Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].nung bei bekannten Leuten. So richtete er einst diese Frage an Schleiermacher, den er vorher öfter gesehn. Dieser sah ihn scharf an, und sagte mit dem grösten Ernste: ich bin ein berühmter Arzt und heiße Geheimerath Heim! Sichtlich aus der Fassung gebracht, aber bald wieder gesammelt erwiederte Heim: jetzt kenne ich Sie auch; Sie sind ein berühmter Theologe und heißen Schleiermacher. Am Tische des Grosvaters, in Gesellschaft von wenigen Gästen, erschien Heim in der unbefangensten Natürlichkeit. Mit komischem Ernste zog er einst eine ausführliche Parallele zwischen dem Schweine und dem Menschen, von der Geburt an bis zum Tode, wobei der Herr der Schöpfung sehr im Nachtheile blieb. Der Grosvater, nach seiner derben westphälischen Art, scheute sich nicht, ihn zu fragen, ob er denn lieber ein Schwein sein wolle? Er erwiederte sehr treuherzig: da der liebe Gott ihn zum Menschen gemacht, so wolle er es auch bleiben. Ein anderes Mal erzählte er uns, wie seine Kinder und Enkel ihn, der früher gar nicht ins Theater gekommen, überredet hätten, sich bei vorgerücktem Alter dieses Vergnügen bisweilen zu gönnen; das sei ihm aber schlecht bekommen. Da er von Musik nichts verstehe, so habe man keine Oper gewählt; sondern ein Schauspiel, aber leider eines von den rührenden, herzzerreißenden, wo ein unnatürlicher Vater seinen einzigen Sohn zwingen will, die Maitresse des Fürsten zu heirathen, und der Sohn sich sammt seiner Geliebten vergiftet. Das Stück sei von Schiller und heiße Kabale und Liebe; er habe es aber vorher nicht gelesen gehabt. Jener grausame Vater habe ihn (Heim), der von jeher seinen Kindern alles mögliche zu Liebe ge- nung bei bekannten Leuten. So richtete er einst diese Frage an Schleiermacher, den er vorher öfter gesehn. Dieser sah ihn scharf an, und sagte mit dem grösten Ernste: ich bin ein berühmter Arzt und heiße Geheimerath Heim! Sichtlich aus der Fassung gebracht, aber bald wieder gesammelt erwiederte Heim: jetzt kenne ich Sie auch; Sie sind ein berühmter Theologe und heißen Schleiermacher. Am Tische des Grosvaters, in Gesellschaft von wenigen Gästen, erschien Heim in der unbefangensten Natürlichkeit. Mit komischem Ernste zog er einst eine ausführliche Parallele zwischen dem Schweine und dem Menschen, von der Geburt an bis zum Tode, wobei der Herr der Schöpfung sehr im Nachtheile blieb. Der Grosvater, nach seiner derben westphälischen Art, scheute sich nicht, ihn zu fragen, ob er denn lieber ein Schwein sein wolle? Er erwiederte sehr treuherzig: da der liebe Gott ihn zum Menschen gemacht, so wolle er es auch bleiben. Ein anderes Mal erzählte er uns, wie seine Kinder und Enkel ihn, der früher gar nicht ins Theater gekommen, überredet hätten, sich bei vorgerücktem Alter dieses Vergnügen bisweilen zu gönnen; das sei ihm aber schlecht bekommen. Da er von Musik nichts verstehe, so habe man keine Oper gewählt; sondern ein Schauspiel, aber leider eines von den rührenden, herzzerreißenden, wo ein unnatürlicher Vater seinen einzigen Sohn zwingen will, die Maitresse des Fürsten zu heirathen, und der Sohn sich sammt seiner Geliebten vergiftet. Das Stück sei von Schiller und heiße Kabale und Liebe; er habe es aber vorher nicht gelesen gehabt. Jener grausame Vater habe ihn (Heim), der von jeher seinen Kindern alles mögliche zu Liebe ge- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div> <p><pb facs="#f0236" n="224"/> nung bei bekannten Leuten. So