einmal in alten Anschauungen erzogen und aufgewachsen waren, auch später, wenn sie davon einigermaßen sich losgerungen und bei ihren frühern Gefährten und Ge- nossen nun für höchst freisinnig galten, doch fast niemals auf der Bahn des Fortschrittes gleichen Schritt hielten mit der energischen Jugend und vor deren kühnerm Auf- treten zurückbebten.
Nach einigen Tagen ging Johannes wieder zum Pfarrer als wäre Nichts geschehen und redete mit ihm in gewohnter, früherer Weise von hundert verschiedenen Dingen. Aber der Pfarrer ließ ihn nicht so leichten Kaufes davon. Er begann wieder:
"Es kann Dir nicht unbekannt sein, lieber Johannes, daß die Sing- und Turnvereine überall von Oben herab mit mißtrauischem Auge betrachtet, wohl auch gelegentlich überwacht werden -- Du allein bist Schuld, wenn unser Dorf, in dem man bisher treiben und lassen konnte was man wollte, nun diese Beaufsichtigung auch auf sich lenkt und nun viel weniger Gutes zu Stande kommen kann als bisher, wo dies in aller Stille geschah und Niemand uns beobachtete."
Johannes lächelte und sagte: "So lange die Bur- schen hier nur in der Schenke ihr Geld verspielten und vertranken, war freilich weiter Nichts zu beobachten; denn das Recht, diesen Lastern zu fröhnen, ist Jedermann
einmal in alten Anſchauungen erzogen und aufgewachſen waren, auch ſpaͤter, wenn ſie davon einigermaßen ſich losgerungen und bei ihren fruͤhern Gefaͤhrten und Ge- noſſen nun fuͤr hoͤchſt freiſinnig galten, doch faſt niemals auf der Bahn des Fortſchrittes gleichen Schritt hielten mit der energiſchen Jugend und vor deren kuͤhnerm Auf- treten zuruͤckbebten.
Nach einigen Tagen ging Johannes wieder zum Pfarrer als waͤre Nichts geſchehen und redete mit ihm in gewohnter, fruͤherer Weiſe von hundert verſchiedenen Dingen. Aber der Pfarrer ließ ihn nicht ſo leichten Kaufes davon. Er begann wieder:
„Es kann Dir nicht unbekannt ſein, lieber Johannes, daß die Sing- und Turnvereine uͤberall von Oben herab mit mißtrauiſchem Auge betrachtet, wohl auch gelegentlich uͤberwacht werden — Du allein biſt Schuld, wenn unſer Dorf, in dem man bisher treiben und laſſen konnte was man wollte, nun dieſe Beaufſichtigung auch auf ſich lenkt und nun viel weniger Gutes zu Stande kommen kann als bisher, wo dies in aller Stille geſchah und Niemand uns beobachtete.“
Johannes laͤchelte und ſagte: „So lange die Bur- ſchen hier nur in der Schenke ihr Geld verſpielten und vertranken, war freilich weiter Nichts zu beobachten; denn das Recht, dieſen Laſtern zu froͤhnen, iſt Jedermann
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einmal in alten Anſchauungen erzogen und aufgewachſen
waren, auch ſpaͤter, wenn ſie davon einigermaßen ſich
losgerungen und bei ihren fruͤhern Gefaͤhrten und Ge-
noſſen nun fuͤr hoͤchſt freiſinnig galten, doch faſt niemals
auf der Bahn des Fortſchrittes gleichen Schritt hielten
mit der energiſchen Jugend und vor deren kuͤhnerm Auf-
treten zuruͤckbebten.
Nach einigen Tagen ging Johannes wieder zum
Pfarrer als waͤre Nichts geſchehen und redete mit ihm
in gewohnter, fruͤherer Weiſe von hundert verſchiedenen
Dingen. Aber der Pfarrer ließ ihn nicht ſo leichten
Kaufes davon. Er begann wieder:
„Es kann Dir nicht unbekannt ſein, lieber Johannes,
daß die Sing- und Turnvereine uͤberall von Oben herab
mit mißtrauiſchem Auge betrachtet, wohl auch gelegentlich
uͤberwacht werden — Du allein biſt Schuld, wenn unſer Dorf,
in dem man bisher treiben und laſſen konnte was man
wollte, nun dieſe Beaufſichtigung auch auf ſich lenkt und
nun viel weniger Gutes zu Stande kommen kann als
bisher, wo dies in aller Stille geſchah und Niemand
uns beobachtete.“
Johannes laͤchelte und ſagte: „So lange die Bur-
ſchen hier nur in der Schenke ihr Geld verſpielten und
vertranken, war freilich weiter Nichts zu beobachten; denn
das Recht, dieſen Laſtern zu froͤhnen, iſt Jedermann
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Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/242>, abgerufen am 23.11.2024.
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