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Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849.

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theil denken? So macht doch nur einmal die Augen
auf und seht über Euer eignes Haus hinweg, denkt an
Eure Mitmenschen, denkt nur bei so etwas Ungeheuerm
wenigstens einmal an's Allgemeine! Wollte nun jeder
Mensch so an jeden Fortschritt, an jedes große Ereigniß
nicht immer sein eigensüchtiges kleines Jnteresse als hem-
mendes Bleigewicht hängen ' die Menschheit wäre nach
Jahrtausenden noch nicht weiter als wo sie jetzt ist."

"Da können sie stundenlang noch so fortreden, das
ist gewiß, mein Bube macht morgen den Aufzug nicht
mit und dabei bleibt es!" sagte der Wirth trotzig und
ging in das Haus, Martin folgte ihm.

"Das wird nur der Schade des Jungen sein, den
Sie um ein Vergnügen bringen," rief der Schullehrer
noch dem Wirth nach, "das kann ein Jeder mit seinen
Kindern halten wie er will!"

Worüber aber stritten die Leute eigentlich? Der
Grund hierzu war einfach der, daß am ersten Pfingst-
feiertag die große Eisenbahn, welche die Hauptstadt des
Landes mit einer der größten Handelsstädte verband, er-
öffnet werden sollte. Zum Erstenmal wollte man die
ganze Strecke mit einem Festzug befahren und dann
Tags darauf dem allgemeinen Vertrieb übergeben. Nun
führte die Eisenbahn etwa in einer Entfernung von
einem kleinen Stündchen an unserm Dorfe vorüber,

theil denken? So macht doch nur einmal die Augen
auf und ſeht uͤber Euer eignes Haus hinweg, denkt an
Eure Mitmenſchen, denkt nur bei ſo etwas Ungeheuerm
wenigſtens einmal an’s Allgemeine! Wollte nun jeder
Menſch ſo an jeden Fortſchritt, an jedes große Ereigniß
nicht immer ſein eigenſuͤchtiges kleines Jntereſſe als hem-
mendes Bleigewicht haͤngen ’ die Menſchheit waͤre nach
Jahrtauſenden noch nicht weiter als wo ſie jetzt iſt.“

„Da koͤnnen ſie ſtundenlang noch ſo fortreden, das
iſt gewiß, mein Bube macht morgen den Aufzug nicht
mit und dabei bleibt es!“ ſagte der Wirth trotzig und
ging in das Haus, Martin folgte ihm.

„Das wird nur der Schade des Jungen ſein, den
Sie um ein Vergnuͤgen bringen,“ rief der Schullehrer
noch dem Wirth nach, „das kann ein Jeder mit ſeinen
Kindern halten wie er will!“

Woruͤber aber ſtritten die Leute eigentlich? Der
Grund hierzu war einfach der, daß am erſten Pfingſt-
feiertag die große Eiſenbahn, welche die Hauptſtadt des
Landes mit einer der groͤßten Handelsſtaͤdte verband, er-
oͤffnet werden ſollte. Zum Erſtenmal wollte man die
ganze Strecke mit einem Feſtzug befahren und dann
Tags darauf dem allgemeinen Vertrieb uͤbergeben. Nun
fuͤhrte die Eiſenbahn etwa in einer Entfernung von
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[9/0017] theil denken? So macht doch nur einmal die Augen auf und ſeht uͤber Euer eignes Haus hinweg, denkt an Eure Mitmenſchen, denkt nur bei ſo etwas Ungeheuerm wenigſtens einmal an’s Allgemeine! Wollte nun jeder Menſch ſo an jeden Fortſchritt, an jedes große Ereigniß nicht immer ſein eigenſuͤchtiges kleines Jntereſſe als hem- mendes Bleigewicht haͤngen ’ die Menſchheit waͤre nach Jahrtauſenden noch nicht weiter als wo ſie jetzt iſt.“ „Da koͤnnen ſie ſtundenlang noch ſo fortreden, das iſt gewiß, mein Bube macht morgen den Aufzug nicht mit und dabei bleibt es!“ ſagte der Wirth trotzig und ging in das Haus, Martin folgte ihm. „Das wird nur der Schade des Jungen ſein, den Sie um ein Vergnuͤgen bringen,“ rief der Schullehrer noch dem Wirth nach, „das kann ein Jeder mit ſeinen Kindern halten wie er will!“ Woruͤber aber ſtritten die Leute eigentlich? Der Grund hierzu war einfach der, daß am erſten Pfingſt- feiertag die große Eiſenbahn, welche die Hauptſtadt des Landes mit einer der groͤßten Handelsſtaͤdte verband, er- oͤffnet werden ſollte. Zum Erſtenmal wollte man die ganze Strecke mit einem Feſtzug befahren und dann Tags darauf dem allgemeinen Vertrieb uͤbergeben. Nun fuͤhrte die Eiſenbahn etwa in einer Entfernung von einem kleinen Stuͤndchen an unſerm Dorfe voruͤber,

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Zitationshilfe: Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/17>, abgerufen am 28.04.2024.