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Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849.

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Unser Schulmeister sah sie ganz verwundert an --
dann gäb's ja keine Gerechtigkeit mehr auf Erden! hatte
sie gerufen -- dann! -- er mußte sich es immer in
der Stille wiederholen -- also dann erst, dann erst,
wenn auch er verhaftet würde, wollte sie verzweifeln! Er
vergaß einen Augenblick lang alles Andere über dies eine
kleine Wort -- vor einigen Monaten noch hätte es ihn
überselig gemacht, da hätte er es ganz zu seinen Gunsten
ausgelegt. Aber jetzt? durft' er's denn da auch? jetzt konnte
es ihn ja nicht selig, sondern nur verwundert machen.
Sie mußte doch gewiß zumeist außer sich sein über Jo-
hannes -- ihren Liebsten! --

Es war eine lange Stille eingetreten nach diesem
Ausruf Suschens -- Niemand wollte und hatte Etwas
darauf zu sagen, auch der Pfarrer nicht und Suschen
selber schwieg auch; der Schulmeister aber war ganz in
ihr Anschauen versunken. --

Es ward spät, Mutter Eva lag still da und nur das
Zucken ihrer Glieder verrieth zuweilen, daß sie noch lebe.
Suschen sagte, sie wolle bei ihr wachen, die Andern möch-
ten sich nun aber doch schlafen legen, es könne ja Nie-
mand hier Etwas helfen. Nach der Käthe schrie ohnehin
in der Unterstube der Junge immer, sie möge nur gehen,
damit er endlich zur Ruhe käme. Wenn Etwas die
Nacht bei der Kranken geschehen solle, wolle sie schon

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Unſer Schulmeiſter ſah ſie ganz verwundert an —
dann gaͤb’s ja keine Gerechtigkeit mehr auf Erden! hatte
ſie gerufen — dann! — er mußte ſich es immer in
der Stille wiederholen — alſo dann erſt, dann erſt,
wenn auch er verhaftet wuͤrde, wollte ſie verzweifeln! Er
vergaß einen Augenblick lang alles Andere uͤber dies eine
kleine Wort — vor einigen Monaten noch haͤtte es ihn
uͤberſelig gemacht, da haͤtte er es ganz zu ſeinen Gunſten
ausgelegt. Aber jetzt? durft’ er’s denn da auch? jetzt konnte
es ihn ja nicht ſelig, ſondern nur verwundert machen.
Sie mußte doch gewiß zumeiſt außer ſich ſein uͤber Jo-
hannes — ihren Liebſten! —

Es war eine lange Stille eingetreten nach dieſem
Ausruf Suschens — Niemand wollte und hatte Etwas
darauf zu ſagen, auch der Pfarrer nicht und Suschen
ſelber ſchwieg auch; der Schulmeiſter aber war ganz in
ihr Anſchauen verſunken. —

Es ward ſpaͤt, Mutter Eva lag ſtill da und nur das
Zucken ihrer Glieder verrieth zuweilen, daß ſie noch lebe.
Suschen ſagte, ſie wolle bei ihr wachen, die Andern moͤch-
ten ſich nun aber doch ſchlafen legen, es koͤnne ja Nie-
mand hier Etwas helfen. Nach der Kaͤthe ſchrie ohnehin
in der Unterſtube der Junge immer, ſie moͤge nur gehen,
damit er endlich zur Ruhe kaͤme. Wenn Etwas die
Nacht bei der Kranken geſchehen ſolle, wolle ſie ſchon

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[289/0297] Unſer Schulmeiſter ſah ſie ganz verwundert an — dann gaͤb’s ja keine Gerechtigkeit mehr auf Erden! hatte ſie gerufen — dann! — er mußte ſich es immer in der Stille wiederholen — alſo dann erſt, dann erſt, wenn auch er verhaftet wuͤrde, wollte ſie verzweifeln! Er vergaß einen Augenblick lang alles Andere uͤber dies eine kleine Wort — vor einigen Monaten noch haͤtte es ihn uͤberſelig gemacht, da haͤtte er es ganz zu ſeinen Gunſten ausgelegt. Aber jetzt? durft’ er’s denn da auch? jetzt konnte es ihn ja nicht ſelig, ſondern nur verwundert machen. Sie mußte doch gewiß zumeiſt außer ſich ſein uͤber Jo- hannes — ihren Liebſten! — Es war eine lange Stille eingetreten nach dieſem Ausruf Suschens — Niemand wollte und hatte Etwas darauf zu ſagen, auch der Pfarrer nicht und Suschen ſelber ſchwieg auch; der Schulmeiſter aber war ganz in ihr Anſchauen verſunken. — Es ward ſpaͤt, Mutter Eva lag ſtill da und nur das Zucken ihrer Glieder verrieth zuweilen, daß ſie noch lebe. Suschen ſagte, ſie wolle bei ihr wachen, die Andern moͤch- ten ſich nun aber doch ſchlafen legen, es koͤnne ja Nie- mand hier Etwas helfen. Nach der Kaͤthe ſchrie ohnehin in der Unterſtube der Junge immer, ſie moͤge nur gehen, damit er endlich zur Ruhe kaͤme. Wenn Etwas die Nacht bei der Kranken geſchehen ſolle, wolle ſie ſchon 19

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Zitationshilfe: Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/297>, abgerufen am 18.05.2024.