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Panizza, Oskar: Der Illusionismus und Die Rettung der Persönlichkeit. Leipzig, 1895.

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überflüssige Begleiterscheinung zentraler Gehirn-Prozesse" nante. Aber das ist nicht genug. Er, und mit ihm jeder echte Materjalist, müsste das Denken überhaupt läugnen, wofern er im mechanisch verlaufenden, materjellen Gehirn-Reflex das gesamte geistige Dasein des Menschen beschlossen sieht; und wofern der Name "materjalistischer Monist" nicht eitel Betrug und Selbsttäuschung ist. Denn entweder glaubt er an die Möglichkeit des Uebergangs, des Entstehens von Gedachtem aus Körperlichem, dann wirft er den oben genanten Descartes'schen Saz um, und komt als nicht auf der Höhe filosofischer Bildung stehender, nicht ausgereifter, Denker nicht in Betracht. Oder er giebt die Unmöglichkeit des Entstehens von Psichischem aus Fisischem zu, bringt aber Gedächtnis, Bewusstheit und dergl. mit materjellen Gehirnvorgängen in Konnex, dann ist er Dualist, er mag sich wenden, wie er will, aber nicht Materjalist, und noch weniger Monist! - Hic Rhodus, hic amice salta! - Hier, in der Tat, kommen alle naturwissenschaftlichen Filosofen zu bösem Fall. - Die ältere Richtung von Vogt, Büchner, Moleschott, der sog. metafisische Materjalismus, deren Anschauung in dem Saz gipfelte, die Gedanken sind Produkte der Gehirntätigkeit, wie "der Urin das Produkt der Nieren", ist heute allerdings abgetan; sie waren in ihrer starren Rüksichtslosigkeit den heutigen Halben vorzuziehen. Man hat heute eine mildere und täuschungsreichere Formel aufgestelt. Man spricht von "psicho-fisischem Parallelismus", und erklärt dies so: jedem Bewusstseins-Inhalt entspricht ein materjeller Erregungszustand im Gehirn; oder: das psichische Leben ist ein Spiegelbild der fisischen Gehirn-Vorgänge in der Form des Bewusstseins. Aber die Fein-Näher kommen hier um keine Strecke weiter als die Grobnäher. Und Wundt steht heute noch auf demselben Standpunkt wie Büchner. Mit dem Wort "Parallelismus" ist gar nichts gesagt, weder Abhängigkeit noch Unabhängigkeit. Mein Denken kent nicht die Formel des "Parallelismus" als eine zureichende für seine Erkentniskraft. Es kent nur die Formel des Kausal-Gesezes, und der Frage: Warum? Mit dem Ausdruk "Parallelismus" ist ein Bild aus

überflüssige Begleiterscheinung zentraler Gehirn-Prozesse“ nante. Aber das ist nicht genug. Er, und mit ihm jeder echte Materjalist, müsste das Denken überhaupt läugnen, wofern er im mechanisch verlaufenden, materjellen Gehirn-Reflex das gesamte geistige Dasein des Menschen beschlossen sieht; und wofern der Name „materjalistischer Monist“ nicht eitel Betrug und Selbsttäuschung ist. Denn entweder glaubt er an die Möglichkeit des Uebergangs, des Entstehens von Gedachtem aus Körperlichem, dann wirft er den oben genanten Descartes’schen Saz um, und komt als nicht auf der Höhe filosofischer Bildung stehender, nicht ausgereifter, Denker nicht in Betracht. Oder er giebt die Unmöglichkeit des Entstehens von Psichischem aus Fisischem zu, bringt aber Gedächtnis, Bewusstheit und dergl. mit materjellen Gehirnvorgängen in Konnex, dann ist er Dualist, er mag sich wenden, wie er will, aber nicht Materjalist, und noch weniger Monist! – Hic Rhodus, hic amice salta! – Hier, in der Tat, kommen alle naturwissenschaftlichen Filosofen zu bösem Fall. – Die ältere Richtung von Vogt, Büchner, Moleschott, der sog. metafisische Materjalismus, deren Anschauung in dem Saz gipfelte, die Gedanken sind Produkte der Gehirntätigkeit, wie „der Urin das Produkt der Nieren“, ist heute allerdings abgetan; sie waren in ihrer starren Rüksichtslosigkeit den heutigen Halben vorzuziehen. Man hat heute eine mildere und täuschungsreichere Formel aufgestelt. Man spricht von „psicho-fisischem Parallelismus“, und erklärt dies so: jedem Bewusstseins-Inhalt entspricht ein materjeller Erregungszustand im Gehirn; oder: das psichische Leben ist ein Spiegelbild der fisischen Gehirn-Vorgänge in der Form des Bewusstseins. Aber die Fein-Näher kommen hier um keine Strecke weiter als die Grobnäher. Und Wundt steht heute noch auf demselben Standpunkt wie Büchner. Mit dem Wort „Parallelismus“ ist gar nichts gesagt, weder Abhängigkeit noch Unabhängigkeit. Mein Denken kent nicht die Formel des „Parallelismus“ als eine zureichende für seine Erkentniskraft. Es kent nur die Formel des Kausal-Gesezes, und der Frage: Warum? Mit dem Ausdruk „Parallelismus“ ist ein Bild aus

