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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].

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sie 6 Jahre älter war als Fritz, und 4 Jahre älter als ich, so sahen wir zu ihr mit größtem Respekt empor. Der Ausdruck ihres Gesichtes war gewöhnlich sehr ernst, aber noch höre ich ihr helles herzliches Lachen, wenn Fritz uns seine Späße vormachte.

Wir Kinder verkehrten bei der Herzogin meist in einem Zimmer neben dem Salon. Eines Abends belustigte uns Fritz durch die Nachahmung der verschiedenen Thierstimmen, worin er eine große Virtuosität besaß. Er krähte wie ein Hahn, bellte wie ein Hund und miaute wie eine Katze. Dies alles wußte er anfangs so geschickt zu mäßigen, daß er hoffen konnte, im Salon nicht gehört zu werden; allein beim Blöken des Kalbes vergaß er sich so sehr, daß der unharmonische Ton weithin durch die Zimmer schallte. Ganz entrüstet und mit gerunzelter Stirn eilte mein Vater herein, um Fritzen die verdiente Strafpredigt zu halten; er wurde aber bald durch Prinzeßchens Schmeichelworte begütigt.

Eines Abends fanden wir bei Prinzeßchen eine nicht mehr ganz junge Frau von hoher Gestalt und von wahrhaft wunderbarer Schönheit. Wir erfuhren, es sei eine arme Jüdin, Madame Herz, von der die Prinzessin englischen Unterricht erhielt. Nie werde ich den Glanz dieser Erscheinung vergessen. Wenn die Prinzessin eine ideale jugendliche Figur, eine Hebe oder Venus darstellte, so konnte man Madame Herz einer Juno oder Proserpina vergleichen. Das einzige, was ihrer Schönheit Eintrag that, war ihr Mund, der an sich von edler blühender Bildung, beim Sprechen den bekannten jüdischen Zug in den Mundwinkeln zeigte. Ein vorzügliches Bildniß von Graff befindet sich im Besitz der Frau Eugenie Schadow.

sie 6 Jahre älter war als Fritz, und 4 Jahre älter als ich, so sahen wir zu ihr mit größtem Respekt empor. Der Ausdruck ihres Gesichtes war gewöhnlich sehr ernst, aber noch höre ich ihr helles herzliches Lachen, wenn Fritz uns seine Späße vormachte.

Wir Kinder verkehrten bei der Herzogin meist in einem Zimmer neben dem Salon. Eines Abends belustigte uns Fritz durch die Nachahmung der verschiedenen Thierstimmen, worin er eine große Virtuosität besaß. Er krähte wie ein Hahn, bellte wie ein Hund und miaute wie eine Katze. Dies alles wußte er anfangs so geschickt zu mäßigen, daß er hoffen konnte, im Salon nicht gehört zu werden; allein beim Blöken des Kalbes vergaß er sich so sehr, daß der unharmonische Ton weithin durch die Zimmer schallte. Ganz entrüstet und mit gerunzelter Stirn eilte mein Vater herein, um Fritzen die verdiente Strafpredigt zu halten; er wurde aber bald durch Prinzeßchens Schmeichelworte begütigt.

Eines Abends fanden wir bei Prinzeßchen eine nicht mehr ganz junge Frau von hoher Gestalt und von wahrhaft wunderbarer Schönheit. Wir erfuhren, es sei eine arme Jüdin, Madame Herz, von der die Prinzessin englischen Unterricht erhielt. Nie werde ich den Glanz dieser Erscheinung vergessen. Wenn die Prinzessin eine ideale jugendliche Figur, eine Hebe oder Venus darstellte, so konnte man Madame Herz einer Juno oder Proserpina vergleichen. Das einzige, was ihrer Schönheit Eintrag that, war ihr Mund, der an sich von edler blühender Bildung, beim Sprechen den bekannten jüdischen Zug in den Mundwinkeln zeigte. Ein vorzügliches Bildniß von Graff befindet sich im Besitz der Frau Eugenie Schadow.

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[97/0109] sie 6 Jahre älter war als Fritz, und 4 Jahre älter als ich, so sahen wir zu ihr mit größtem Respekt empor. Der Ausdruck ihres Gesichtes war gewöhnlich sehr ernst, aber noch höre ich ihr helles herzliches Lachen, wenn Fritz uns seine Späße vormachte. Wir Kinder verkehrten bei der Herzogin meist in einem Zimmer neben dem Salon. Eines Abends belustigte uns Fritz durch die Nachahmung der verschiedenen Thierstimmen, worin er eine große Virtuosität besaß. Er krähte wie ein Hahn, bellte wie ein Hund und miaute wie eine Katze. Dies alles wußte er anfangs so geschickt zu mäßigen, daß er hoffen konnte, im Salon nicht gehört zu werden; allein beim Blöken des Kalbes vergaß er sich so sehr, daß der unharmonische Ton weithin durch die Zimmer schallte. Ganz entrüstet und mit gerunzelter Stirn eilte mein Vater herein, um Fritzen die verdiente Strafpredigt zu halten; er wurde aber bald durch Prinzeßchens Schmeichelworte begütigt. Eines Abends fanden wir bei Prinzeßchen eine nicht mehr ganz junge Frau von hoher Gestalt und von wahrhaft wunderbarer Schönheit. Wir erfuhren, es sei eine arme Jüdin, Madame Herz, von der die Prinzessin englischen Unterricht erhielt. Nie werde ich den Glanz dieser Erscheinung vergessen. Wenn die Prinzessin eine ideale jugendliche Figur, eine Hebe oder Venus darstellte, so konnte man Madame Herz einer Juno oder Proserpina vergleichen. Das einzige, was ihrer Schönheit Eintrag that, war ihr Mund, der an sich von edler blühender Bildung, beim Sprechen den bekannten jüdischen Zug in den Mundwinkeln zeigte. Ein vorzügliches Bildniß von Graff befindet sich im Besitz der Frau Eugenie Schadow.

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/109>, abgerufen am 23.11.2024.