richtete er einst diese Frage an <hi rendition="#b">Schleiermacher</hi>, den er vorher öfter gesehn. Dieser sah ihn scharf an, und sagte mit dem grösten Ernste: ich bin ein berühmter Arzt und heiße Geheimerath Heim! Sichtlich aus der Fassung gebracht, aber bald wieder gesammelt erwiederte Heim: jetzt kenne ich Sie auch; Sie sind ein berühmter Theologe und heißen Schleiermacher. </p><lb/> <p>Am Tische des Grosvaters, in Gesellschaft von wenigen Gästen, erschien Heim in der unbefangensten Natürlichkeit. Mit komischem Ernste zog er einst eine ausführliche Parallele zwischen dem Schweine und dem Menschen, von der Geburt an bis zum Tode, wobei der Herr der Schöpfung sehr im Nachtheile blieb. Der Grosvater, nach seiner derben westphälischen Art, scheute sich nicht, ihn zu fragen, ob er denn lieber ein Schwein sein wolle? Er erwiederte sehr treuherzig: da der liebe Gott ihn zum Menschen gemacht, so wolle er es auch bleiben. </p><lb/> <p>Ein anderes Mal erzählte er uns, wie seine Kinder und Enkel ihn, der früher gar nicht ins Theater gekommen, überredet hätten, sich bei vorgerücktem Alter dieses Vergnügen bisweilen zu gönnen; das sei ihm aber schlecht bekommen. Da er von Musik nichts verstehe, so habe man keine Oper gewählt; sondern ein Schauspiel, aber leider eines von den rührenden, herzzerreißenden, wo ein unnatürlicher Vater seinen einzigen Sohn zwingen will, die Maitresse des Fürsten zu heirathen, und der Sohn sich sammt seiner Geliebten vergiftet. Das Stück sei von Schiller und heiße Kabale und Liebe; er habe es aber vorher nicht gelesen gehabt. Jener grausame Vater habe ihn (Heim), der von jeher seinen Kindern alles mögliche zu Liebe ge- </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [224/0236]
nung bei bekannten Leuten. So richtete er einst diese Frage an Schleiermacher, den er vorher öfter gesehn. Dieser sah ihn scharf an, und sagte mit dem grösten Ernste: ich bin ein berühmter Arzt und heiße Geheimerath Heim! Sichtlich aus der Fassung gebracht, aber bald wieder gesammelt erwiederte Heim: jetzt kenne ich Sie auch; Sie sind ein berühmter Theologe und heißen Schleiermacher.
Am Tische des Grosvaters, in Gesellschaft von wenigen Gästen, erschien Heim in der unbefangensten Natürlichkeit. Mit komischem Ernste zog er einst eine ausführliche Parallele zwischen dem Schweine und dem Menschen, von der Geburt an bis zum Tode, wobei der Herr der Schöpfung sehr im Nachtheile blieb. Der Grosvater, nach seiner derben westphälischen Art, scheute sich nicht, ihn zu fragen, ob er denn lieber ein Schwein sein wolle? Er erwiederte sehr treuherzig: da der liebe Gott ihn zum Menschen gemacht, so wolle er es auch bleiben.
Ein anderes Mal erzählte er uns, wie seine Kinder und Enkel ihn, der früher gar nicht ins Theater gekommen, überredet hätten, sich bei vorgerücktem Alter dieses Vergnügen bisweilen zu gönnen; das sei ihm aber schlecht bekommen. Da er von Musik nichts verstehe, so habe man keine Oper gewählt; sondern ein Schauspiel, aber leider eines von den rührenden, herzzerreißenden, wo ein unnatürlicher Vater seinen einzigen Sohn zwingen will, die Maitresse des Fürsten zu heirathen, und der Sohn sich sammt seiner Geliebten vergiftet. Das Stück sei von Schiller und heiße Kabale und Liebe; er habe es aber vorher nicht gelesen gehabt. Jener grausame Vater habe ihn (Heim), der von jeher seinen Kindern alles mögliche zu Liebe ge-
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/236>, abgerufen am 01.03.2025. |