Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].gehörte er zu den Koryphäen; wir waren stolz darauf, seine näheren Freunde zu sein; beim Gerwerfen hinderte ihn sein kurzes Gesicht, auch als der erste dazustehn. Aller Verweichlichung wurde von den Turnern der Krieg erklärt. Einfache Kost diente zur Stärkung des Körpers; alle Arten von Spirituosen, so wie Kuchen und andre Süßigkeiten verfielen dem Interdikt. Als einstmals bemerkt wurde, daß einige zuschauende Bürgersleute sich in das Gras setzten und Kuchen verzehrten, so erhielt das ganze, jenseit des Grabens befindliche Publikum den Namen "Kuchenbäcker". Für einen ächten und rechten Turner zerfiel nun die ganze Menschheit in 2 Klassen, in Turner und in Kuchenbäcker. Französische Ausdrücke wurden so viel als möglich vermieden; voltigiren hieß schwingen, raisonniren hieß lallen, das Rappier hieß das Fechtel, der Versammlungsplatz hieß kürzer der Tie, wohin wir durch eine hölzerne Klapper zusammenberufen wurden. Jahn leitete die Anstalt mit großer Einsicht, indem er eben jedem seinen freien Willen ließ, und dabei sein Ziel, eine Kräftigung der Jugend durch körperliche Uebungen, unverrückt im Auge behielt. In seinen Stadtgesprächen soll er oft gegen die Regierung und die Minister ein loses Maul gehabt haben, was ich dahingestellt sein lasse, da ich ihm nicht näher getreten bin; daß er uns auf dem Turnplatze niemals staatsverbrecherische oder gemeingefährliche Grundsätze beigebracht, kann ich der Wahrheit gemäß bezeugen. Er war kein großer Redner, aber was er mit kräftiger Stimme, manchmal nicht ohne Stocken vorbrachte, verfehlte nie seine Wirkung: denn es kam aus dem Herzen. Seine Verhaftung und sein langer geheimnißvoller Prozeß erregten eben so viel Erstaunen als Un- gehörte er zu den Koryphäen; wir waren stolz darauf, seine näheren Freunde zu sein; beim Gerwerfen hinderte ihn sein kurzes Gesicht, auch als der erste dazustehn. Aller Verweichlichung wurde von den Turnern der Krieg erklärt. Einfache Kost diente zur Stärkung des Körpers; alle Arten von Spirituosen, so wie Kuchen und andre Süßigkeiten verfielen dem Interdikt. Als einstmals bemerkt wurde, daß einige zuschauende Bürgersleute sich in das Gras setzten und Kuchen verzehrten, so erhielt das ganze, jenseit des Grabens befindliche Publikum den Namen „Kuchenbäcker“. Für einen ächten und rechten Turner zerfiel nun die ganze Menschheit in 2 Klassen, in Turner und in Kuchenbäcker. Französische Ausdrücke wurden so viel als möglich vermieden; voltigiren hieß schwingen, raisonniren hieß lallen, das Rappier hieß das Fechtel, der Versammlungsplatz hieß kürzer der Tie, wohin wir durch eine hölzerne Klapper zusammenberufen wurden. Jahn leitete die Anstalt mit großer Einsicht, indem er eben jedem seinen freien Willen ließ, und dabei sein Ziel, eine Kräftigung der Jugend durch körperliche Uebungen, unverrückt im Auge behielt. In seinen Stadtgesprächen soll er oft gegen die Regierung und die Minister ein loses Maul gehabt haben, was ich dahingestellt sein lasse, da ich ihm nicht näher getreten bin; daß er uns auf dem Turnplatze niemals staatsverbrecherische oder gemeingefährliche Grundsätze beigebracht, kann ich der Wahrheit gemäß bezeugen. Er war kein großer Redner, aber was er mit kräftiger Stimme, manchmal nicht ohne Stocken vorbrachte, verfehlte nie seine Wirkung: denn es kam aus dem Herzen. Seine Verhaftung und sein langer geheimnißvoller Prozeß erregten eben so viel Erstaunen als Un- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <p><pb facs="#f0205" n="193"/> gehörte er zu den Koryphäen; wir waren stolz darauf, seine näheren Freunde zu sein; beim Gerwerfen hinderte ihn sein kurzes Gesicht, auch als der erste dazustehn. </p><lb/> <p>Aller Verweichlichung wurde von den Turnern der Krieg erklärt. 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In seinen Stadtgesprächen soll er oft gegen die Regierung und die Minister ein loses Maul gehabt haben, was ich dahingestellt sein lasse, da ich ihm nicht näher getreten bin; daß er uns auf dem Turnplatze niemals staatsverbrecherische oder gemeingefährliche Grundsätze beigebracht, kann ich der Wahrheit gemäß bezeugen. Er war kein großer Redner, aber was er mit kräftiger Stimme, manchmal nicht ohne Stocken vorbrachte, verfehlte nie seine Wirkung: denn es kam aus dem Herzen. Seine Verhaftung und sein langer geheimnißvoller Prozeß erregten eben so viel Erstaunen als Un- </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [193/0205]
gehörte er zu den Koryphäen; wir waren stolz darauf, seine näheren Freunde zu sein; beim Gerwerfen hinderte ihn sein kurzes Gesicht, auch als der erste dazustehn.
Aller Verweichlichung wurde von den Turnern der Krieg erklärt. Einfache Kost diente zur Stärkung des Körpers; alle Arten von Spirituosen, so wie Kuchen und andre Süßigkeiten verfielen dem Interdikt. Als einstmals bemerkt wurde, daß einige zuschauende Bürgersleute sich in das Gras setzten und Kuchen verzehrten, so erhielt das ganze, jenseit des Grabens befindliche Publikum den Namen „Kuchenbäcker“. Für einen ächten und rechten Turner zerfiel nun die ganze Menschheit in 2 Klassen, in Turner und in Kuchenbäcker. Französische Ausdrücke wurden so viel als möglich vermieden; voltigiren hieß schwingen, raisonniren hieß lallen, das Rappier hieß das Fechtel, der Versammlungsplatz hieß kürzer der Tie, wohin wir durch eine hölzerne Klapper zusammenberufen wurden.
Jahn leitete die Anstalt mit großer Einsicht, indem er eben jedem seinen freien Willen ließ, und dabei sein Ziel, eine Kräftigung der Jugend durch körperliche Uebungen, unverrückt im Auge behielt. In seinen Stadtgesprächen soll er oft gegen die Regierung und die Minister ein loses Maul gehabt haben, was ich dahingestellt sein lasse, da ich ihm nicht näher getreten bin; daß er uns auf dem Turnplatze niemals staatsverbrecherische oder gemeingefährliche Grundsätze beigebracht, kann ich der Wahrheit gemäß bezeugen. Er war kein großer Redner, aber was er mit kräftiger Stimme, manchmal nicht ohne Stocken vorbrachte, verfehlte nie seine Wirkung: denn es kam aus dem Herzen. Seine Verhaftung und sein langer geheimnißvoller Prozeß erregten eben so viel Erstaunen als Un-
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/205>, abgerufen am 16.07.2024. |