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Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849.

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Suschen sagte: "Jch glaube nicht, daß es so schnell
geht, selbst wenn kein Aufkommen in ihrem Alter mög-
lich wäre -- sie wird doch wohl noch Tage zu leben
haben -- ach! ich meine, sie kann nicht eher ersterben,
als bis sie ihren Johannes noch einmal gesehen hat!" --

"Jch habe auch schon daran gedacht," sagte der Schul-
meister, "nun, selbst wenn er gefangen ist und es bleiben
sollte, so denke ich, wird man ihn doch zu seiner sterben-
den Mutter lassen, wenn bei den Behörden darum nach-
gesucht wird. Heute wäre es doch zu spät und vergeb-
lich gewesen -- aber wenn sie den nächsten Tag noch
erlebt, wie Sie glauben und wohl möglich ist, dann
will ich hinein in die Stadt, dem Amtmann und allen
Leuten, die etwa ein Wörtchen mit darein zu reden haben,
Vorstellungen machen -- sie werden doch den Sohn zur
sterbenden Mutter lassen! wenn es nicht anders sein
kann, können ihn ja Gerichtspersonen begleiten."

"Ja, das meine ich auch," sagte Suschen, "und wer
weiß, wie der Schreck ihr geschadet, könnte wohl auch die
Freude ihr wieder aufhelfen! Jch habe gleich gedacht,
aber nicht Sie sollen in die Stadt gehen -- ich habe es
selbst im Sinne."

"Sie, Suschen?" fragte der Schulmeister und sah
sie mit großen Augen verwundert und betrübt zugleich
an. --

19 *

Suschen ſagte: „Jch glaube nicht, daß es ſo ſchnell
geht, ſelbſt wenn kein Aufkommen in ihrem Alter moͤg-
lich waͤre — ſie wird doch wohl noch Tage zu leben
haben — ach! ich meine, ſie kann nicht eher erſterben,
als bis ſie ihren Johannes noch einmal geſehen hat!“ —

„Jch habe auch ſchon daran gedacht,“ ſagte der Schul-
meiſter, „nun, ſelbſt wenn er gefangen iſt und es bleiben
ſollte, ſo denke ich, wird man ihn doch zu ſeiner ſterben-
den Mutter laſſen, wenn bei den Behoͤrden darum nach-
geſucht wird. Heute waͤre es doch zu ſpaͤt und vergeb-
lich geweſen — aber wenn ſie den naͤchſten Tag noch
erlebt, wie Sie glauben und wohl moͤglich iſt, dann
will ich hinein in die Stadt, dem Amtmann und allen
Leuten, die etwa ein Woͤrtchen mit darein zu reden haben,
Vorſtellungen machen — ſie werden doch den Sohn zur
ſterbenden Mutter laſſen! wenn es nicht anders ſein
kann, koͤnnen ihn ja Gerichtsperſonen begleiten.“

„Ja, das meine ich auch,“ ſagte Suschen, „und wer
weiß, wie der Schreck ihr geſchadet, koͤnnte wohl auch die
Freude ihr wieder aufhelfen! Jch habe gleich gedacht,
aber nicht Sie ſollen in die Stadt gehen — ich habe es
ſelbſt im Sinne.“

„Sie, Suschen?“ fragte der Schulmeiſter und ſah
ſie mit großen Augen verwundert und betruͤbt zugleich
an. —

19 *
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[291/0299] Suschen ſagte: „Jch glaube nicht, daß es ſo ſchnell geht, ſelbſt wenn kein Aufkommen in ihrem Alter moͤg- lich waͤre — ſie wird doch wohl noch Tage zu leben haben — ach! ich meine, ſie kann nicht eher erſterben, als bis ſie ihren Johannes noch einmal geſehen hat!“ — „Jch habe auch ſchon daran gedacht,“ ſagte der Schul- meiſter, „nun, ſelbſt wenn er gefangen iſt und es bleiben ſollte, ſo denke ich, wird man ihn doch zu ſeiner ſterben- den Mutter laſſen, wenn bei den Behoͤrden darum nach- geſucht wird. Heute waͤre es doch zu ſpaͤt und vergeb- lich geweſen — aber wenn ſie den naͤchſten Tag noch erlebt, wie Sie glauben und wohl moͤglich iſt, dann will ich hinein in die Stadt, dem Amtmann und allen Leuten, die etwa ein Woͤrtchen mit darein zu reden haben, Vorſtellungen machen — ſie werden doch den Sohn zur ſterbenden Mutter laſſen! wenn es nicht anders ſein kann, koͤnnen ihn ja Gerichtsperſonen begleiten.“ „Ja, das meine ich auch,“ ſagte Suschen, „und wer weiß, wie der Schreck ihr geſchadet, koͤnnte wohl auch die Freude ihr wieder aufhelfen! Jch habe gleich gedacht, aber nicht Sie ſollen in die Stadt gehen — ich habe es ſelbſt im Sinne.“ „Sie, Suschen?“ fragte der Schulmeiſter und ſah ſie mit großen Augen verwundert und betruͤbt zugleich an. — 19 *

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Zitationshilfe: Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/299>, abgerufen am 22.11.2024.