Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 1. Leipzig, 1846.dürfen alle Schranken fallen und Seele zur Seele reden, wirf mit mir alle Vorurtheile bei Seite und erfülle meine Bitte, ich muß ihn sehen!" "Wie wäre das möglich?" sagte Johannes bestürzt. "Ist der Graf denn hier? Und dann -- und --" er war zu betroffen von dem nun eben Gehörten, in dem er ja noch gar keinen Zusammenhang fand, um darüber ruhig denken und sprechen zu können, und dabei sagte er sich selbst unaufhörlich, daß er die Tod ranke schonen, jede Aufregung vermeiden müsse -- und doch war sein Herz so voll von eben darin erweckten Qualen, daß es Tausend verzweiflungsvolle Fragen, welche der Mund nimmer auszusprechen wagte, an die Gattin that. "Ach, Johannes," begann sie wieder, "ich habe Dir Alles sorgfältig verborgen, was mich gemartert hat bis zu dieser Stunde. Darüber bin ich oft launenhaft und hart gegen Dich gewesen, denn es ist nicht leicht, sein Herz zu einem Gefühl überreden zu wollen, zu dem es ewig nein sagt." "Aber Amalie, ich beschwöre Dich! --" sagte er mit gepreßter Stimme. "Still, Johannes," fiel sie ihm in's Wort, "ich weiß, was Du sagen willst, schone mich nicht -- doch Du willst dies, und so will ich denn selbst für Dich reden. Du willst mich fragen, warum ich Dein Weib ward, da ich doch dürfen alle Schranken fallen und Seele zur Seele reden, wirf mit mir alle Vorurtheile bei Seite und erfülle meine Bitte, ich muß ihn sehen!“ „Wie wäre das möglich?“ sagte Johannes bestürzt. „Ist der Graf denn hier? Und dann — und —“ er war zu betroffen von dem nun eben Gehörten, in dem er ja noch gar keinen Zusammenhang fand, um darüber ruhig denken und sprechen zu können, und dabei sagte er sich selbst unaufhörlich, daß er die Tod ranke schonen, jede Aufregung vermeiden müsse — und doch war sein Herz so voll von eben darin erweckten Qualen, daß es Tausend verzweiflungsvolle Fragen, welche der Mund nimmer auszusprechen wagte, an die Gattin that. „Ach, Johannes,“ begann sie wieder, „ich habe Dir Alles sorgfältig verborgen, was mich gemartert hat bis zu dieser Stunde. Darüber bin ich oft launenhaft und hart gegen Dich gewesen, denn es ist nicht leicht, sein Herz zu einem Gefühl überreden zu wollen, zu dem es ewig nein sagt.“ „Aber Amalie, ich beschwöre Dich! —“ sagte er mit gepreßter Stimme. „Still, Johannes,“ fiel sie ihm in’s Wort, „ich weiß, was Du sagen willst, schone mich nicht — doch Du willst dies, und so will ich denn selbst für Dich reden. Du willst mich fragen, warum ich Dein Weib ward, da ich doch <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0035" n="25"/> dürfen alle Schranken fallen und Seele zur Seele reden, wirf mit mir alle Vorurtheile bei Seite und erfülle meine Bitte, ich muß ihn sehen!“</p> <p>„Wie wäre das möglich?“ sagte Johannes bestürzt. „Ist der Graf denn hier? Und dann — und —“ er war zu betroffen von dem nun eben Gehörten, in dem er ja noch gar keinen Zusammenhang fand, um darüber ruhig denken und sprechen zu können, und dabei sagte er sich selbst unaufhörlich, daß er die Tod ranke schonen, jede Aufregung vermeiden müsse — und doch war sein Herz so voll von eben darin erweckten Qualen, daß es Tausend verzweiflungsvolle Fragen, welche der Mund nimmer auszusprechen wagte, an die Gattin that.</p> <p>„Ach, Johannes,“ begann sie wieder, „ich habe Dir Alles sorgfältig verborgen, was mich gemartert hat bis zu dieser Stunde. Darüber bin ich oft launenhaft und hart gegen Dich gewesen, denn es ist nicht leicht, sein Herz zu einem Gefühl überreden zu wollen, zu dem es ewig nein sagt.“</p> <p>„Aber Amalie, ich beschwöre Dich! —“ sagte er mit gepreßter Stimme.</p> <p>„Still, Johannes,“ fiel sie ihm in’s Wort, „ich weiß, was Du sagen willst, schone mich nicht — doch Du willst dies, und so will ich denn selbst für Dich reden. Du willst mich fragen, warum ich Dein Weib ward, da ich doch </p> </div> </body> </text> </TEI> [25/0035]
dürfen alle Schranken fallen und Seele zur Seele reden, wirf mit mir alle Vorurtheile bei Seite und erfülle meine Bitte, ich muß ihn sehen!“
„Wie wäre das möglich?“ sagte Johannes bestürzt. „Ist der Graf denn hier? Und dann — und —“ er war zu betroffen von dem nun eben Gehörten, in dem er ja noch gar keinen Zusammenhang fand, um darüber ruhig denken und sprechen zu können, und dabei sagte er sich selbst unaufhörlich, daß er die Tod ranke schonen, jede Aufregung vermeiden müsse — und doch war sein Herz so voll von eben darin erweckten Qualen, daß es Tausend verzweiflungsvolle Fragen, welche der Mund nimmer auszusprechen wagte, an die Gattin that.
„Ach, Johannes,“ begann sie wieder, „ich habe Dir Alles sorgfältig verborgen, was mich gemartert hat bis zu dieser Stunde. Darüber bin ich oft launenhaft und hart gegen Dich gewesen, denn es ist nicht leicht, sein Herz zu einem Gefühl überreden zu wollen, zu dem es ewig nein sagt.“
„Aber Amalie, ich beschwöre Dich! —“ sagte er mit gepreßter Stimme.
„Still, Johannes,“ fiel sie ihm in’s Wort, „ich weiß, was Du sagen willst, schone mich nicht — doch Du willst dies, und so will ich denn selbst für Dich reden. Du willst mich fragen, warum ich Dein Weib ward, da ich doch
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Zitationshilfe: | Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 1. Leipzig, 1846, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_schloss01_1846/35>, abgerufen am 22.07.2024. |