Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].jetzt von den Kunstkennern gesammelt werden, so sollte ich meinen, daß eine vollständige Reihe der Holzschnitte von Littfaß, als gleichzeitiger Volksblätter aus jener nicht minder merkwürdigen Zeit von großem kunsthistorischem Interesse sein könne. Nachdem Fritzens Ungeduld mich vom Mühlendamme weiter getrieben, belustigten wir uns, die vielen Schilder in der langen Stralauer Straße zu lesen, und konnten sie bald der Reihe nach auswendig. Eines davon erregte bei zunehmender Kenntniß des Lateinischen große Heiterkeit; es stand darauf: "Keitel medior, Gelbgießer." Seitdem wir nämlich gelernt, daß das sonst gebräuchliche senior und iunior ganz unlateinisch sei, und daß man dafür maior natu und minor natu setzen müsse, so erschien uns dieses "medior" als etwas ganz ungeheuerliches. Wir verweilten auch wohl an der Aufschwemme (wo jetzt die Jannowitzbrücke steht), wenn gerade ein mächtiger Kiefernstamm von 3 oder 4 Pferden aus dem Wasser ans Land geschleppt ward. Fritz fand ein besonderes Vergnügen daran, sich hinter einen Kellerhals zu verstecken, und einen harmlos vorübergehenden Jungen unvermuthet anzubrüllen; allein das Schimpfen, welches gewöhnlich darauf folgte, war mir so sehr in der Seele zuwider, daß ich nicht eher ruhte, als bis er diese üble Gewohnheit abgelegt. Bogen wir nun zuletzt von der Contrescarpe in die ländliche Lehmgasse ein, so sahen wir bald "unser liebes Weberchen" an ihrer gewohnten Zaunecke stehn. Es war dies eine arme Zwergin, namens Weber, von der Größe eines achtjährigen Kindes. Ihre Füße waren so schwach, daß sie auf zwei winzigen Krücken ging, aber das Stehen wurde ihr nicht sauer; sie stand den ganzen Tag an der jetzt von den Kunstkennern gesammelt werden, so sollte ich meinen, daß eine vollständige Reihe der Holzschnitte von Littfaß, als gleichzeitiger Volksblätter aus jener nicht minder merkwürdigen Zeit von großem kunsthistorischem Interesse sein könne. Nachdem Fritzens Ungeduld mich vom Mühlendamme weiter getrieben, belustigten wir uns, die vielen Schilder in der langen Stralauer Straße zu lesen, und konnten sie bald der Reihe nach auswendig. Eines davon erregte bei zunehmender Kenntniß des Lateinischen große Heiterkeit; es stand darauf: „Keitel medior, Gelbgießer.“ Seitdem wir nämlich gelernt, daß das sonst gebräuchliche senior und iunior ganz unlateinisch sei, und daß man dafür maior natu und minor natu setzen müsse, so erschien uns dieses „medior“ als etwas ganz ungeheuerliches. Wir verweilten auch wohl an der Aufschwemme (wo jetzt die Jannowitzbrücke steht), wenn gerade ein mächtiger Kiefernstamm von 3 oder 4 Pferden aus dem Wasser ans Land geschleppt ward. Fritz fand ein besonderes Vergnügen daran, sich hinter einen Kellerhals zu verstecken, und einen harmlos vorübergehenden Jungen unvermuthet anzubrüllen; allein das Schimpfen, welches gewöhnlich darauf folgte, war mir so sehr in der Seele zuwider, daß ich nicht eher ruhte, als bis er diese üble Gewohnheit abgelegt. Bogen wir nun zuletzt von der Contrescarpe in die ländliche Lehmgasse ein, so sahen wir bald „unser liebes Weberchen“ an ihrer gewohnten Zaunecke stehn. Es war dies eine arme Zwergin, namens Weber, von der Größe eines achtjährigen Kindes. Ihre Füße waren so schwach, daß sie auf zwei winzigen Krücken ging, aber das Stehen wurde ihr nicht sauer; sie stand den ganzen Tag an der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <p><pb facs="#f0146" n="134"/> jetzt von den Kunstkennern gesammelt werden, so