oft da redete, wo es nicht Allen angenehm war, sie zu hören. Es war für die Wahrheit, was er litt. Dies Bewußtsein richtete ihn wieder auf. Und seine Mutter? -- nein! es war ihm auf die Länge der Zeit unmöglich, zu glauben, daß sie gestorben sei mit Worten des Vorwurfs und der Drohung gegen ihn auf ihren Lippen -- sie war eine arme, schwache Frau, aber sie hatte bei dem Allen ein großes, tiefes Gemüth, das Liebe zu ihrem einzigen Sohn ausfüllte -- er war ihr Alles! er begriff es, daß sie sterben konnte aus Schmerz und Schreck um ihn, aber er begriff nicht, wie sie ihn ohne ihren Segen hätte zurücklassen können und darum glaubte er bald nicht mehr an die Erzählung seines Gefängnißwärters von ihr. Und hatte er denn Schuld an ihrem Tod? nein! nicht er, son- dern diejenigen, die ihn von ihrer Seite plötzlich und roh hinwegrissen, die ihn widerrechtlich gefangen nahmen. Diese waren die Mörder! -- Ein glühender Haß erfüllte ihn gegen diese Mörder seiner Mutter. --
Aber Mutter Evas Tod und Johannes Festnehmung waren nicht die einzigen Leiden, die nun plötzlich über das ganze arme Dorf hereinbrachen. Gleich nachher wur- den die Turnvereine und Liederfeste nicht nur in unserm Dorfe, sondern im ganzen Lande überhaupt verboten und jede Möglichkeit einer glücklichen Vereinigung dadurch ab- geschnitten. Der Pfarrer bekümmerte sich wieder nur wie
oft da redete, wo es nicht Allen angenehm war, ſie zu hoͤren. Es war fuͤr die Wahrheit, was er litt. Dies Bewußtſein richtete ihn wieder auf. Und ſeine Mutter? — nein! es war ihm auf die Laͤnge der Zeit unmoͤglich, zu glauben, daß ſie geſtorben ſei mit Worten des Vorwurfs und der Drohung gegen ihn auf ihren Lippen — ſie war eine arme, ſchwache Frau, aber ſie hatte bei dem Allen ein großes, tiefes Gemuͤth, das Liebe zu ihrem einzigen Sohn ausfuͤllte — er war ihr Alles! er begriff es, daß ſie ſterben konnte aus Schmerz und Schreck um ihn, aber er begriff nicht, wie ſie ihn ohne ihren Segen haͤtte zuruͤcklaſſen koͤnnen und darum glaubte er bald nicht mehr an die Erzaͤhlung ſeines Gefaͤngnißwaͤrters von ihr. Und hatte er denn Schuld an ihrem Tod? nein! nicht er, ſon- dern diejenigen, die ihn von ihrer Seite ploͤtzlich und roh hinwegriſſen, die ihn widerrechtlich gefangen nahmen. Dieſe waren die Moͤrder! — Ein gluͤhender Haß erfuͤllte ihn gegen dieſe Moͤrder ſeiner Mutter. —
Aber Mutter Evas Tod und Johannes Feſtnehmung waren nicht die einzigen Leiden, die nun ploͤtzlich uͤber das ganze arme Dorf hereinbrachen. Gleich nachher wur- den die Turnvereine und Liederfeſte nicht nur in unſerm Dorfe, ſondern im ganzen Lande uͤberhaupt verboten und jede Moͤglichkeit einer gluͤcklichen Vereinigung dadurch ab- geſchnitten. Der Pfarrer bekuͤmmerte ſich wieder nur wie
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oft da redete, wo es nicht Allen angenehm war, ſie zu
hoͤren. Es war fuͤr die Wahrheit, was er litt. Dies
Bewußtſein richtete ihn wieder auf. Und ſeine Mutter? —
nein! es war ihm auf die Laͤnge der Zeit unmoͤglich, zu
glauben, daß ſie geſtorben ſei mit Worten des Vorwurfs
und der Drohung gegen ihn auf ihren Lippen — ſie war
eine arme, ſchwache Frau, aber ſie hatte bei dem Allen
ein großes, tiefes Gemuͤth, das Liebe zu ihrem einzigen
Sohn ausfuͤllte — er war ihr Alles! er begriff es, daß
ſie ſterben konnte aus Schmerz und Schreck um ihn,
aber er begriff nicht, wie ſie ihn ohne ihren Segen haͤtte
zuruͤcklaſſen koͤnnen und darum glaubte er bald nicht mehr
an die Erzaͤhlung ſeines Gefaͤngnißwaͤrters von ihr. Und
hatte er denn Schuld an ihrem Tod? nein! nicht er, ſon-
dern diejenigen, die ihn von ihrer Seite ploͤtzlich und roh
hinwegriſſen, die ihn widerrechtlich gefangen nahmen.
Dieſe waren die Moͤrder! — Ein gluͤhender Haß erfuͤllte
ihn gegen dieſe Moͤrder ſeiner Mutter. —
Aber Mutter Evas Tod und Johannes Feſtnehmung
waren nicht die einzigen Leiden, die nun ploͤtzlich uͤber
das ganze arme Dorf hereinbrachen. Gleich nachher wur-
den die Turnvereine und Liederfeſte nicht nur in unſerm
Dorfe, ſondern im ganzen Lande uͤberhaupt verboten und
jede Moͤglichkeit einer gluͤcklichen Vereinigung dadurch ab-
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Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/318>, abgerufen am 22.11.2024.
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