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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].

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Gleichgültigkeit, und ohne etwas besonderes dabei zu denken. Wir waren so glücklich in der Liebe unserer Aeltern, und lebten so genüglich in der heitern Gegenwart, daß wir beim Blicke in die Zukunft eine Vermehrung unseres Wohlbehagens kaum für möglich hielten. Aber von den Dienstboten wurde die Sache anders aufgefaßt. "Junger Herr!" sagte mir eines Tages die Köchin, als ich eine Speckschwarte zum Bestreichen meiner Säge von ihr verlangte, "da Sie nun so reich geworden sind, so können Sie mir mal etwas schenken." Ich wußte nicht gleich, ob sie für den Speck etwas verlange, und wies sie sehr verlegen an meinen Vater, vergaß aber nachzufragen, ob sie bei ihm ihre Bitte wiederholt habe.

Der Tod des Grosvaters Nicolai machte in unserm Hauswesen einen bedeutenden Abschnitt. Den Sommer von 1811 brachten wir, wie gewöhnlich in der Lehmgasse zu. Nicolais Wohnstube daselbst war ganz unberührt geblieben; wir durften uns nun schon erlauben, den Inhalt der Wandschränke näher zu betrachten. Fritz überlegte, ob er mit der Feuerzeugpistole Sperlinge schießen könne, und wollte mit der Papierlateme eine nächtliche Erleuchtung des Gartens veranstalten; ich ergötzte mich an den Kupfern zu Hirschfelds Gartenkunst, in so weit sie mir verständlich waren, und suchte in den Heften der Berlinischen Monatschrift etwas für mich genießbares zu finden.

Im nächsten Winter bezogen wir dann in der Brüderstraße die große Wohnung im ersten Stock, in welcher bisher der Grosvater Nicolai einsam gehauset, und die nun wieder von einer fröhlichen Kinderschaar belebt ward. Mein Vater zog in Nicolais große Stube, die uns nun viel heimlicher vorkam als bisher, weil wir in den vielen

Gleichgültigkeit, und ohne etwas besonderes dabei zu denken. Wir waren so glücklich in der Liebe unserer Aeltern, und lebten so genüglich in der heitern Gegenwart, daß wir beim Blicke in die Zukunft eine Vermehrung unseres Wohlbehagens kaum für möglich hielten. Aber von den Dienstboten wurde die Sache anders aufgefaßt. „Junger Herr!“ sagte mir eines Tages die Köchin, als ich eine Speckschwarte zum Bestreichen meiner Säge von ihr verlangte, „da Sie nun so reich geworden sind, so können Sie mir mal etwas schenken.“ Ich wußte nicht gleich, ob sie für den Speck etwas verlange, und wies sie sehr verlegen an meinen Vater, vergaß aber nachzufragen, ob sie bei ihm ihre Bitte wiederholt habe.

Der Tod des Grosvaters Nicolai machte in unserm Hauswesen einen bedeutenden Abschnitt. Den Sommer von 1811 brachten wir, wie gewöhnlich in der Lehmgasse zu. Nicolais Wohnstube daselbst war ganz unberührt geblieben; wir durften uns nun schon erlauben, den Inhalt der Wandschränke näher zu betrachten. Fritz überlegte, ob er mit der Feuerzeugpistole Sperlinge schießen könne, und wollte mit der Papierlateme eine nächtliche Erleuchtung des Gartens veranstalten; ich ergötzte mich an den Kupfern zu Hirschfelds Gartenkunst, in so weit sie mir verständlich waren, und suchte in den Heften der Berlinischen Monatschrift etwas für mich genießbares zu finden.

Im nächsten Winter bezogen wir dann in der Brüderstraße die große Wohnung im ersten Stock, in welcher bisher der Grosvater Nicolai einsam gehauset, und die nun wieder von einer fröhlichen Kinderschaar belebt ward. Mein Vater zog in Nicolais große Stube, die uns nun viel heimlicher vorkam als bisher, weil wir in den vielen

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Gleichgültigkeit, und ohne etwas besonderes dabei zu denken. Wir waren so glücklich in der Liebe unserer Aeltern, und lebten so genüglich in der heitern Gegenwart, daß wir beim Blicke in die Zukunft eine Vermehrung unseres Wohlbehagens kaum für möglich hielten. Aber von den Dienstboten wurde die Sache anders aufgefaßt. &#x201E;Junger Herr!&#x201C; sagte mir eines Tages die Köchin, als ich eine Speckschwarte zum Bestreichen meiner Säge von ihr verlangte, &#x201E;da Sie nun so reich geworden sind, so können Sie mir mal etwas schenken.&#x201C; Ich wußte nicht gleich, ob sie für den Speck etwas verlange, und wies sie sehr verlegen an meinen Vater, vergaß aber nachzufragen, ob sie bei ihm ihre Bitte wiederholt habe. </p><lb/>
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[157/0169] Gleichgültigkeit, und ohne etwas besonderes dabei zu denken. Wir waren so glücklich in der Liebe unserer Aeltern, und lebten so genüglich in der heitern Gegenwart, daß wir beim Blicke in die Zukunft eine Vermehrung unseres Wohlbehagens kaum für möglich hielten. Aber von den Dienstboten wurde die Sache anders aufgefaßt. „Junger Herr!“ sagte mir eines Tages die Köchin, als ich eine Speckschwarte zum Bestreichen meiner Säge von ihr verlangte, „da Sie nun so reich geworden sind, so können Sie mir mal etwas schenken.“ Ich wußte nicht gleich, ob sie für den Speck etwas verlange, und wies sie sehr verlegen an meinen Vater, vergaß aber nachzufragen, ob sie bei ihm ihre Bitte wiederholt habe. Der Tod des Grosvaters Nicolai machte in unserm Hauswesen einen bedeutenden Abschnitt. Den Sommer von 1811 brachten wir, wie gewöhnlich in der Lehmgasse zu. Nicolais Wohnstube daselbst war ganz unberührt geblieben; wir durften uns nun schon erlauben, den Inhalt der Wandschränke näher zu betrachten. Fritz überlegte, ob er mit der Feuerzeugpistole Sperlinge schießen könne, und wollte mit der Papierlateme eine nächtliche Erleuchtung des Gartens veranstalten; ich ergötzte mich an den Kupfern zu Hirschfelds Gartenkunst, in so weit sie mir verständlich waren, und suchte in den Heften der Berlinischen Monatschrift etwas für mich genießbares zu finden. Im nächsten Winter bezogen wir dann in der Brüderstraße die große Wohnung im ersten Stock, in welcher bisher der Grosvater Nicolai einsam gehauset, und die nun wieder von einer fröhlichen Kinderschaar belebt ward. Mein Vater zog in Nicolais große Stube, die uns nun viel heimlicher vorkam als bisher, weil wir in den vielen

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/169>, abgerufen am 28.11.2024.