräche auf und ab gegangen. Der Kaiser versuchte die Forderungen Oestreichs herabzustimmen, aber Metternich beharrte mit der höflichsten Entschiedenheit auf seinen Bedingungen. Der Kaiser ließ seinen Hut fallen, und erwartete, daß Metternich
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 367. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/379>, abgerufen am 05.07.2024. |