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Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 1. Leipzig, 1846.

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So selbstbewußt nun durch diese und ähnliche Handlungen Jaromir sich fühlte, von Amalien auch nicht den kleinsten Zweifel an seiner Liebe zu verdienen, so glaubte er auch nicht daran, daß sie im Ernst an seiner Treue zweifeln, und daß sie selbst je anders handeln und fühlen könne, als er -- so fiel es ihm doch, wie er nun den Brief von Amaliens Mutter und seinen Ring mit der Anzeige ihrer Verlobung mit Thalheim erhielt, plötzlich wie Schuppen von seinen Augen. -- Sie hatte ihn nie geliebt, nie geliebt, wie er allein geliebt sein wollte! -- Sie hatte nie das große, heilige Gefühl verstanden, das ihn bewegte; er hatte seine edelsten Empfindungen, sein ganzes großes Herz weggeworfen an ein Wesen, das nur damit gespielt hatte! -- Es war über ein Jahr vergangen, und er hatte keinen andern Gedanken gehabt, als den: Amalie! -- Für sie hatte er gearbeitet, für sie gedarbt -- für sie seine Nächte am Schreibtisch, oft seine Neigungen in der Literatur dem sicheren Erwerb geopfert -- und jetzt sah er sich von ihr bei Seite geworfen, einem Andern geopfert! -- Wäre sie ihm entrissen worden durch den Tod, durch irgend eine Allgewalt der Verhältnisse, er hätte es mit edler, männlicher Entsagung ertragen -- aber durch ihre Untreue wurden die bittersten Gefühle in ihm rege, durch ihren Verrath sah er sich um das schönste Jahr seines Lebens schrecklich betrogen. Er mußte die Erinnerung an dieses Liebesglück fliehen denn

So selbstbewußt nun durch diese und ähnliche Handlungen Jaromir sich fühlte, von Amalien auch nicht den kleinsten Zweifel an seiner Liebe zu verdienen, so glaubte er auch nicht daran, daß sie im Ernst an seiner Treue zweifeln, und daß sie selbst je anders handeln und fühlen könne, als er — so fiel es ihm doch, wie er nun den Brief von Amaliens Mutter und seinen Ring mit der Anzeige ihrer Verlobung mit Thalheim erhielt, plötzlich wie Schuppen von seinen Augen. — Sie hatte ihn nie geliebt, nie geliebt, wie er allein geliebt sein wollte! — Sie hatte nie das große, heilige Gefühl verstanden, das ihn bewegte; er hatte seine edelsten Empfindungen, sein ganzes großes Herz weggeworfen an ein Wesen, das nur damit gespielt hatte! — Es war über ein Jahr vergangen, und er hatte keinen andern Gedanken gehabt, als den: Amalie! — Für sie hatte er gearbeitet, für sie gedarbt — für sie seine Nächte am Schreibtisch, oft seine Neigungen in der Literatur dem sicheren Erwerb geopfert — und jetzt sah er sich von ihr bei Seite geworfen, einem Andern geopfert! — Wäre sie ihm entrissen worden durch den Tod, durch irgend eine Allgewalt der Verhältnisse, er hätte es mit edler, männlicher Entsagung ertragen — aber durch ihre Untreue wurden die bittersten Gefühle in ihm rege, durch ihren Verrath sah er sich um das schönste Jahr seines Lebens schrecklich betrogen. Er mußte die Erinnerung an dieses Liebesglück fliehen denn

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[48/0058] So selbstbewußt nun durch diese und ähnliche Handlungen Jaromir sich fühlte, von Amalien auch nicht den kleinsten Zweifel an seiner Liebe zu verdienen, so glaubte er auch nicht daran, daß sie im Ernst an seiner Treue zweifeln, und daß sie selbst je anders handeln und fühlen könne, als er — so fiel es ihm doch, wie er nun den Brief von Amaliens Mutter und seinen Ring mit der Anzeige ihrer Verlobung mit Thalheim erhielt, plötzlich wie Schuppen von seinen Augen. — Sie hatte ihn nie geliebt, nie geliebt, wie er allein geliebt sein wollte! — Sie hatte nie das große, heilige Gefühl verstanden, das ihn bewegte; er hatte seine edelsten Empfindungen, sein ganzes großes Herz weggeworfen an ein Wesen, das nur damit gespielt hatte! — Es war über ein Jahr vergangen, und er hatte keinen andern Gedanken gehabt, als den: Amalie! — Für sie hatte er gearbeitet, für sie gedarbt — für sie seine Nächte am Schreibtisch, oft seine Neigungen in der Literatur dem sicheren Erwerb geopfert — und jetzt sah er sich von ihr bei Seite geworfen, einem Andern geopfert! — Wäre sie ihm entrissen worden durch den Tod, durch irgend eine Allgewalt der Verhältnisse, er hätte es mit edler, männlicher Entsagung ertragen — aber durch ihre Untreue wurden die bittersten Gefühle in ihm rege, durch ihren Verrath sah er sich um das schönste Jahr seines Lebens schrecklich betrogen. Er mußte die Erinnerung an dieses Liebesglück fliehen denn

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Zitationshilfe: Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 1. Leipzig, 1846, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_schloss01_1846/58>, abgerufen am 30.04.2024.