Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849.

Bild:
<< vorherige Seite

nieder und ging mit ihrem gewohnten Gange an ihm
vorüber, indem sie mehr in sich hinein als frei heraus:
"Guten Morgen!" sagte.

Guten Morgen! und das war Alles, was sie sich
sagten, die doch einander so viel zu sagen gehabt hätten!
Es war, als habe der Himmel selber sie hier zusammen-
geführt, daß sie in der stillen heiligen Morgenstunde einan-
der ungescheut ihr ganzes Herz sagen könnten, dann hätte
sich Alles für sie aufgeklärt und wäre Alles gut gewor-
den. Aber sie thaten's nicht, sie konnten Nichts thun --
die Morgennebel vor der Sonne begannen zu zerreißen,
aber die Nebel, die ihre Seele umhüllt hatten, blieben.
Der günstige Augenblick ging ungenützt vorüber und "gu-
ten Morgen!" war und blieb Alles, was sie sich gesagt
hatten -- gleichwohl war auch das ein eitler vergeblicher
Wunsch, das war kein guter Morgen, der für sie ange-
brochen.

Unser Schulmeister ging nun wieder zurück in sein
Haus. Es dauerte nicht lange, so kamen die Schulmäd-
chen singend mit ihren Kränzen, das Schulhaus von Jn-
nen und Außen zu schmücken und damit ihren Schul-
meister zu ehren; auf der "Pfarre" hatten sie's eben so
gemacht. Unser Schulmeister dankte in herzlicher An-
sprache und wie sie fort waren, sagte er zu seiner Schwe-
ster: "Hätt' ich gewußt, daß dies Bekränzen hier am heu-

nieder und ging mit ihrem gewohnten Gange an ihm
voruͤber, indem ſie mehr in ſich hinein als frei heraus:
„Guten Morgen!“ ſagte.

Guten Morgen! und das war Alles, was ſie ſich
ſagten, die doch einander ſo viel zu ſagen gehabt haͤtten!
Es war, als habe der Himmel ſelber ſie hier zuſammen-
gefuͤhrt, daß ſie in der ſtillen heiligen Morgenſtunde einan-
der ungeſcheut ihr ganzes Herz ſagen koͤnnten, dann haͤtte
ſich Alles fuͤr ſie aufgeklaͤrt und waͤre Alles gut gewor-
den. Aber ſie thaten’s nicht, ſie konnten Nichts thun —
die Morgennebel vor der Sonne begannen zu zerreißen,
aber die Nebel, die ihre Seele umhuͤllt hatten, blieben.
Der guͤnſtige Augenblick ging ungenuͤtzt voruͤber und „gu-
ten Morgen!“ war und blieb Alles, was ſie ſich geſagt
hatten — gleichwohl war auch das ein eitler vergeblicher
Wunſch, das war kein guter Morgen, der fuͤr ſie ange-
brochen.

