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Pappenheim, Bertha u. a.: Zur Lage der jüdischen Bevölkerung in Galizien. Reise-Eindrücke und Vorschläge zur Besserung der Verhältnisse. Frankfurt (Main), 1904.

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arm und müssen für ein mageres Suppenhuhn schon ihre Weisheit zu Markte tragen.

Wenn man die furchtbare Öde in Betracht zieht, in der das galizische Volk dahinlebt, darbend an Geist und Körper, Gott, Vaterland, Wissenschaft, Kunst, Wohlstand, alles, was den Menschen hoffen, streben und genießen macht, vergällt oder verschlossen, - und man bedenkt, daß diesem darbenden Volke eine Idee gebracht wird, die ihm Befreiung verheißt, - mehr als Befreiung, Freiheit! Freiheit in einem eigenen Lande zu wohnen, und als Bürger nicht mehr getreten und geschmäht zu werden, Freiheit zu leben, zu denken, zu genießen wie andere Menschen - kann es da wundernehmen, wenn das Volk diesen Gedanken gierig aufnimmt und ihm zujubelt?

Ein solcher Gedanke ist der Zionismus. In seinen befreienden und belebenden Elementen liegt die Größe und die Kraft des Gedankens, und wenn die Zionisten hielten, was der Zionismus verspricht, wäre er ein Segen für das jüdische Volk.

Es liegt aber in den gegebenen Verhältnissen, daß die Propaganda für den Zionismus zum größten Teile in den Händen ungebildeter, und was noch ärger ist, halb gebildeter Personen liegt, Menschen, deren Existenz an so losen Fäden hängt, daß sie nichts zu verlieren haben, Menschen ohne soziale Tradition, die, weil sie auf keine Entwicklung zurückblicken, auch keine Entwicklung vorhersehen.

Es gibt in Galizien unzählige zionistische Vereine, in deren Versammlungen von den Rednern bekannte Schlagworte wild hinausgeschrieen und von den Mitgliedern staunend und kritiklos aufgenommen werden. Kritiklosigkeit und Selbstverherrlichung sind zwei schwer zu überwindende Eigenschaften derer, die den Heilsgedanken des Zionismus predigen.

Wohl wäre es schön, dem jüdischen Volke ein Land zu geben. Aber so wie das Volk heute beschaffen ist, kann es noch nicht als Nation leben, es kann noch nicht arbeiten, und es ist noch nicht einmal reif genug, einzusehen, was es lernen muß. Der einzelne muß nicht nur lernen physische Arbeit zu leisten, er muß sie auch achten lernen; er muß lernen, sich einem Werdenden anzupassen, sich einem Ganzen unterzuordnen. Nur durch solche Bei- und

arm und müssen für ein mageres Suppenhuhn schon ihre Weisheit zu Markte tragen.

Wenn man die furchtbare Öde in Betracht zieht, in der das galizische Volk dahinlebt, darbend an Geist und Körper, Gott, Vaterland, Wissenschaft, Kunst, Wohlstand, alles, was den Menschen hoffen, streben und genießen macht, vergällt oder verschlossen, – und man bedenkt, daß diesem darbenden Volke eine Idee gebracht wird, die ihm Befreiung verheißt, – mehr als Befreiung, Freiheit! Freiheit in einem eigenen Lande zu wohnen, und als Bürger nicht mehr getreten und geschmäht zu werden, Freiheit zu leben, zu denken, zu genießen wie andere Menschen – kann es da wundernehmen, wenn das Volk diesen Gedanken gierig aufnimmt und ihm zujubelt?

Ein solcher Gedanke ist der Zionismus. In seinen befreienden und belebenden Elementen liegt die Größe und die Kraft des Gedankens, und wenn die Zionisten hielten, was der Zionismus verspricht, wäre er ein Segen für das jüdische Volk.

