Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].

Bild:
<< vorherige Seite
Französische Einquartirung 1812.

In den Zeiten der tiefsten Erniedrigung Preußens legten Stein, Hardenberg, Scharnhorst und ihre edlen Genossen ganz im Stillen den Grund zum Wiederaufbau des preußischen Vaterlandes durch die organischen Gesetze vom Jahre 1808, die den Rückschrittsleuten noch heute ein Dorn im Auge sind. Scharnhorst überreichte dem Könige Friedrich Wilhelm III. eine Denkschrift, worin die allgemeine Volksbewaffnung mit dem Systeme der Landwehr und des Landsturmes in großen Meisterzügen vorgezeichnet war. Der höchst beschränkte Gesichtskreis des Königs erlaubte ihm nicht, diese Idee zu fassen; wir erfuhren aus authentischer Quelle, nämlich durch den Onkel Eichmann aus dem Kabinette des Staatskanzlers, daß der König mit Bleistift an den Band geschrieben: "Poesie, lauter dummes Zeug!" Durch Steins gewichtigen Einfluß wurde jedoch der Plan durchgesetzt. Preußen durfte nach dem Tilsiter Frieden nur ein sehr beschränktes stehendes Heer halten; auch blieben gegen die Bedingungen des Friedens fast alle preußischen Festungen in französischen Händen. Es wurden nun von den preußischen Behörden in allen Provinzen die jungen Landleute von 18-24 Jahren ausgehoben, eingekleidet, einexercirt und nach 6-8

Französische Einquartirung 1812.

In den Zeiten der tiefsten Erniedrigung Preußens legten Stein, Hardenberg, Scharnhorst und ihre edlen Genossen ganz im Stillen den Grund zum Wiederaufbau des preußischen Vaterlandes durch die organischen Gesetze vom Jahre 1808, die den Rückschrittsleuten noch heute ein Dorn im Auge sind. Scharnhorst überreichte dem Könige Friedrich Wilhelm III. eine Denkschrift, worin die allgemeine Volksbewaffnung mit dem Systeme der Landwehr und des Landsturmes in großen Meisterzügen vorgezeichnet war. Der höchst beschränkte Gesichtskreis des Königs erlaubte ihm nicht, diese Idee zu fassen; wir erfuhren aus authentischer Quelle, nämlich durch den Onkel Eichmann aus dem Kabinette des Staatskanzlers, daß der König mit Bleistift an den Band geschrieben: „Poesie, lauter dummes Zeug!“ Durch Steins gewichtigen Einfluß wurde jedoch der Plan durchgesetzt. Preußen durfte nach dem Tilsiter Frieden nur ein sehr beschränktes stehendes Heer halten; auch blieben gegen die Bedingungen des Friedens fast alle preußischen Festungen in französischen Händen. Es wurden nun von den preußischen Behörden in allen Provinzen die jungen Landleute von 18–24 Jahren ausgehoben, eingekleidet, einexercirt und nach 6–8

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0319" n="307"/>
        <div>
          <head rendition="#c">Französische Einquartirung 1812.</head><lb/>
          <p>In den Zeiten der tiefsten Erniedrigung Preußens legten Stein, Hardenberg, Scharnhorst und ihre edlen Genossen ganz im Stillen den Grund zum Wiederaufbau des preußischen Vaterlandes durch die organischen Gesetze vom Jahre 1808, die den Rückschrittsleuten noch heute ein Dorn im Auge sind. Scharnhorst überreichte dem Könige Friedrich Wilhelm III. eine Denkschrift, worin die allgemeine Volksbewaffnung mit dem Systeme der Landwehr und des Landsturmes in großen Meisterzügen vorgezeichnet war. Der höchst beschränkte Gesichtskreis des Königs erlaubte ihm nicht, diese Idee zu fassen; wir erfuhren aus authentischer Quelle, nämlich durch den Onkel Eichmann aus dem Kabinette des Staatskanzlers, daß der König mit Bleistift an den Band geschrieben: &#x201E;Poesie, lauter dummes Zeug!&#x201C; Durch Steins gewichtigen Einfluß wurde jedoch der Plan durchgesetzt. Preußen durfte nach dem Tilsiter Frieden nur ein sehr beschränktes stehendes Heer halten; auch blieben gegen die Bedingungen des Friedens fast alle preußischen Festungen in französischen Händen. Es wurden nun von den preußischen Behörden in allen Provinzen die jungen Landleute von 18&#x2013;24 Jahren ausgehoben, eingekleidet, einexercirt und nach 6&#x2013;8
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[307/0319] Französische Einquartirung 1812. In den Zeiten der tiefsten Erniedrigung Preußens legten Stein, Hardenberg, Scharnhorst und ihre edlen Genossen ganz im Stillen den Grund zum Wiederaufbau des preußischen Vaterlandes durch die organischen Gesetze vom Jahre 1808, die den Rückschrittsleuten noch heute ein Dorn im Auge sind. Scharnhorst überreichte dem Könige Friedrich Wilhelm III. eine Denkschrift, worin die allgemeine Volksbewaffnung mit dem Systeme der Landwehr und des Landsturmes in großen Meisterzügen vorgezeichnet war. Der höchst beschränkte Gesichtskreis des Königs erlaubte ihm nicht, diese Idee zu fassen; wir erfuhren aus authentischer Quelle, nämlich durch den Onkel Eichmann aus dem Kabinette des Staatskanzlers, daß der König mit Bleistift an den Band geschrieben: „Poesie, lauter dummes Zeug!“ Durch Steins gewichtigen Einfluß wurde jedoch der Plan durchgesetzt. Preußen durfte nach dem Tilsiter Frieden nur ein sehr beschränktes stehendes Heer halten; auch blieben gegen die Bedingungen des Friedens fast alle preußischen Festungen in französischen Händen. Es wurden nun von den preußischen Behörden in allen Provinzen die jungen Landleute von 18–24 Jahren ausgehoben, eingekleidet, einexercirt und nach 6–8

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-01-07T13:04:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1) (2014-01-07T13:04:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/319
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/319>, abgerufen am 22.11.2024.