Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].Staatskanzler Hardenberg, waren wir wegen seines spashaften Wesens sehr zugethan, obgleich er sich nicht viel mit den Kindern abzugeben pflegte. Er war von untersetzter Figur und straffer Haltung. Sein heitres Gesicht wurde durch die Spuren der Blattern entstellt, die er in seiner Jugend durchgemacht. Das Kinn war ihm förmlich zerschnitten, so daß man es anfangs nicht ohne Grauen ansehn konnte. Beim Mittagstische des Grosvaters Eichmann erzählte er unaufhörlich die lustigsten Geschichten, von denen manche sich meinem Gedächtnisse einprägten. "Willem", sagte er eines Tages zu seinem Bruder, "nun habe ich meine beiden ältesten Jungens auf die Universität gegeben, wo sie recht fleißig studiren und sich auf dem Fechtboden exerciren. Kuriose Einrichtungen sind bei den Studenten im Schwange. So haben sie mich versichert, es sei die gröste Beleidigung, wenn einer zum anderen sage: dummer Junge; darauf müsse sogleich eine Herausforderung folgen. Da habe ich ihnen eine Geschichte aus Preußisch-Minden erzählt, wo in unserer Jugend die Passions-Prozessionen noch gehalten wurden. Man hatte einmal einen starken Müllergesellen gewählt, der das Kreuz schleppen, und sich vom Volke mußte verspotten lassen. Er hörte die ärgsten Schimpfreden mit allem Gleichmuthe, als ihm aber einer zurief: Mehldief! da sagte er: du Hundsfott! stünd' ik nich hier an unseres Herrgottes Statt, ik wollte di den Mehldief eintränken!" Onkel Eichmanns ältester Sohn Julius studirte die Forstwissenschaften. Da er viel älter war als ich, so hatte ich kein rechtes Verhältniß zu ihm. Der zweite Sohn Franz, jetzt (1866) Oberpräsident der Provinz Preußen, widmete mir stets ein herzliches Wohlwollen. Als Gros- Staatskanzler Hardenberg, waren wir wegen seines spashaften Wesens sehr zugethan, obgleich er sich nicht viel mit den Kindern abzugeben pflegte. Er war von untersetzter Figur und straffer Haltung. Sein heitres Gesicht wurde durch die Spuren der Blattern entstellt, die er in seiner Jugend durchgemacht. Das Kinn war ihm förmlich zerschnitten, so daß man es anfangs nicht ohne Grauen ansehn konnte. Beim Mittagstische des Grosvaters Eichmann erzählte er unaufhörlich die lustigsten Geschichten, von denen manche sich meinem Gedächtnisse einprägten. „Willem“, sagte er eines Tages zu seinem Bruder, „nun habe ich meine beiden ältesten Jungens auf die Universität gegeben, wo sie recht fleißig studiren und sich auf dem Fechtboden exerciren. Kuriose Einrichtungen sind bei den Studenten im Schwange. So haben sie mich versichert, es sei die gröste Beleidigung, wenn einer zum anderen sage: dummer Junge; darauf müsse sogleich eine Herausforderung folgen. Da habe ich ihnen eine Geschichte aus Preußisch-Minden erzählt, wo in unserer Jugend die Passions-Prozessionen noch gehalten wurden. Man hatte einmal einen starken Müllergesellen gewählt, der das Kreuz schleppen, und sich vom Volke mußte verspotten lassen. Er hörte die ärgsten Schimpfreden mit allem Gleichmuthe, als ihm aber einer zurief: Mehldief! da sagte er: du Hundsfott! stünd’ ik nich hier an unseres Herrgottes Statt, ik wollte di den Mehldief eintränken!