Es liegt aber in den gegebenen Verhältnissen, daß die Propaganda für den Zionismus zum größten Teile in den Händen ungebildeter, und was noch ärger ist, halb gebildeter Personen liegt, Menschen, deren Existenz an so losen Fäden hängt, daß sie nichts zu verlieren haben, Menschen ohne soziale Tradition, die, weil sie auf keine Entwicklung zurückblicken, auch keine Entwicklung vorhersehen.

Es gibt in Galizien unzählige zionistische Vereine, in deren Versammlungen von den Rednern bekannte Schlagworte wild hinausgeschrieen und von den Mitgliedern staunend und kritiklos aufgenommen werden. Kritiklosigkeit und Selbstverherrlichung sind zwei schwer zu überwindende Eigenschaften derer, die den Heilsgedanken des Zionismus predigen.

Wohl wäre es schön, dem jüdischen Volke ein Land zu geben. Aber so wie das Volk heute beschaffen ist, kann es noch nicht als Nation leben, es kann noch nicht arbeiten, und es ist noch nicht einmal reif genug, einzusehen, was es lernen muß. Der einzelne muß nicht nur lernen physische Arbeit zu leisten, er muß sie auch achten lernen; er muß lernen, sich einem Werdenden anzupassen, sich einem Ganzen unterzuordnen. Nur durch solche Bei- und

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[42/0042] arm und müssen für ein mageres Suppenhuhn schon ihre Weisheit zu Markte tragen. Wenn man die furchtbare Öde in Betracht zieht, in der das galizische Volk dahinlebt, darbend an Geist und Körper, Gott, Vaterland, Wissenschaft, Kunst, Wohlstand, alles, was den Menschen hoffen, streben und genießen macht, vergällt oder verschlossen, – und man bedenkt, daß diesem darbenden Volke eine Idee gebracht wird, die ihm Befreiung verheißt, – mehr als Befreiung, Freiheit! Freiheit in einem eigenen Lande zu wohnen, und als Bürger nicht mehr getreten und geschmäht zu werden, Freiheit zu leben, zu denken, zu genießen wie andere Menschen – kann es da wundernehmen, wenn das Volk diesen Gedanken gierig aufnimmt und ihm zujubelt? Ein solcher Gedanke ist der Zionismus. In seinen befreienden und belebenden Elementen liegt die Größe und die Kraft des Gedankens, und wenn die Zionisten hielten, was der Zionismus verspricht, wäre er ein Segen für das jüdische Volk. Es liegt aber in den gegebenen Verhältnissen, daß die Propaganda für den Zionismus zum größten Teile in den Händen ungebildeter, und was noch ärger ist, halb gebildeter Personen liegt, Menschen, deren Existenz an so losen Fäden hängt, daß sie nichts zu verlieren haben, Menschen ohne soziale Tradition, die, weil sie auf keine Entwicklung zurückblicken, auch keine Entwicklung vorhersehen. Es gibt in Galizien unzählige zionistische Vereine, in deren Versammlungen von den Rednern bekannte Schlagworte wild hinausgeschrieen und von den Mitgliedern staunend und kritiklos aufgenommen werden. Kritiklosigkeit und Selbstverherrlichung sind zwei schwer zu überwindende Eigenschaften derer, die den Heilsgedanken des Zionismus predigen. Wohl wäre es schön, dem jüdischen Volke ein Land zu geben. Aber so wie das Volk heute beschaffen ist, kann es noch nicht als Nation leben, es kann noch nicht arbeiten, und es ist noch nicht einmal reif genug, einzusehen, was es lernen muß. Der einzelne muß nicht nur lernen physische Arbeit zu leisten, er muß sie auch achten lernen; er muß lernen, sich einem Werdenden anzupassen, sich einem Ganzen unterzuordnen. Nur durch solche Bei- und

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Zitationshilfe: Pappenheim, Bertha u. a.: Zur Lage der jüdischen Bevölkerung in Galizien. Reise-Eindrücke und Vorschläge zur Besserung der Verhältnisse. Frankfurt (Main), 1904, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pappenheim_galizien_1904/42>, abgerufen am 21.11.2024.