Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].den Mantel des Geheimnisses hüllt, konnte ich nicht viel halten. Ich vermochte ihn nun sehr bald, den Band des Göthe mitzunehmen, worin Iphigenia, Tasso etc. enthalten waren. Dies wirkte, und ich hatte die Freude zu sehn, daß er den Göthe eifrig las, und mit der Zeit noch besser darin Bescheid wußte als ich. Paul hatte sich früh in kleinen Lustspielen und andern dramatischen Arbeiten versucht, nun sagte er mir eines Tages ganz aufrichtig, daß er, so lange Werner sein Ideal gewesen, gehofft habe, in der Poesie selbst etwas leisten zu können, seitdem er aber Göthe gelesen, sei diese Einbildung gänzlich verschwunden. Waren nun so die Grundanschauungen unserer Seelen in der schönsten Uebereinstimmung, so fehlte es doch nicht an secundären Punkten, über die wir verschiedene Meinungen hegten. Dies gab aber erst die rechte Würze des Gespräches. Wenn zwei alte Leute sich mit einander unterhalten, so wird als selbstverständlich vorausgesetzt, daß jeder den andern bei seiner einmal gefaßten Meinung belasse, aber die vordringliche Jugend giebt sich dem süßen Wahne hin, ihre Ueberzeugung der ganzen Welt aufdringen zu können. Daher verging fast kein Tag, wo ich nicht mit Paul im Scherz oder Ernst aufs heftigste disputirte. Da mir immer nur die Sache am Herzen lag, Paul aber mir in der Dialektik überlegen war, so wußte ich ihn durch zähes Festhalten an demselben Punkte zu den abentheuerlichsten Behauptungen hinaufzuschrauben, worauf der Streit gewöhnlich durch ein herzliches Gelächter beendigt ward. Paul war ein ächter Bücherfreund, der sich für alle Arten von philologisch-wichtigen oder antiquarisch-seltenen Werken interessirte. In unserm Kreise hieß er der Bü den Mantel des Geheimnisses hüllt, konnte ich nicht viel halten. Ich vermochte ihn nun sehr bald, den Band des Göthe mitzunehmen, worin Iphigenia, Tasso etc. enthalten waren. Dies wirkte, und ich hatte die Freude zu sehn, daß er den Göthe eifrig las, und mit der Zeit noch besser darin Bescheid wußte als ich. Paul hatte sich früh in kleinen Lustspielen und andern dramatischen Arbeiten versucht, nun sagte er mir eines Tages ganz aufrichtig, daß er, so lange Werner sein Ideal gewesen, gehofft habe, in der Poesie selbst etwas leisten zu können, seitdem er aber Göthe gelesen, sei diese Einbildung gänzlich verschwunden. Waren nun so die Grundanschauungen unserer Seelen in der schönsten Uebereinstimmung, so fehlte es doch nicht an secundären Punkten, über die wir verschiedene Meinungen hegten. Dies gab aber erst die rechte Würze des Gespräches. Wenn zwei alte Leute sich mit einander unterhalten, so wird als selbstverständlich vorausgesetzt, daß jeder den andern bei seiner einmal gefaßten Meinung belasse, aber die vordringliche Jugend giebt sich dem süßen Wahne hin, ihre Ueberzeugung der ganzen Welt aufdringen zu können. Daher verging fast kein Tag, wo ich nicht mit Paul im Scherz oder Ernst aufs heftigste disputirte. Da mir immer nur die Sache am Herzen lag, Paul aber mir in der Dialektik überlegen war, so wußte ich ihn durch zähes Festhalten an demselben Punkte zu den abentheuerlichsten Behauptungen hinaufzuschrauben, worauf der Streit gewöhnlich durch ein herzliches Gelächter beendigt ward. Paul war ein ächter Bücherfreund, der sich für alle Arten von philologisch-wichtigen oder antiquarisch-seltenen Werken interessirte. In unserm Kreise hieß er der Bü <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <p><pb facs="#f0200" n="188"/> den