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[11/0012] überflüssige Begleiterscheinung zentraler Gehirn-Prozesse“ nante. Aber das ist nicht genug. Er, und mit ihm jeder echte Materjalist, müsste das Denken überhaupt läugnen, wofern er im mechanisch verlaufenden, materjellen Gehirn-Reflex das gesamte geistige Dasein des Menschen beschlossen sieht; und wofern der Name „materjalistischer Monist“ nicht eitel Betrug und Selbsttäuschung ist. Denn entweder glaubt er an die Möglichkeit des Uebergangs, des Entstehens von Gedachtem aus Körperlichem, dann wirft er den oben genanten Descartes’schen Saz um, und komt als nicht auf der Höhe filosofischer Bildung stehender, nicht ausgereifter, Denker nicht in Betracht. Oder er giebt die Unmöglichkeit des Entstehens von Psichischem aus Fisischem zu, bringt aber Gedächtnis, Bewusstheit und dergl. mit materjellen Gehirnvorgängen in Konnex, dann ist er Dualist, er mag sich wenden, wie er will, aber nicht Materjalist, und noch weniger Monist! – Hic Rhodus, hic amice salta! – Hier, in der Tat, kommen alle naturwissenschaftlichen Filosofen zu bösem Fall. – Die ältere Richtung von Vogt, Büchner, Moleschott, der sog. metafisische Materjalismus, deren Anschauung in dem Saz gipfelte, die Gedanken sind Produkte der Gehirntätigkeit, wie „der Urin das Produkt der Nieren“, ist heute allerdings abgetan; sie waren in ihrer starren Rüksichtslosigkeit den heutigen Halben vorzuziehen. Man hat heute eine mildere und täuschungsreichere Formel aufgestelt. Man spricht von „psicho-fisischem Parallelismus“, und erklärt dies so: jedem Bewusstseins-Inhalt entspricht ein materjeller Erregungszustand im Gehirn; oder: das psichische Leben ist ein Spiegelbild der fisischen Gehirn-Vorgänge in der Form des Bewusstseins. Aber die Fein-Näher kommen hier um keine Strecke weiter als die Grobnäher. Und Wundt steht heute noch auf demselben Standpunkt wie Büchner. Mit dem Wort „Parallelismus“ ist gar nichts gesagt, weder Abhängigkeit noch Unabhängigkeit. Mein Denken kent nicht die Formel des „Parallelismus“ als eine zureichende für seine Erkentniskraft. Es kent nur die Formel des Kausal-Gesezes, und der Frage: Warum? Mit dem Ausdruk „Parallelismus“ ist ein Bild aus

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Zitationshilfe: Panizza, Oskar: Der Illusionismus und Die Rettung der Persönlichkeit. Leipzig, 1895, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/panizza_illusionismus_1895/12>, abgerufen am 28.04.2024.