Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].hatte allerlei Uebel zur Folge, über die er sich vergeblich beklagte. Wenn wir ihn scherzweise an seinen Vers erinnerten Post coenam stabis vel passus mille meabis, und ihn aufforderten, seine Nachmittagsspaziergänge nicht zu unterlassen, so wurde er sehr böse, und behauptete, wir verstünden kein Latein; denn coena heiße nicht Mittagbrodt, sondern Abendbrodt. Darauf wurde ihm erwiedert, er mache sich ja auch nach dem Abendbrodt keine Bewegung; allein alles war umsonst: denn nun steifte er sich darauf, sein Abendbrodt sei so unbedeutend, daß er nicht nöthig habe, sich nachher noch die Füße abzulaufen. Im Jahre 1817 feierte er sein 50jähriges Dienstjubiläum: er war also i. J. 1767 eingetreten, nur 4 Jahre nach dem Schlusse des siebenjährigen Krieges, in der vollen Blütezeit der Regierung Friedrichs II. Welche Schicksale waren seitdem über den preußischen Staat dahingegangen, und mit welchen Gefühlen konnte der Grosvater an den ersten Aufschwung, an den trostlosen Fall und an die glorreiche Wiedererweckung der Monarchie zurückdenken! Im Jahre 1817 fehlte es noch gänzlich an dem jetzt allgemein gebräuchlichen Jubelapparate von Deputationen und Gratulationen, von Adressen und Festessen, von Ordensverleihungen und silbernen Bechern mit obligater Begleitung von wohlgesetzten Reden. Daher wurde das grosväterliche Fest sehr still, aber desto heiterer, in unserem Familienkreise bei einigen Flaschen Champagner begangen. In den letzten Lebensjahren verlor sich seine frühere Munterkeit fast ganz. Niemand konnte ihm etwas recht hatte allerlei Uebel zur Folge, über die er sich vergeblich beklagte. Wenn wir ihn scherzweise an seinen Vers erinnerten Post coenam stabis vel passus mille meabis, und ihn aufforderten, seine Nachmittagsspaziergänge nicht zu unterlassen, so wurde er sehr böse, und behauptete, wir verstünden kein Latein; denn coena heiße nicht Mittagbrodt, sondern Abendbrodt. Darauf wurde ihm erwiedert, er mache sich ja auch nach dem Abendbrodt keine Bewegung; allein alles war umsonst: denn nun steifte er sich darauf, sein Abendbrodt sei so unbedeutend, daß er nicht nöthig habe, sich nachher noch die Füße abzulaufen. Im Jahre 1817 feierte er sein 50jähriges Dienstjubiläum: er war also i. J. 1767 eingetreten, nur 4 Jahre nach dem Schlusse des siebenjährigen Krieges, in der vollen Blütezeit der Regierung Friedrichs II. Welche Schicksale waren seitdem über den preußischen Staat dahingegangen, und mit welchen Gefühlen konnte der Grosvater an den ersten Aufschwung, an den trostlosen Fall und an die glorreiche Wiedererweckung der Monarchie zurückdenken! Im Jahre 1817 fehlte es noch gänzlich an dem jetzt allgemein gebräuchlichen Jubelapparate von Deputationen und Gratulationen, von Adressen und Festessen, von Ordensverleihungen und silbernen Bechern mit obligater Begleitung von wohlgesetzten Reden. Daher wurde das grosväterliche Fest sehr still, aber desto heiterer, in unserem Familienkreise bei einigen Flaschen Champagner begangen. In den letzten Lebensjahren verlor sich seine frühere Munterkeit fast ganz. Niemand konnte ihm etwas recht <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div> <p><pb facs="#f0258" n="246"/> hatte allerlei Uebel zur Folge, über die er sich vergeblich beklagte. Wenn wir ihn scherzweise an seinen Vers erinnerten </p><lb/> <p rendition="#c">Post coenam stabis vel passus mille meabis,</p><lb/> <p>und ihn aufforderten, seine Nachmittagsspaziergänge nicht zu unterlassen, so wurde er sehr böse, und behauptete, wir verstünden kein Latein; denn coena heiße nicht Mittagbrodt, sondern Abendbrodt. Darauf wurde ihm erwiedert, er mache sich ja auch nach dem Abendbrodt keine Bewegung; allein alles war umsonst: denn nun steifte er sich darauf, sein Abendbrodt sei so unbedeutend, daß er nicht nöthig habe, sich nachher noch die Füße abzulaufen. </p><lb/> <p>Im Jahre 1817 feierte er sein 50jähriges Dienstjubiläum: er war also i. J. 1767 eingetreten, nur 4 Jahre nach dem Schlusse des siebenjährigen Krieges, in der vollen Blütezeit der Regierung Friedrichs II. Welche Schicksale waren seitdem über den preußischen Staat dahingegangen, und mit welchen Gefühlen konnte der Grosvater an den ersten Aufschwung, an den trostlosen Fall und an die glorreiche Wiedererweckung der Monarchie zurückdenken! Im Jahre 1817 fehlte es noch gänzlich an dem jetzt allgemein gebräuchlichen Jubelapparate von Deputationen und Gratulationen, von Adressen und Festessen, von Ordensverleihungen und silbernen Bechern mit obligater Begleitung von wohlgesetzten Reden. Daher wurde das grosväterliche Fest sehr still, aber desto heiterer, in unserem Familienkreise bei einigen Flaschen Champagner begangen. </p><lb/> <p>In den letzten Lebensjahren verlor sich seine frühere Munterkeit fast ganz. Niemand konnte ihm etwas recht </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [246/0258]
hatte allerlei Uebel zur Folge, über die er sich vergeblich beklagte. Wenn wir ihn scherzweise an seinen Vers erinnerten
Post coenam stabis vel passus mille meabis,
und ihn aufforderten, seine Nachmittagsspaziergänge nicht zu unterlassen, so wurde er sehr böse, und behauptete, wir verstünden kein Latein; denn coena heiße nicht Mittagbrodt, sondern Abendbrodt. Darauf wurde ihm erwiedert, er mache sich ja auch nach dem Abendbrodt keine Bewegung; allein alles war umsonst: denn nun steifte er sich darauf, sein Abendbrodt sei so unbedeutend, daß er nicht nöthig habe, sich nachher noch die Füße abzulaufen.
Im Jahre 1817 feierte er sein 50jähriges Dienstjubiläum: er war also i. J. 1767 eingetreten, nur 4 Jahre nach dem Schlusse des siebenjährigen Krieges, in der vollen Blütezeit der Regierung Friedrichs II. Welche Schicksale waren seitdem über den preußischen Staat dahingegangen, und mit welchen Gefühlen konnte der Grosvater an den ersten Aufschwung, an den trostlosen Fall und an die glorreiche Wiedererweckung der Monarchie zurückdenken! Im Jahre 1817 fehlte es noch gänzlich an dem jetzt allgemein gebräuchlichen Jubelapparate von Deputationen und Gratulationen, von Adressen und Festessen, von Ordensverleihungen und silbernen Bechern mit obligater Begleitung von wohlgesetzten Reden. Daher wurde das grosväterliche Fest sehr still, aber desto heiterer, in unserem Familienkreise bei einigen Flaschen Champagner begangen.
In den letzten Lebensjahren verlor sich seine frühere Munterkeit fast ganz. Niemand konnte ihm etwas recht
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/258>, abgerufen am 17.07.2024. |