Mantel des Geheimnisses hüllt, konnte ich nicht viel halten. Ich vermochte ihn nun sehr bald, den Band des Göthe mitzunehmen, worin Iphigenia, Tasso etc. enthalten waren. Dies wirkte, und ich hatte die Freude zu sehn, daß er den Göthe eifrig las, und mit der Zeit noch besser darin Bescheid wußte als ich. Paul hatte sich früh in kleinen Lustspielen und andern dramatischen Arbeiten versucht, nun sagte er mir eines Tages ganz aufrichtig, daß er, so lange Werner sein Ideal gewesen, gehofft habe, in der Poesie selbst etwas leisten zu können, seitdem er aber Göthe gelesen, sei diese Einbildung gänzlich verschwunden. </p><lb/> <p>Waren nun so die Grundanschauungen unserer Seelen in der schönsten Uebereinstimmung, so fehlte es doch nicht an secundären Punkten, über die wir verschiedene Meinungen hegten. Dies gab aber erst die rechte Würze des Gespräches. Wenn zwei alte Leute sich mit einander unterhalten, so wird als selbstverständlich vorausgesetzt, daß jeder den andern bei seiner einmal gefaßten Meinung belasse, aber die vordringliche Jugend giebt sich dem süßen Wahne hin, ihre Ueberzeugung der ganzen Welt aufdringen zu können. Daher verging fast kein Tag, wo ich nicht mit Paul im Scherz oder Ernst aufs heftigste disputirte. Da mir immer nur die Sache am Herzen lag, Paul aber mir in der Dialektik überlegen war, so wußte ich ihn durch zähes Festhalten an demselben Punkte zu den abentheuerlichsten Behauptungen hinaufzuschrauben, worauf der Streit gewöhnlich durch ein herzliches Gelächter beendigt ward. </p><lb/> <p>Paul war ein ächter Bücherfreund, der sich für alle Arten von philologisch-wichtigen oder antiquarisch-seltenen Werken interessirte. In unserm Kreise hieß er der Bü </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [188/0200]
den Mantel des Geheimnisses hüllt, konnte ich nicht viel halten. Ich vermochte ihn nun sehr bald, den Band des Göthe mitzunehmen, worin Iphigenia, Tasso etc. enthalten waren. Dies wirkte, und ich hatte die Freude zu sehn, daß er den Göthe eifrig las, und mit der Zeit noch besser darin Bescheid wußte als ich. Paul hatte sich früh in kleinen Lustspielen und andern dramatischen Arbeiten versucht, nun sagte er mir eines Tages ganz aufrichtig, daß er, so lange Werner sein Ideal gewesen, gehofft habe, in der Poesie selbst etwas leisten zu können, seitdem er aber Göthe gelesen, sei diese Einbildung gänzlich verschwunden.
Waren nun so die Grundanschauungen unserer Seelen in der schönsten Uebereinstimmung, so fehlte es doch nicht an secundären Punkten, über die wir verschiedene Meinungen hegten. Dies gab aber erst die rechte Würze des Gespräches. Wenn zwei alte Leute sich mit einander unterhalten, so wird als selbstverständlich vorausgesetzt, daß jeder den andern bei seiner einmal gefaßten Meinung belasse, aber die vordringliche Jugend giebt sich dem süßen Wahne hin, ihre Ueberzeugung der ganzen Welt aufdringen zu können. Daher verging fast kein Tag, wo ich nicht mit Paul im Scherz oder Ernst aufs heftigste disputirte. Da mir immer nur die Sache am Herzen lag, Paul aber mir in der Dialektik überlegen war, so wußte ich ihn durch zähes Festhalten an demselben Punkte zu den abentheuerlichsten Behauptungen hinaufzuschrauben, worauf der Streit gewöhnlich durch ein herzliches Gelächter beendigt ward.
Paul war ein ächter Bücherfreund, der sich für alle Arten von philologisch-wichtigen oder antiquarisch-seltenen Werken interessirte. In unserm Kreise hieß er der Bü
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