Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Ein verfehlter und ein gelungener Besuch bei Goethe. 1819 und 1827. Handschrift für Freunde. [Berlin], [1862].

Bild:
<< vorherige Seite

Erinnere Dich nur, sagte ich. Wir hatten
Kotzebues Deutsche Kleinstädter aufgeführt,
worin Du den Vice-Kirchenvorsteher machtest,
und Fräulein Laura Deine Nichte. Als nach
längerer Zeit eine Wiederholung der Auffüh-
rung im Werke war, und gefragt wurde, ob
jeder seine Rolle noch wisse, sagtest Du mit
beispielloser Unbefangenheit: ich habe von
meiner Rolle nichts behalten als "Die Jung-
fer Nichte ist eine Närrin!"

Paul erwiederte ganz ruhig:

"Lebst im Volke, sei gewohnt,
Keiner je des Andern schont."

Sie hatte mir, in Betracht meiner sehr
unvollkommenen Orchestik, einen Tanz abge-
schlagen.

Das Vergnügen sie tanzen zu sehen, sagte
ich, war eben so gross als das mit ihr zu tan-
zen! Und damit Du Dir nicht einbildest, die
Citate aus Göthe allein gepachtet zu haben,
so füge ich hinzu:

"So sah ich sie im frohen Tanze walten
Die lieblichste der lieblichen Gestalten."

Am nächsten Morgen lachte die Herbst-

Erinnere Dich nur, sagte ich. Wir hatten
Kotzebues Deutsche Kleinstädter aufgeführt,
worin Du den Vice-Kirchenvorsteher machtest,
und Fräulein Laura Deine Nichte. Als nach
längerer Zeit eine Wiederholung der Auffüh-
rung im Werke war, und gefragt wurde, ob
jeder seine Rolle noch wisse, sagtest Du mit
beispielloser Unbefangenheit: ich habe von
meiner Rolle nichts behalten als „Die Jung-
fer Nichte ist eine Närrin!“

Paul erwiederte ganz ruhig:

„Lebst im Volke, sei gewohnt,
Keiner je des Andern schont.“

Sie hatte mir, in Betracht meiner sehr
unvollkommenen Orchestik, einen Tanz abge-
schlagen.

Das Vergnügen sie tanzen zu sehen, sagte
ich, war eben so gross als das mit ihr zu tan-
zen! Und damit Du Dir nicht einbildest, die
Citate aus Göthe allein gepachtet zu haben,
so füge ich hinzu:

„So sah ich sie im frohen Tanze walten
Die lieblichste der lieblichen Gestalten.“

Am nächsten Morgen lachte die Herbst-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0030" n="25"/>
        <p xml:id="ID_113">     Erinnere Dich nur, sagte ich. Wir hatten<lb/>
Kotzebues Deutsche Kleinstädter aufgeführt,<lb/>
worin Du den Vice-Kirchenvorsteher machtest,<lb/>
und Fräulein Laura Deine Nichte. Als nach<lb/>
längerer Zeit eine Wiederholung der Auffüh-<lb/>
rung im Werke war, und gefragt wurde, ob<lb/>
jeder seine Rolle noch wisse, sagtest Du mit<lb/>
beispielloser Unbefangenheit: ich habe von<lb/>
meiner Rolle nichts behalten als &#x201E;Die Jung-<lb/>
fer Nichte ist eine Närrin!&#x201C; </p><lb/>
        <p xml:id="ID_114">     Paul erwiederte ganz ruhig:     </p><lb/>
        <quote>&#x201E;Lebst im Volke, sei gewohnt,<lb/>
Keiner je des Andern schont.&#x201C;</quote><lb/>
        <p xml:id="ID_115">     Sie hatte mir, in Betracht meiner sehr<lb/>
unvollkommenen Orchestik, einen Tanz abge-<lb/>
schlagen.     </p><lb/>
        <p xml:id="ID_116">     Das Vergnügen sie tanzen zu sehen, sagte<lb/>
ich, war eben so gross als das mit ihr zu tan-<lb/>
zen! Und damit Du Dir nicht einbildest, die<lb/>
Citate aus Göthe allein gepachtet zu haben,<lb/>
so füge ich hinzu:     </p><lb/>
        <quote>&#x201E;So sah ich sie im frohen Tanze walten<lb/>
Die lieblichste der lieblichen Gestalten.&#x201C;</quote><lb/>
        <p xml:id="ID_117" next="#ID_118">     Am nächsten Morgen lachte die Herbst-     </p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[25/0030] Erinnere Dich nur, sagte ich. Wir hatten Kotzebues Deutsche Kleinstädter aufgeführt, worin Du den Vice-Kirchenvorsteher machtest, und Fräulein Laura Deine Nichte. Als nach längerer Zeit eine Wiederholung der Auffüh- rung im Werke war, und gefragt wurde, ob jeder seine Rolle noch wisse, sagtest Du mit beispielloser Unbefangenheit: ich habe von meiner Rolle nichts behalten als „Die Jung- fer Nichte ist eine Närrin!“ Paul erwiederte ganz ruhig: „Lebst im Volke, sei gewohnt, Keiner je des Andern schont.“ Sie hatte mir, in Betracht meiner sehr unvollkommenen Orchestik, einen Tanz abge- schlagen. Das Vergnügen sie tanzen zu sehen, sagte ich, war eben so gross als das mit ihr zu tan- zen! Und damit Du Dir nicht einbildest, die Citate aus Göthe allein gepachtet zu haben, so füge ich hinzu: „So sah ich sie im frohen Tanze walten Die lieblichste der lieblichen Gestalten.“ Am nächsten Morgen lachte die Herbst-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-08-05T13:43:06Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): keine Angabe; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_goethe_1819
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_goethe_1819/30
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Ein verfehlter und ein gelungener Besuch bei Goethe. 1819 und 1827. Handschrift für Freunde. [Berlin], [1862], S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_goethe_1819/30>, abgerufen am 21.11.2024.