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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].

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war eine sehr unscheinbare, nicht mehr junge Dame von feinen Sitten und geläufiger Zunge. Es schien ihr sehr angenehm zu sein, daß alle Tischgenossen französisch sprachen, und obgleich sie dies bei allen gebildeten Personen als selbstverständlich voraussetzte, so hatte sie doch, je mehr sie gegen den Norden vorrückte, zu ihrer Verwunderung nicht wenige Personen gefunden, welche kein französisch sprachen. Sie ergoss sich in vielfachen Klagen über das Unglück dieses Krieges, wodurch sie gezwungen werde, ihren Mann, den sie bisher niemals verlassen, nun auch noch nach dem kalten Rußland zu begleiten. Ihr Anzug war nichts weniger als elegant; die Grosmutter Eichmann bemerkte nach Tische, das Schnupftuch der Generalin müsse mehrere, ja vielleicht acht Tage alt gewesen sein. Der General war ein finstrer schweigsamer Mann, von dem mir keine deutliche Vorstellung geblieben. Nach wenigen Tagen ward der Reisewagen der Generalin von neuem gepackt, und nach einem höflichen, beinahe herzlichen Abschiede folgte sie ihrem, einen Tag früher ausgerückten Manne. Wer weiß, ob sie nicht beide in den Schneefeldern Rußlands geblieben sind. Sonderbar genug war es, daß ich noch lange nachher, wenn von den ungeheuren Verlusten der Franzosen in Rußland die Rede war, immer zuerst an diesen finstren General (dessen Namen ich mir nicht einmal gemerkt) und an seine Frau mit dem schmutzigen Schnupftuche denken mußte.

Bald darauf erhielten wir 2 Offiziere von der Pariser Nobelgarde zu Pferde; Napoleon bildete diese ausgewählte Schaar noch kurz vor dem Kriege aus den Söhnen der angesehensten und reichsten Pariser Familien. Sie hatten sich selbst equipirt, und standen den andern Truppen

war eine sehr unscheinbare, nicht mehr junge Dame von feinen Sitten und geläufiger Zunge. Es schien ihr sehr angenehm zu sein, daß alle Tischgenossen französisch sprachen, und obgleich sie dies bei allen gebildeten Personen als selbstverständlich voraussetzte, so hatte sie doch, je mehr sie gegen den Norden vorrückte, zu ihrer Verwunderung nicht wenige Personen gefunden, welche kein französisch sprachen. Sie ergoss sich in vielfachen Klagen über das Unglück dieses Krieges, wodurch sie gezwungen werde, ihren Mann, den sie bisher niemals verlassen, nun auch noch nach dem kalten Rußland zu begleiten. Ihr Anzug war nichts weniger als elegant; die Grosmutter Eichmann bemerkte nach Tische, das Schnupftuch der Generalin müsse mehrere, ja vielleicht acht Tage alt gewesen sein. Der General war ein finstrer schweigsamer Mann, von dem mir keine deutliche Vorstellung geblieben. Nach wenigen Tagen ward der Reisewagen der Generalin von neuem gepackt, und nach einem höflichen, beinahe herzlichen Abschiede folgte sie ihrem, einen Tag früher ausgerückten Manne. Wer weiß, ob sie nicht beide in den Schneefeldern Rußlands geblieben sind. Sonderbar genug war es, daß ich noch lange nachher, wenn von den ungeheuren Verlusten der Franzosen in Rußland die Rede war, immer zuerst an diesen finstren General (dessen Namen ich mir nicht einmal gemerkt) und an seine Frau mit dem schmutzigen Schnupftuche denken mußte.

Bald darauf erhielten wir 2 Offiziere von der Pariser Nobelgarde zu Pferde; Napoléon bildete diese ausgewählte Schaar noch kurz vor dem Kriege aus den Söhnen der angesehensten und reichsten Pariser Familien. Sie hatten sich selbst equipirt, und standen den andern Truppen

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war eine sehr unscheinbare, nicht mehr junge Dame von feinen Sitten und geläufiger Zunge. Es schien ihr sehr angenehm zu sein, daß alle Tischgenossen französisch sprachen, und obgleich sie dies bei allen gebildeten Personen als selbstverständlich voraussetzte, so hatte sie doch, je mehr sie gegen den Norden vorrückte, zu ihrer Verwunderung nicht wenige Personen gefunden, welche kein französisch sprachen. Sie ergoss sich in vielfachen Klagen über das Unglück dieses Krieges, wodurch sie gezwungen werde, ihren Mann, den sie bisher niemals verlassen, nun auch noch nach dem kalten Rußland zu begleiten. Ihr Anzug war nichts weniger als elegant; die Grosmutter Eichmann bemerkte nach Tische, das Schnupftuch der Generalin müsse mehrere, ja vielleicht acht Tage alt gewesen sein. Der General war ein finstrer schweigsamer Mann, von dem mir keine deutliche Vorstellung geblieben. Nach wenigen Tagen ward der Reisewagen der Generalin von neuem gepackt, und nach einem höflichen, beinahe herzlichen Abschiede folgte sie ihrem, einen Tag früher ausgerückten Manne. Wer weiß, ob sie nicht beide in den Schneefeldern Rußlands geblieben sind. Sonderbar genug war es, daß ich noch lange nachher, wenn von den ungeheuren Verlusten der Franzosen in Rußland die Rede war, immer zuerst an diesen finstren General (dessen Namen ich mir nicht einmal gemerkt) und an seine Frau mit dem schmutzigen Schnupftuche denken mußte. </p><lb/>
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[314/0326] war eine sehr unscheinbare, nicht mehr junge Dame von feinen Sitten und geläufiger Zunge. Es schien ihr sehr angenehm zu sein, daß alle Tischgenossen französisch sprachen, und obgleich sie dies bei allen gebildeten Personen als selbstverständlich voraussetzte, so hatte sie doch, je mehr sie gegen den Norden vorrückte, zu ihrer Verwunderung nicht wenige Personen gefunden, welche kein französisch sprachen. Sie ergoss sich in vielfachen Klagen über das Unglück dieses Krieges, wodurch sie gezwungen werde, ihren Mann, den sie bisher niemals verlassen, nun auch noch nach dem kalten Rußland zu begleiten. Ihr Anzug war nichts weniger als elegant; die Grosmutter Eichmann bemerkte nach Tische, das Schnupftuch der Generalin müsse mehrere, ja vielleicht acht Tage alt gewesen sein. Der General war ein finstrer schweigsamer Mann, von dem mir keine deutliche Vorstellung geblieben. Nach wenigen Tagen ward der Reisewagen der Generalin von neuem gepackt, und nach einem höflichen, beinahe herzlichen Abschiede folgte sie ihrem, einen Tag früher ausgerückten Manne. Wer weiß, ob sie nicht beide in den Schneefeldern Rußlands geblieben sind. Sonderbar genug war es, daß ich noch lange nachher, wenn von den ungeheuren Verlusten der Franzosen in Rußland die Rede war, immer zuerst an diesen finstren General (dessen Namen ich mir nicht einmal gemerkt) und an seine Frau mit dem schmutzigen Schnupftuche denken mußte. Bald darauf erhielten wir 2 Offiziere von der Pariser Nobelgarde zu Pferde; Napoléon bildete diese ausgewählte Schaar noch kurz vor dem Kriege aus den Söhnen der angesehensten und reichsten Pariser Familien. Sie hatten sich selbst equipirt, und standen den andern Truppen

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/326>, abgerufen am 22.11.2024.