Er dachte stille bei sich: meine Mutter mag nicht Unrecht haben mit ihrer Angst. Ein stilles, einfältiges Gemüth kommt oft der Wahrheit am Nächsten. Es kann schon sein, daß sie mich heut' oder morgen oder ir- gend einmal auch in den Kerker werfen, den sie für Je- den in Bereitschaft halten, der für die Freiheit kämpft -- das hab' ich mir schon Tausendmal gesagt und bin selbst auf jede Stunde bereit gewesen, für die Freiheit zu leiden und ihr jedes Opfer zu bringen, das sie fordern könnte. Es ist in diesem Gedanken nichts Schreckendes für mich gewesen, obwohl ich nie leichtsinnig und unüberlegt mich in Gefahr gestürzt habe, ich bin ihr sogar ausgewichen, wenn es mit meinem Gewissen und meiner Ehre sich vertrug. Aber nun die Angst einer Mutter! meiner Mutter! Jch habe es mir nie so ausgemalt, wenn ich daran dachte, wie ich sie jetzt fand. Nein, so habe ich sie mir nicht gedacht, so doch nicht! Aber kann ich's ändern? kann ich aufhören, der Freiheit zu dienen? dann müßte ich aufhören, ich selber zu sein, dann wär' ich auch nicht werth, der Sohn meiner Mutter zu heißen, dann wär' ich nicht mehr der Johannes, den sie jetzt so lieb hat, auf den sie stolz ist. Aber eine Mutter, deren Ge- danken nicht weiter gehen als wie ihr Dorf, kann das freilich nicht recht begreifen -- darum thät' es wohl Noth, man suchte es nicht nur den Männern, sondern auch den
Er dachte ſtille bei ſich: meine Mutter mag nicht Unrecht haben mit ihrer Angſt. Ein ſtilles, einfaͤltiges Gemuͤth kommt oft der Wahrheit am Naͤchſten. Es kann ſchon ſein, daß ſie mich heut’ oder morgen oder ir- gend einmal auch in den Kerker werfen, den ſie fuͤr Je- den in Bereitſchaft halten, der fuͤr die Freiheit kaͤmpft — das hab’ ich mir ſchon Tauſendmal geſagt und bin ſelbſt auf jede Stunde bereit geweſen, fuͤr die Freiheit zu leiden und ihr jedes Opfer zu bringen, das ſie fordern koͤnnte. Es iſt in dieſem Gedanken nichts Schreckendes fuͤr mich geweſen, obwohl ich nie leichtſinnig und unuͤberlegt mich in Gefahr geſtuͤrzt habe, ich bin ihr ſogar ausgewichen, wenn es mit meinem Gewiſſen und meiner Ehre ſich vertrug. Aber nun die Angſt einer Mutter! meiner Mutter! Jch habe es mir nie ſo ausgemalt, wenn ich daran dachte, wie ich ſie jetzt fand. Nein, ſo habe ich ſie mir nicht gedacht, ſo doch nicht! Aber kann ich’s aͤndern? kann ich aufhoͤren, der Freiheit zu dienen? dann muͤßte ich aufhoͤren, ich ſelber zu ſein, dann waͤr’ ich auch nicht werth, der Sohn meiner Mutter zu heißen, dann waͤr’ ich nicht mehr der Johannes, den ſie jetzt ſo lieb hat, auf den ſie ſtolz iſt. Aber eine Mutter, deren Ge- danken nicht weiter gehen als wie ihr Dorf, kann das freilich nicht recht begreifen — darum thaͤt’ es wohl Noth, man ſuchte es nicht nur den Maͤnnern, ſondern auch den
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Er dachte ſtille bei ſich: meine Mutter mag nicht
Unrecht haben mit ihrer Angſt. Ein ſtilles, einfaͤltiges
Gemuͤth kommt oft der Wahrheit am Naͤchſten. Es
kann ſchon ſein, daß ſie mich heut’ oder morgen oder ir-
gend einmal auch in den Kerker werfen, den ſie fuͤr Je-
den in Bereitſchaft halten, der fuͤr die Freiheit kaͤmpft —
das hab’ ich mir ſchon Tauſendmal geſagt und bin ſelbſt
auf jede Stunde bereit geweſen, fuͤr die Freiheit zu leiden
und ihr jedes Opfer zu bringen, das ſie fordern koͤnnte.
Es iſt in dieſem Gedanken nichts Schreckendes fuͤr mich
geweſen, obwohl ich nie leichtſinnig und unuͤberlegt mich
in Gefahr geſtuͤrzt habe, ich bin ihr ſogar ausgewichen,
wenn es mit meinem Gewiſſen und meiner Ehre ſich
vertrug. Aber nun die Angſt einer Mutter! meiner
Mutter! Jch habe es mir nie ſo ausgemalt, wenn ich
daran dachte, wie ich ſie jetzt fand. Nein, ſo habe ich
ſie mir nicht gedacht, ſo doch nicht! Aber kann ich’s
aͤndern? kann ich aufhoͤren, der Freiheit zu dienen? dann
muͤßte ich aufhoͤren, ich ſelber zu ſein, dann waͤr’ ich auch
nicht werth, der Sohn meiner Mutter zu heißen, dann
waͤr’ ich nicht mehr der Johannes, den ſie jetzt ſo lieb
hat, auf den ſie ſtolz iſt. Aber eine Mutter, deren Ge-
danken nicht weiter gehen als wie ihr Dorf, kann das
freilich nicht recht begreifen — darum thaͤt’ es wohl Noth,
man ſuchte es nicht nur den Maͤnnern, ſondern auch den
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Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/271>, abgerufen am 22.11.2024.
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