Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 2. Leipzig, 1846."Eisenbahnarbeiter, Eisenbahnarbeiter!" fiel ihm Schuhmacher hitzig in's Wort. "Wer hat an Eisenbahnarbeiter gedacht! Durch diese Entdeckung tritt die ganze Sache in ein neues Licht, in eine neue Phase! -- Fabrikarbeiter -- so hieß meine Loosung und das haben Sie übersehen können! Und ich habe die Eisenbahnarbeiter übersehen -- -- o, da sind ungeheuere Fehler geschehen -- es ist himmelschreiend --" und in hitziger Wuth wie ein Mensch, der mindestens ein verlorenes Königreich bejammert, rannte er in der Stube auf und nieder -- endlich warf er sich erschöpft in einen Lehnstuhl -- athmete tief auf, fuhr sich mit dem seidnen Schnupftuch über die Stirn, auf welcher große Schweißtropfen standen -- athmete tief auf -- und hatte die verlorne Fassung wieder. -- Gewohnt, sich immer zu beherrschen, im Leben oft die verschiedensten Rollen durchzuführen, die unähnlichsten Masken vorzunehmen, war es ihm eine ordentliche Wohlthat, wenn er sich einmal ohne Zeugen sah, vor welchen er nöthig hatte, seinen innern Bewegungen zwängende Hemmketten anzulegen -- dann überließ er sich denselben ganz, ließ sie eine Weile toben, bis er dann nach diesem Aufruhr, sobald er einmal den Entschluß faßte, wieder gefaßt zu sein, gleichsam zu sich selbst sagte: Nun ist's genug, und im Moment all' seine Ruhe wieder hatte. Mit dieser begann er jetzt: "Es sind die Arbeiter in „Eisenbahnarbeiter, Eisenbahnarbeiter!“ fiel ihm Schuhmacher hitzig in’s Wort. „Wer hat an Eisenbahnarbeiter gedacht! Durch diese Entdeckung tritt die ganze Sache in ein neues Licht, in eine neue Phase! — Fabrikarbeiter — so hieß meine Loosung und das haben Sie übersehen können! Und ich habe die Eisenbahnarbeiter übersehen — — o, da sind ungeheuere Fehler geschehen — es ist himmelschreiend —“ und in hitziger Wuth wie ein Mensch, der mindestens ein verlorenes Königreich bejammert, rannte er in der Stube auf und nieder — endlich warf er sich erschöpft in einen Lehnstuhl — athmete tief auf, fuhr sich mit dem seidnen Schnupftuch über die Stirn, auf welcher große Schweißtropfen standen — athmete tief auf — und hatte die verlorne Fassung wieder. — Gewohnt, sich immer zu beherrschen, im Leben oft die verschiedensten Rollen durchzuführen, die unähnlichsten Masken vorzunehmen, war es ihm eine ordentliche Wohlthat, wenn er sich einmal ohne Zeugen sah, vor welchen er nöthig hatte, seinen innern Bewegungen zwängende Hemmketten anzulegen — dann überließ er sich denselben ganz, ließ sie eine Weile toben, bis er dann nach diesem Aufruhr, sobald er einmal den Entschluß faßte, wieder gefaßt zu sein, gleichsam zu sich selbst sagte: Nun ist’s genug, und im Moment all’ seine Ruhe wieder hatte. Mit dieser begann er jetzt: „Es sind die Arbeiter in <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0141" n="135"/> <p> „Eisenbahnarbeiter, Eisenbahnarbeiter!“ fiel ihm Schuhmacher hitzig in’s Wort. „Wer hat an Eisenbahnarbeiter gedacht! Durch diese Entdeckung tritt die ganze Sache in ein neues Licht, in eine neue Phase! — <hi rendition="#g">Fabrikarbeiter</hi> — so hieß meine Loosung und das haben Sie übersehen können! Und ich habe die Eisenbahnarbeiter übersehen — — o, da sind ungeheuere Fehler geschehen — es ist himmelschreiend —“ und in hitziger Wuth wie ein Mensch, der mindestens ein verlorenes Königreich bejammert, rannte er in der Stube auf und nieder — endlich warf er sich erschöpft in einen Lehnstuhl — athmete tief auf, fuhr sich mit dem seidnen Schnupftuch über die Stirn, auf welcher große Schweißtropfen standen — athmete tief auf — und hatte die verlorne Fassung wieder. — Gewohnt, sich immer zu beherrschen, im Leben oft die verschiedensten Rollen durchzuführen, die unähnlichsten Masken vorzunehmen, war es ihm eine ordentliche Wohlthat, wenn er sich einmal ohne Zeugen sah, vor welchen er nöthig hatte, seinen innern Bewegungen zwängende Hemmketten anzulegen — dann überließ er sich denselben ganz, ließ sie eine Weile toben, bis er dann nach diesem Aufruhr, sobald er einmal den Entschluß faßte, wieder gefaßt zu sein, gleichsam zu sich selbst sagte: Nun ist’s genug, und im Moment all’ seine Ruhe wieder hatte.</p> <p>Mit dieser begann er jetzt: „Es sind die Arbeiter in </p> </div> </body> </text> </TEI> [135/0141]
„Eisenbahnarbeiter, Eisenbahnarbeiter!“ fiel ihm Schuhmacher hitzig in’s Wort. „Wer hat an Eisenbahnarbeiter gedacht! Durch diese Entdeckung tritt die ganze Sache in ein neues Licht, in eine neue Phase! — Fabrikarbeiter — so hieß meine Loosung und das haben Sie übersehen können! Und ich habe die Eisenbahnarbeiter übersehen — — o, da sind ungeheuere Fehler geschehen — es ist himmelschreiend —“ und in hitziger Wuth wie ein Mensch, der mindestens ein verlorenes Königreich bejammert, rannte er in der Stube auf und nieder — endlich warf er sich erschöpft in einen Lehnstuhl — athmete tief auf, fuhr sich mit dem seidnen Schnupftuch über die Stirn, auf welcher große Schweißtropfen standen — athmete tief auf — und hatte die verlorne Fassung wieder. — Gewohnt, sich immer zu beherrschen, im Leben oft die verschiedensten Rollen durchzuführen, die unähnlichsten Masken vorzunehmen, war es ihm eine ordentliche Wohlthat, wenn er sich einmal ohne Zeugen sah, vor welchen er nöthig hatte, seinen innern Bewegungen zwängende Hemmketten anzulegen — dann überließ er sich denselben ganz, ließ sie eine Weile toben, bis er dann nach diesem Aufruhr, sobald er einmal den Entschluß faßte, wieder gefaßt zu sein, gleichsam zu sich selbst sagte: Nun ist’s genug, und im Moment all’ seine Ruhe wieder hatte.
Mit dieser begann er jetzt: „Es sind die Arbeiter in
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Zitationshilfe: | Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 2. Leipzig, 1846, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_schloss02_1846/141>, abgerufen am 22.07.2024. |