Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].

Bild:
<< vorherige Seite

Schränken und Kasten ungestört kramen durften. Das Nürnberger Zauberbuch wurde bald in dem kleinen Tischkasten neben dem Sopha entdeckt, und triumphirend aus seinem Versteck hervorgezogen; allein es verlor allen Reiz, nachdem wir den Mechanismus begriffen hatten.

Noch ein Umstand trug mächtig dazu bei, uns die große Stube weit angenehmer als früher zu machen. Wenn wir bei dem Grosvater Nicolai gesessen hatten, so kam nach Tische der alte Friedrich mit einem kleinen Kohlenbecken herein, und streute einige Wacholderkörner darauf. Dieser Geruch war meiner Schwester und mir tödtlich zuwider, und wir suchten den Athem so lange anzuhalten, bis die Dämpfe sich verzogen; allein der Geruch hatte sich nun einmal in der ganzen Stube festgesetzt. Mein Vater dagegen hielt sich Fläschchen von einem schönen Königsräucherpulver, und schüttete etwas davon in die warme Ofenröhre. Das veränderte nach und nach die ganze Atmosphäre, und wir labten uns an dem belebenden Wohlgeruche.

Meine Mutter bezog ein schönes Zimmer vorn heraus, das indessen durch die ganze Diagonale des weitläufigen Hauses von dem Zimmer des Vaters getrennt war. Dies hatte zwar für die Wirtschaft manche Unbequemlichkeit, war aber nicht zu ändern, und erregte den Kindern die gröste Lust. Um vom Vater zur Mutter zu gelangen, schlüpfte man durch die Vexirthür in die kleine Bücherstube, trabte durch den hohen Bibliotheksaal, jagte über die schallende Gallerie, und gelangte durch die Entree und den Eßsaal endlich in die blaue Stube der Mutter. Ein kürzerer Weg führte durch die Küche und die Schlafstuben, aber auf diesem hatte man 8 Thüren zu passiren, auf dem andern nur 6.

Schränken und Kasten ungestört kramen durften. Das Nürnberger Zauberbuch wurde bald in dem kleinen Tischkasten neben dem Sopha entdeckt, und triumphirend aus seinem Versteck hervorgezogen; allein es verlor allen Reiz, nachdem wir den Mechanismus begriffen hatten.

Noch ein Umstand trug mächtig dazu bei, uns die große Stube weit angenehmer als früher zu machen. Wenn wir bei dem Grosvater Nicolai gesessen hatten, so kam nach Tische der alte Friedrich mit einem kleinen Kohlenbecken herein, und streute einige Wacholderkörner darauf. Dieser Geruch war meiner Schwester und mir tödtlich zuwider, und wir suchten den Athem so lange anzuhalten, bis die Dämpfe sich verzogen; allein der Geruch hatte sich nun einmal in der ganzen Stube festgesetzt. Mein Vater dagegen hielt sich Fläschchen von einem schönen Königsräucherpulver, und schüttete etwas davon in die warme Ofenröhre. Das veränderte nach und nach die ganze Atmosphäre, und wir labten uns an dem belebenden Wohlgeruche.

