Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 1. Leipzig, 1846.ja ganz erfroren und blaß aus, bist Du nicht warm angezogen? 's ist ja eben für eine Decembernacht gar nicht kalt. Nun komm nur herein in die Stube, da wird Dir schon warm werden, oder willst Du, ehe wir essen, erst oben in Deinen Stuben ablegen, mein Püppchen?" "Nein, das ist nicht nöthig," sagte Pauline. "Nun, so komm nur herein, Kind, Du zitterst ja am ganzen Leibe!" Und der Vater schob sie in die große Stube im Erdgeschoß, wo der Tisch gedeckt war. Warum sie so zitterte, und so blaß aussah, konnt' er freilich nicht wissen. Die große Stube war einfach eingerichtet, besonders trugen die Dielen Spuren von vielen schmuzigen Stiefeln. An der Oeffnung, aus welcher der heiße Luftstrahl der Dampfheizung hereinströmte, stand Georg, Paulinens ältrer Bruder, und ließ sich den heißen Strom an den Rücken wehen. Sie lief auf ihn zu und umarmte ihn. Er erwiderte den Gruß kalt, und als sie freundlich zu ihm sagte: "Nun, wie geht es, lieber Bruder? Wir haben uns lange nicht gesehen!" antwortete er finster: "Wie soll's gehen? Es sind schlechte Zeiten, da weiß man wohl wie's gehen kann!" "Was meinst Du?" "Nichts als Aerger den ganzen Tag mit dem verfluchten Pack, das bald von der Arbeit laufen, bald höhern Lohn verlangen will, und noch Gesichter schneidet, wenn ja ganz erfroren und blaß aus, bist Du nicht warm angezogen? ’s ist ja eben für eine Decembernacht gar nicht kalt. Nun komm nur herein in die Stube, da wird Dir schon warm werden, oder willst Du, ehe wir essen, erst oben in Deinen Stuben ablegen, mein Püppchen?“ „Nein, das ist nicht nöthig,“ sagte Pauline. „Nun, so komm nur herein, Kind, Du zitterst ja am ganzen Leibe!“ Und der Vater schob sie in die große Stube im Erdgeschoß, wo der Tisch gedeckt war. Warum sie so zitterte, und so blaß aussah, konnt’ er freilich nicht wissen. Die große Stube war einfach eingerichtet, besonders trugen die Dielen Spuren von vielen schmuzigen Stiefeln. An der Oeffnung, aus welcher der heiße Luftstrahl der Dampfheizung hereinströmte, stand Georg, Paulinens ältrer Bruder, und ließ sich den heißen Strom an den Rücken wehen. Sie lief auf ihn zu und umarmte ihn. Er erwiderte den Gruß kalt, und als sie freundlich zu ihm sagte: „Nun, wie geht es, lieber Bruder? Wir haben uns lange nicht gesehen!“ antwortete er finster: „Wie soll’s gehen? Es sind schlechte Zeiten, da weiß man wohl wie’s gehen kann!“ „Was meinst Du?“ „Nichts als Aerger den ganzen Tag mit dem verfluchten Pack, das bald von der Arbeit laufen, bald höhern Lohn verlangen will, und noch Gesichter schneidet, wenn <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0133" n="123"/> ja ganz erfroren und blaß aus, bist Du nicht warm angezogen? ’s ist ja eben für eine Decembernacht gar nicht kalt. Nun komm nur herein in die Stube, da wird Dir schon warm werden, oder willst Du, ehe wir essen, erst oben in Deinen Stuben ablegen, mein Püppchen?“</p> <p>„Nein, das ist nicht nöthig,“ sagte Pauline.</p> <p>„Nun, so komm nur herein, Kind, Du zitterst ja am ganzen Leibe!“ Und der Vater schob sie in die große Stube im Erdgeschoß, wo der Tisch gedeckt war. Warum sie so zitterte, und so blaß aussah, konnt’ er freilich nicht wissen.</p> <p>Die große Stube war einfach eingerichtet, besonders trugen die Dielen Spuren von vielen schmuzigen Stiefeln. An der Oeffnung, aus welcher der heiße Luftstrahl der Dampfheizung hereinströmte, stand Georg, Paulinens ältrer Bruder, und ließ sich den heißen Strom an den Rücken wehen. Sie lief auf ihn zu und umarmte ihn. Er erwiderte den Gruß kalt, und als sie freundlich zu ihm sagte: „Nun, wie geht es, lieber Bruder? Wir haben uns lange nicht gesehen!“ antwortete er finster:</p> <p>„Wie soll’s gehen? Es sind schlechte Zeiten, da weiß man wohl wie’s gehen kann!“</p> <p>„Was meinst Du?“</p> <p>„Nichts als Aerger den ganzen Tag mit dem verfluchten Pack, das bald von der Arbeit laufen, bald höhern Lohn verlangen will, und noch Gesichter schneidet, wenn </p> </div> </body> </text> </TEI> [123/0133]
ja ganz erfroren und blaß aus, bist Du nicht warm angezogen? ’s ist ja eben für eine Decembernacht gar nicht kalt. Nun komm nur herein in die Stube, da wird Dir schon warm werden, oder willst Du, ehe wir essen, erst oben in Deinen Stuben ablegen, mein Püppchen?“
„Nein, das ist nicht nöthig,“ sagte Pauline.
„Nun, so komm nur herein, Kind, Du zitterst ja am ganzen Leibe!“ Und der Vater schob sie in die große Stube im Erdgeschoß, wo der Tisch gedeckt war. Warum sie so zitterte, und so blaß aussah, konnt’ er freilich nicht wissen.
Die große Stube war einfach eingerichtet, besonders trugen die Dielen Spuren von vielen schmuzigen Stiefeln. An der Oeffnung, aus welcher der heiße Luftstrahl der Dampfheizung hereinströmte, stand Georg, Paulinens ältrer Bruder, und ließ sich den heißen Strom an den Rücken wehen. Sie lief auf ihn zu und umarmte ihn. Er erwiderte den Gruß kalt, und als sie freundlich zu ihm sagte: „Nun, wie geht es, lieber Bruder? Wir haben uns lange nicht gesehen!“ antwortete er finster:
„Wie soll’s gehen? Es sind schlechte Zeiten, da weiß man wohl wie’s gehen kann!“
„Was meinst Du?“
„Nichts als Aerger den ganzen Tag mit dem verfluchten Pack, das bald von der Arbeit laufen, bald höhern Lohn verlangen will, und noch Gesichter schneidet, wenn
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Zitationshilfe: | Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 1. Leipzig, 1846, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_schloss01_1846/133>, abgerufen am 16.02.2025. |