Unſer Schulmeiſter ging nun wieder zuruͤck in ſein
Haus. Es dauerte nicht lange, ſo kamen die Schulmaͤd-
chen ſingend mit ihren Kraͤnzen, das Schulhaus von Jn-
nen und Außen zu ſchmuͤcken und damit ihren Schul-
meiſter zu ehren; auf der „Pfarre“ hatten ſie’s eben ſo
gemacht. Unſer Schulmeiſter dankte in herzlicher An-
ſprache und wie ſie fort waren, ſagte er zu ſeiner Schwe-
ſter: „Haͤtt’ ich gewußt, daß dies Bekraͤnzen hier am heu-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0206" n="198"/>
nieder und ging mit ihrem gewohnten Gange an ihm<lb/>
voru&#x0364;ber, indem &#x017F;ie mehr in &#x017F;ich hinein als frei heraus:<lb/>
&#x201E;Guten Morgen!&#x201C; &#x017F;agte.</p><lb/>
        <p>Guten Morgen! und das war Alles, was &#x017F;ie &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;agten, die doch einander &#x017F;o viel zu &#x017F;agen gehabt ha&#x0364;tten!<lb/>
Es war, als habe der Himmel &#x017F;elber &#x017F;ie hier zu&#x017F;ammen-<lb/>
gefu&#x0364;hrt, daß &#x017F;ie in der &#x017F;tillen heiligen Morgen&#x017F;tunde einan-<lb/>
der unge&#x017F;cheut ihr ganzes Herz &#x017F;agen ko&#x0364;nnten, dann ha&#x0364;tte<lb/>
&#x017F;ich Alles fu&#x0364;r &#x017F;ie aufgekla&#x0364;rt und wa&#x0364;re Alles gut gewor-<lb/>
den. Aber &#x017F;ie thaten&#x2019;s nicht, &#x017F;ie konnten Nichts thun &#x2014;<lb/>
die Morgennebel vor der Sonne begannen zu zerreißen,<lb/>
aber die Nebel, die ihre Seele umhu&#x0364;llt hatten, blieben.<lb/>
Der gu&#x0364;n&#x017F;tige Augenblick ging ungenu&#x0364;tzt voru&#x0364;ber und &#x201E;gu-<lb/>
ten Morgen!&#x201C; war und blieb Alles, was &#x017F;ie &#x017F;ich ge&#x017F;agt<lb/>
hatten &#x2014; gleichwohl war auch das ein eitler vergeblicher<lb/>
Wun&#x017F;ch, das war kein guter Morgen, der fu&#x0364;r &#x017F;ie ange-<lb/>
brochen.</p><lb/>
        <p>Un&#x017F;er Schulmei&#x017F;ter ging nun wieder zuru&#x0364;ck in &#x017F;ein<lb/>
Haus. Es dauerte nicht lange, &#x017F;o kamen die Schulma&#x0364;d-<lb/>
chen &#x017F;ingend mit ihren Kra&#x0364;nzen, das Schulhaus von Jn-<lb/>
nen und Außen zu &#x017F;chmu&#x0364;cken und damit ihren Schul-<lb/>
mei&#x017F;ter zu ehren; auf der &#x201E;Pfarre&#x201C; hatten &#x017F;ie&#x2019;s eben &#x017F;o<lb/>
gemacht. Un&#x017F;er Schulmei&#x017F;ter dankte in herzlicher An-<lb/>
&#x017F;prache und wie &#x017F;ie fort waren, &#x017F;agte er zu &#x017F;einer Schwe-<lb/>
&#x017F;ter: &#x201E;Ha&#x0364;tt&#x2019; ich gewußt, daß dies Bekra&#x0364;nzen hier am heu-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[198/0206] nieder und ging mit ihrem gewohnten Gange an ihm voruͤber, indem ſie mehr in ſich hinein als frei heraus: „Guten Morgen!“ ſagte. Guten Morgen! und das war Alles, was ſie ſich ſagten, die doch einander ſo viel zu ſagen gehabt haͤtten! Es war, als habe der Himmel ſelber ſie hier zuſammen- gefuͤhrt, daß ſie in der ſtillen heiligen Morgenſtunde einan- der ungeſcheut ihr ganzes Herz ſagen koͤnnten, dann haͤtte ſich Alles fuͤr ſie aufgeklaͤrt und waͤre Alles gut gewor- den. Aber ſie thaten’s nicht, ſie konnten Nichts thun — die Morgennebel vor der Sonne begannen zu zerreißen, aber die Nebel, die ihre Seele umhuͤllt hatten, blieben. Der guͤnſtige Augenblick ging ungenuͤtzt voruͤber und „gu- ten Morgen!“ war und blieb Alles, was ſie ſich geſagt hatten — gleichwohl war auch das ein eitler vergeblicher Wunſch, das war kein guter Morgen, der fuͤr ſie ange- brochen. Unſer Schulmeiſter ging nun wieder zuruͤck in ſein Haus. Es dauerte nicht lange, ſo kamen die Schulmaͤd- chen ſingend mit ihren Kraͤnzen, das Schulhaus von Jn- nen und Außen zu ſchmuͤcken und damit ihren Schul- meiſter zu ehren; auf der „Pfarre“ hatten ſie’s eben ſo gemacht. Unſer Schulmeiſter dankte in herzlicher An- ſprache und wie ſie fort waren, ſagte er zu ſeiner Schwe- ſter: „Haͤtt’ ich gewußt, daß dies Bekraͤnzen hier am heu-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/206
Zitationshilfe: Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/206>, abgerufen am 23.11.2024.