Meine Mutter bezog ein schönes Zimmer vorn heraus, das indessen durch die ganze Diagonale des weitläufigen Hauses von dem Zimmer des Vaters getrennt war. Dies hatte zwar für die Wirtschaft manche Unbequemlichkeit, war aber nicht zu ändern, und erregte den Kindern die gröste Lust. Um vom Vater zur Mutter zu gelangen, schlüpfte man durch die Vexirthür in die kleine Bücherstube, trabte durch den hohen Bibliotheksaal, jagte über die schallende Gallerie, und gelangte durch die Entree und den Eßsaal endlich in die blaue Stube der Mutter. Ein kürzerer Weg führte durch die Küche und die Schlafstuben, aber auf diesem hatte man 8 Thüren zu passiren, auf dem andern nur 6.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="1">
          <p><pb facs="#f0170" n="158"/>
Schränken und Kasten ungestört kramen durften. Das Nürnberger Zauberbuch wurde bald in dem kleinen Tischkasten neben dem Sopha entdeckt, und triumphirend aus seinem Versteck hervorgezogen; allein es verlor allen Reiz, nachdem wir den Mechanismus begriffen hatten. </p><lb/>
          <p>Noch ein Umstand trug mächtig dazu bei, uns die große Stube weit angenehmer als früher zu machen. Wenn wir bei dem Grosvater Nicolai gesessen hatten, so kam nach Tische der alte Friedrich mit einem kleinen Kohlenbecken herein, und streute einige Wacholderkörner darauf. Dieser Geruch war meiner Schwester und mir tödtlich zuwider, und wir suchten den Athem so lange anzuhalten, bis die Dämpfe sich verzogen; allein der Geruch hatte sich nun einmal in der ganzen Stube festgesetzt. Mein Vater dagegen hielt sich Fläschchen von einem schönen Königsräucherpulver, und schüttete etwas davon in die warme Ofenröhre. Das veränderte nach und nach die ganze Atmosphäre, und wir labten uns an dem belebenden Wohlgeruche. </p><lb/>
          <p>Meine Mutter bezog ein schönes Zimmer vorn heraus, das indessen durch die ganze Diagonale des weitläufigen Hauses von dem Zimmer des Vaters getrennt war. Dies hatte zwar für die Wirtschaft manche Unbequemlichkeit, war aber nicht zu ändern, und erregte den Kindern die gröste Lust. Um vom Vater zur Mutter zu gelangen, schlüpfte man durch die Vexirthür in die kleine Bücherstube, trabte durch den hohen Bibliotheksaal, jagte über die schallende Gallerie, und gelangte durch die Entree und den Eßsaal endlich in die blaue Stube der Mutter. Ein kürzerer Weg führte durch die Küche und die Schlafstuben, aber auf diesem hatte man 8 Thüren zu passiren, auf dem andern nur 6.
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[158/0170] Schränken und Kasten ungestört kramen durften. Das Nürnberger Zauberbuch wurde bald in dem kleinen Tischkasten neben dem Sopha entdeckt, und triumphirend aus seinem Versteck hervorgezogen; allein es verlor allen Reiz, nachdem wir den Mechanismus begriffen hatten. Noch ein Umstand trug mächtig dazu bei, uns die große Stube weit angenehmer als früher zu machen. Wenn wir bei dem Grosvater Nicolai gesessen hatten, so kam nach Tische der alte Friedrich mit einem kleinen Kohlenbecken herein, und streute einige Wacholderkörner darauf. Dieser Geruch war meiner Schwester und mir tödtlich zuwider, und wir suchten den Athem so lange anzuhalten, bis die Dämpfe sich verzogen; allein der Geruch hatte sich nun einmal in der ganzen Stube festgesetzt. Mein Vater dagegen hielt sich Fläschchen von einem schönen Königsräucherpulver, und schüttete etwas davon in die warme Ofenröhre. Das veränderte nach und nach die ganze Atmosphäre, und wir labten uns an dem belebenden Wohlgeruche. Meine Mutter bezog ein schönes Zimmer vorn heraus, das indessen durch die ganze Diagonale des weitläufigen Hauses von dem Zimmer des Vaters getrennt war. Dies hatte zwar für die Wirtschaft manche Unbequemlichkeit, war aber nicht zu ändern, und erregte den Kindern die gröste Lust. Um vom Vater zur Mutter zu gelangen, schlüpfte man durch die Vexirthür in die kleine Bücherstube, trabte durch den hohen Bibliotheksaal, jagte über die schallende Gallerie, und gelangte durch die Entree und den Eßsaal endlich in die blaue Stube der Mutter. Ein kürzerer Weg führte durch die Küche und die Schlafstuben, aber auf diesem hatte man 8 Thüren zu passiren, auf dem andern nur 6.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-01-07T13:04:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1) (2014-01-07T13:04:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/170
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/170>, abgerufen am 19.05.2024.