Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Ein verfehlter und ein gelungener Besuch bei Goethe. 1819 und 1827. Handschrift für Freunde. [Berlin], [1862].

Bild:
<< vorherige Seite

lichen Gäste mit jener angebornen Grandezza,
deren nur ein wahrhaft grosser Geist fähig ist.
Jch eilte nach Hause und machte dann einen
sehr genussreichen einsamen Spaziergang durch
den Park, um mir die schönen Bilder der ver-
gangenen Stunden und besonders Goethes He-
roengestalt recht einzuprägen. Jch hatte ver-
sprochen, den Kanzler von Müller gegen 2 Uhr
von Goethes Hause zu dem grossen Festmahle
abzuholen. Da ich, wie es meine Gewohnheit
ist, etwas zu früh kam, so fand ich Goethen
allein. Er knüpfte gleich ein Gespräch an,
nicht über meine Reisen, sondern erkundigte
sich nach der Stellung, die Hegel in Berlin
einnähme. Jch dachte wieder an meinen Freund
Carove, und erwiederte in möglichster Kürze,
dass Hegel persönlich der höchsten Achtung
geniesse, dass die Schwerfälligkeit seines Vor-
trages anfangs viele abgeschreckt, dass man
sich aber bald überzeugt habe, die Verworren-
heit sei nur an der Oberfläche, und unter der
herben Schale liege der süsse Kern eines ganz
fertigen, in seiner Consequenz staunenswerthen
philosophischen Gebäudes.

lichen Gäste mit jener angebornen Grandezza‚
deren nur ein wahrhaft grosser Geist fähig ist.
Jch eilte nach Hause und machte dann einen
sehr genussreichen einsamen Spaziergang durch
den Park, um mir die schönen Bilder der ver-
gangenen Stunden und besonders Goethes He-
roengestalt recht einzuprägen. Jch hatte ver-
sprochen, den Kanzler von Müller gegen 2 Uhr
von Goethes Hause zu dem grossen Festmahle
abzuholen. Da ich, wie es meine Gewohnheit
ist, etwas zu früh kam, so fand ich Goethen
allein. Er knüpfte gleich ein Gespräch an,
nicht über meine Reisen, sondern erkundigte
sich nach der Stellung, die Hegel in Berlin
einnähme. Jch dachte wieder an meinen Freund
Carové, und erwiederte in möglichster Kürze,
dass Hegel persönlich der höchsten Achtung
geniesse, dass die Schwerfälligkeit seines Vor-
trages anfangs viele abgeschreckt, dass man
sich aber bald überzeugt habe, die Verworren-
heit sei nur an der Oberfläche, und unter der
herben Schale liege der süsse Kern eines ganz
fertigen, in seiner Consequenz staunenswerthen
philosophischen Gebäudes.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0071" n="66"/>
        <p xml:id="ID_232" prev="#ID_231">     lichen Gäste mit jener angebornen Grandezza&#x201A;<lb/>
deren nur ein wahrhaft grosser Geist fähig ist.<lb/>
Jch eilte nach Hause und machte dann einen<lb/>
sehr genussreichen einsamen Spaziergang durch<lb/>
den Park, um mir die schönen Bilder der ver-<lb/>
gangenen Stunden und besonders Goethes He-<lb/>
roengestalt recht einzuprägen. Jch hatte ver-<lb/>
sprochen, den Kanzler von Müller gegen 2 Uhr<lb/>
von Goethes Hause zu dem grossen Festmahle<lb/>
abzuholen. Da ich, wie es meine Gewohnheit<lb/>
ist, etwas zu früh kam, so fand ich Goethen<lb/>
allein. Er knüpfte gleich ein Gespräch an,<lb/>
nicht über meine Reisen, sondern erkundigte<lb/>
sich nach der Stellung, die Hegel in Berlin<lb/>
einnähme. Jch dachte wieder an meinen Freund<lb/>
Carové, und erwiederte in möglichster Kürze,<lb/>
dass Hegel persönlich der höchsten Achtung<lb/>
geniesse, dass die Schwerfälligkeit seines Vor-<lb/>
trages anfangs viele abgeschreckt, dass man<lb/>
sich aber bald überzeugt habe, die Verworren-<lb/>
heit sei nur an der Oberfläche, und unter der<lb/>
herben Schale liege der süsse Kern eines ganz<lb/>
fertigen, in seiner Consequenz staunenswerthen<lb/>
philosophischen Gebäudes.     </p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[66/0071] lichen Gäste mit jener angebornen Grandezza‚ deren nur ein wahrhaft grosser Geist fähig ist. Jch eilte nach Hause und machte dann einen sehr genussreichen einsamen Spaziergang durch den Park, um mir die schönen Bilder der ver- gangenen Stunden und besonders Goethes He- roengestalt recht einzuprägen. Jch hatte ver- sprochen, den Kanzler von Müller gegen 2 Uhr von Goethes Hause zu dem grossen Festmahle abzuholen. Da ich, wie es meine Gewohnheit ist, etwas zu früh kam, so fand ich Goethen allein. Er knüpfte gleich ein Gespräch an, nicht über meine Reisen, sondern erkundigte sich nach der Stellung, die Hegel in Berlin einnähme. Jch dachte wieder an meinen Freund Carové, und erwiederte in möglichster Kürze, dass Hegel persönlich der höchsten Achtung geniesse, dass die Schwerfälligkeit seines Vor- trages anfangs viele abgeschreckt, dass man sich aber bald überzeugt habe, die Verworren- heit sei nur an der Oberfläche, und unter der herben Schale liege der süsse Kern eines ganz fertigen, in seiner Consequenz staunenswerthen philosophischen Gebäudes.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-08-05T13:43:06Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): keine Angabe; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_goethe_1819
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_goethe_1819/71
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Ein verfehlter und ein gelungener Besuch bei Goethe. 1819 und 1827. Handschrift für Freunde. [Berlin], [1862], S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_goethe_1819/71>, abgerufen am 09.11.2024.