“ Onkel Eichmanns ältester Sohn Julius studirte die Forstwissenschaften. Da er viel älter war als ich, so hatte ich kein rechtes Verhältniß zu ihm. Der zweite Sohn Franz, jetzt (1866) Oberpräsident der Provinz Preußen, widmete mir stets ein herzliches Wohlwollen. Als Gros- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div> <p><pb facs="#f0241" n="229"/> Staatskanzler Hardenberg, waren wir wegen seines spashaften Wesens sehr zugethan, obgleich er sich nicht viel mit den Kindern abzugeben pflegte. Er war von untersetzter Figur und straffer Haltung. Sein heitres Gesicht wurde durch die Spuren der Blattern entstellt, die er in seiner Jugend durchgemacht. Das Kinn war ihm förmlich zerschnitten, so daß man es anfangs nicht ohne Grauen ansehn konnte. Beim Mittagstische des Grosvaters Eichmann erzählte er unaufhörlich die lustigsten Geschichten, von denen manche sich meinem Gedächtnisse einprägten. </p><lb/> <p>„Willem“, sagte er eines Tages zu seinem Bruder, „nun habe ich meine beiden ältesten Jungens auf die Universität gegeben, wo sie recht fleißig studiren und sich auf dem Fechtboden exerciren. Kuriose Einrichtungen sind bei den Studenten im Schwange. So haben sie mich versichert, es sei die gröste Beleidigung, wenn einer zum anderen sage: dummer Junge; darauf müsse sogleich eine Herausforderung folgen. Da habe ich ihnen eine Geschichte aus Preußisch-Minden erzählt, wo in unserer Jugend die Passions-Prozessionen noch gehalten wurden. Man hatte einmal einen starken Müllergesellen gewählt, der das Kreuz schleppen, und sich vom Volke mußte verspotten lassen. Er hörte die ärgsten Schimpfreden mit allem Gleichmuthe, als ihm aber einer zurief: Mehldief! da sagte er: du Hundsfott! stünd’ ik nich hier an unseres Herrgottes Statt, ik wollte di den Mehldief eintränken!“ </p><lb/> <p>Onkel Eichmanns ältester Sohn Julius studirte die Forstwissenschaften. Da er viel älter war als ich, so hatte ich kein rechtes Verhältniß zu ihm. Der zweite Sohn Franz, jetzt (1866) Oberpräsident der Provinz Preußen, widmete mir stets ein herzliches Wohlwollen. Als Gros- </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [229/0241]
Staatskanzler Hardenberg, waren wir wegen seines spashaften Wesens sehr zugethan, obgleich er sich nicht viel mit den Kindern abzugeben pflegte. Er war von untersetzter Figur und straffer Haltung. Sein heitres Gesicht wurde durch die Spuren der Blattern entstellt, die er in seiner Jugend durchgemacht. Das Kinn war ihm förmlich zerschnitten, so daß man es anfangs nicht ohne Grauen ansehn konnte. Beim Mittagstische des Grosvaters Eichmann erzählte er unaufhörlich die lustigsten Geschichten, von denen manche sich meinem Gedächtnisse einprägten.
„Willem“, sagte er eines Tages zu seinem Bruder, „nun habe ich meine beiden ältesten Jungens auf die Universität gegeben, wo sie recht fleißig studiren und sich auf dem Fechtboden exerciren. Kuriose Einrichtungen sind bei den Studenten im Schwange. So haben sie mich versichert, es sei die gröste Beleidigung, wenn einer zum anderen sage: dummer Junge; darauf müsse sogleich eine Herausforderung folgen. Da habe ich ihnen eine Geschichte aus Preußisch-Minden erzählt, wo in unserer Jugend die Passions-Prozessionen noch gehalten wurden. Man hatte einmal einen starken Müllergesellen gewählt, der das Kreuz schleppen, und sich vom Volke mußte verspotten lassen. Er hörte die ärgsten Schimpfreden mit allem Gleichmuthe, als ihm aber einer zurief: Mehldief! da sagte er: du Hundsfott! stünd’ ik nich hier an unseres Herrgottes Statt, ik wollte di den Mehldief eintränken!“
Onkel Eichmanns ältester Sohn Julius studirte die Forstwissenschaften. Da er viel älter war als ich, so hatte ich kein rechtes Verhältniß zu ihm. Der zweite Sohn Franz, jetzt (1866) Oberpräsident der Provinz Preußen, widmete mir stets ein herzliches Wohlwollen. Als Gros-
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