sollte ich meinen, daß eine vollständige Reihe der Holzschnitte von Littfaß, als gleichzeitiger Volksblätter aus jener nicht minder merkwürdigen Zeit von großem kunsthistorischem Interesse sein könne. </p><lb/> <p>Nachdem Fritzens Ungeduld mich vom Mühlendamme weiter getrieben, belustigten wir uns, die vielen Schilder in der langen Stralauer Straße zu lesen, und konnten sie bald der Reihe nach auswendig. Eines davon erregte bei zunehmender Kenntniß des Lateinischen große Heiterkeit; es stand darauf: „Keitel medior, Gelbgießer.“ Seitdem wir nämlich gelernt, daß das sonst gebräuchliche senior und iunior ganz unlateinisch sei, und daß man dafür maior natu und minor natu setzen müsse, so erschien uns dieses „medior“ als etwas ganz ungeheuerliches. Wir verweilten auch wohl an der Aufschwemme (wo jetzt die Jannowitzbrücke steht), wenn gerade ein mächtiger Kiefernstamm von 3 oder 4 Pferden aus dem Wasser ans Land geschleppt ward. Fritz fand ein besonderes Vergnügen daran, sich hinter einen Kellerhals zu verstecken, und einen harmlos vorübergehenden Jungen unvermuthet anzubrüllen; allein das Schimpfen, welches gewöhnlich darauf folgte, war mir so sehr in der Seele zuwider, daß ich nicht eher ruhte, als bis er diese üble Gewohnheit abgelegt. </p><lb/> <p>Bogen wir nun zuletzt von der Contrescarpe in die ländliche Lehmgasse ein, so sahen wir bald „unser liebes Weberchen“ an ihrer gewohnten Zaunecke stehn. Es war dies eine arme Zwergin, namens Weber, von der Größe eines achtjährigen Kindes. Ihre Füße waren so schwach, daß sie auf zwei winzigen Krücken ging, aber das Stehen wurde ihr nicht sauer; sie stand den ganzen Tag an der </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [134/0146]
jetzt von den Kunstkennern gesammelt werden, so sollte ich meinen, daß eine vollständige Reihe der Holzschnitte von Littfaß, als gleichzeitiger Volksblätter aus jener nicht minder merkwürdigen Zeit von großem kunsthistorischem Interesse sein könne.
Nachdem Fritzens Ungeduld mich vom Mühlendamme weiter getrieben, belustigten wir uns, die vielen Schilder in der langen Stralauer Straße zu lesen, und konnten sie bald der Reihe nach auswendig. Eines davon erregte bei zunehmender Kenntniß des Lateinischen große Heiterkeit; es stand darauf: „Keitel medior, Gelbgießer.“ Seitdem wir nämlich gelernt, daß das sonst gebräuchliche senior und iunior ganz unlateinisch sei, und daß man dafür maior natu und minor natu setzen müsse, so erschien uns dieses „medior“ als etwas ganz ungeheuerliches. Wir verweilten auch wohl an der Aufschwemme (wo jetzt die Jannowitzbrücke steht), wenn gerade ein mächtiger Kiefernstamm von 3 oder 4 Pferden aus dem Wasser ans Land geschleppt ward. Fritz fand ein besonderes Vergnügen daran, sich hinter einen Kellerhals zu verstecken, und einen harmlos vorübergehenden Jungen unvermuthet anzubrüllen; allein das Schimpfen, welches gewöhnlich darauf folgte, war mir so sehr in der Seele zuwider, daß ich nicht eher ruhte, als bis er diese üble Gewohnheit abgelegt.
Bogen wir nun zuletzt von der Contrescarpe in die ländliche Lehmgasse ein, so sahen wir bald „unser liebes Weberchen“ an ihrer gewohnten Zaunecke stehn. Es war dies eine arme Zwergin, namens Weber, von der Größe eines achtjährigen Kindes. Ihre Füße waren so schwach, daß sie auf zwei winzigen Krücken ging, aber das Stehen wurde ihr nicht sauer; sie stand den ganzen Tag an der
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/146 |
Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/146>, abgerufen am 16.02.2025. |