Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 2. Leipzig, 1846.Mechanisch griff er nach dem andern Brief, der von seiner Gattin kam. Das Datum, welches er trug, war ein um vier Wochen späteres. Bernhards Brief hatte wahrscheinlich schon länger als jener hier gelegen. Er las. Nochmals fand er das Gräßliche bestätigt. Amalie schrieb ihm: "Unser Kind ist todt. Ich hatte lange nicht die Kraft, Dir das Entsetzliche zu schreiben -- nun Du es bereits durch Bernhardt weißt, finde ich den Muth eher." Sie schilderte ihm herzzerreißend ihren Jammer um den Verlust ihres einzigen Kleinodes -- herzzerreißend die Leiden der letzten Stunden des so frühe Engel gewordenen Kindes -- dann fuhr sie fort: "So ist auch das letzte Band gelöst, das uns noch zusammenhielt, und so ist auch dies der letzte Brief, welchen Du von mir erhältst. Betrachte mich auch als eine Gestorbene, als sei ich mit unserm Kinde zugleich begraben worden. Wollte Gott, es wäre so! Für Dich wenigstens soll es so sein. Binnen Kurzem verlasse ich meinen jetzigen Wohnort und werde Gesellschafterin bei einer vornehmen und hochgeachteten Dame -- frage nicht das Weitere, spähe nicht danach, wohin wir gehen, Du sollst es nicht erfahren -- auch nicht durch Deine Brüder, denn deshalb habe ich es auch ihnen verschwiegen. So lange ich noch die Mutter Deines Kindes war, so lange ertrug Mechanisch griff er nach dem andern Brief, der von seiner Gattin kam. Das Datum, welches er trug, war ein um vier Wochen späteres. Bernhards Brief hatte wahrscheinlich schon länger als jener hier gelegen. Er las. Nochmals fand er das Gräßliche bestätigt. Amalie schrieb ihm: „Unser Kind ist todt. Ich hatte lange nicht die Kraft, Dir das Entsetzliche zu schreiben — nun Du es bereits durch Bernhardt weißt, finde ich den Muth eher.“ Sie schilderte ihm herzzerreißend ihren Jammer um den Verlust ihres einzigen Kleinodes — herzzerreißend die Leiden der letzten Stunden des so frühe Engel gewordenen Kindes — dann fuhr sie fort: „So ist auch das letzte Band gelöst, das uns noch zusammenhielt, und so ist auch dies der letzte Brief, welchen Du von mir erhältst. Betrachte mich auch als eine Gestorbene, als sei ich mit unserm Kinde zugleich begraben worden. Wollte Gott, es wäre so! Für Dich wenigstens soll es so sein. Binnen Kurzem verlasse ich meinen jetzigen Wohnort und werde Gesellschafterin bei einer vornehmen und hochgeachteten Dame — frage nicht das Weitere, spähe nicht danach, wohin wir gehen, Du sollst es nicht erfahren — auch nicht durch Deine Brüder, denn deshalb habe ich es auch ihnen verschwiegen. So lange ich noch die Mutter Deines Kindes war, so lange ertrug <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0152" n="146"/> <p> Mechanisch griff er nach dem andern Brief, der von seiner Gattin kam. Das Datum, welches er trug, war ein um vier Wochen späteres. Bernhards Brief hatte wahrscheinlich schon länger als jener hier gelegen.</p> <p>Er las. Nochmals fand er das Gräßliche bestätigt.</p> <p>Amalie schrieb ihm:</p> <p>„Unser Kind ist todt. Ich hatte lange nicht die Kraft, Dir das Entsetzliche zu schreiben — nun Du es bereits durch Bernhardt weißt, finde ich den Muth eher.“</p> <p>Sie schilderte ihm herzzerreißend ihren Jammer um den Verlust ihres einzigen Kleinodes — herzzerreißend die Leiden der letzten Stunden des so frühe Engel gewordenen Kindes — dann fuhr sie fort:</p> <p>„So ist auch das letzte Band gelöst, das uns noch zusammenhielt, und so ist auch dies der letzte Brief, welchen Du von mir erhältst. Betrachte mich auch als eine Gestorbene, als sei ich mit unserm Kinde zugleich begraben worden. Wollte Gott, es wäre so! Für Dich wenigstens soll es so sein. Binnen Kurzem verlasse ich meinen jetzigen Wohnort und werde Gesellschafterin bei einer vornehmen und hochgeachteten Dame — frage nicht das Weitere, spähe nicht danach, wohin wir gehen, Du sollst es nicht erfahren — auch nicht durch Deine Brüder, denn deshalb habe ich es auch ihnen verschwiegen. So lange ich noch die Mutter Deines Kindes war, so lange ertrug </p> </div> </body> </text> </TEI> [146/0152]
Mechanisch griff er nach dem andern Brief, der von seiner Gattin kam. Das Datum, welches er trug, war ein um vier Wochen späteres. Bernhards Brief hatte wahrscheinlich schon länger als jener hier gelegen.
Er las. Nochmals fand er das Gräßliche bestätigt.
Amalie schrieb ihm:
„Unser Kind ist todt. Ich hatte lange nicht die Kraft, Dir das Entsetzliche zu schreiben — nun Du es bereits durch Bernhardt weißt, finde ich den Muth eher.“
Sie schilderte ihm herzzerreißend ihren Jammer um den Verlust ihres einzigen Kleinodes — herzzerreißend die Leiden der letzten Stunden des so frühe Engel gewordenen Kindes — dann fuhr sie fort:
„So ist auch das letzte Band gelöst, das uns noch zusammenhielt, und so ist auch dies der letzte Brief, welchen Du von mir erhältst. Betrachte mich auch als eine Gestorbene, als sei ich mit unserm Kinde zugleich begraben worden. Wollte Gott, es wäre so! Für Dich wenigstens soll es so sein. Binnen Kurzem verlasse ich meinen jetzigen Wohnort und werde Gesellschafterin bei einer vornehmen und hochgeachteten Dame — frage nicht das Weitere, spähe nicht danach, wohin wir gehen, Du sollst es nicht erfahren — auch nicht durch Deine Brüder, denn deshalb habe ich es auch ihnen verschwiegen. So lange ich noch die Mutter Deines Kindes war, so lange ertrug
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Zitationshilfe: | Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 2. Leipzig, 1846, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_schloss02_1846/152>, abgerufen am 22.07.2024. |