Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Oken, Lorenz: Abriß des Systems der Biologie. Göttingen, 1805.

Bild:
<< vorherige Seite

Da die Geschlechtsorgane zwar nicht
zum Charakteristischen des Thiers gehören.
sie aber die Totalität der Differenz der
Organisation sind, mithin auch alle orga-
nische Functionen in sich begreifen, so
kann man das Hirn des Rumpfes das Hirn
der Geschlechtsfunction nennen. Daher
es allerdings wahr ist; je ausgebildeter das
kleine Gehirn, desto mächtiger der Ge-
schlechtstrieb, aber dieses vom Menschen
ausgesprochen, als wenn er das entwikelt-
ste Cerebellum in Bezug auf das Ce-
rebrum
hätte, ist grundfalsch, und wider-
spricht der Thieranatomie aller Jahrhun-
derte. In den Thieren ist das kleine Ge-
hirn durchgängig überwiegend, und
desto überwiegender, je niedriger das Thier
in den Sinnen steht, daher auch der Ge-
schlechtstrieb in ihnen heftiger als im
Menschen, daher ihr ganzer Organismus
nichts als Geschlechtstrieb, selbst der vor-
handene Sinn ist ihm dienstbar und nur
seiner wegen da, denn ist er befriediget,
so haben sie ihren Endzwek erreicht und
sind bereit, den Sinn nebst ihrem Leben
abzulegen.

Ein

Da die Geſchlechtsorgane zwar nicht
zum Charakteriſtiſchen des Thiers gehören.
sie aber die Totalität der Differenz der
Organiſation sind, mithin auch alle orga-
niſche Functionen in sich begreifen, so
kann man das Hirn des Rumpfes das Hirn
der Geſchlechtsfunction nennen. Daher
es allerdings wahr iſt; je ausgebildeter das
kleine Gehirn, deſto mächtiger der Ge-
ſchlechtstrieb, aber dieſes vom Menſchen
ausgeſprochen, als wenn er das entwikelt-
ſte Cerebellum in Bezug auf das Ce-
rebrum
hätte, iſt grundfalſch, und wider-
spricht der Thieranatomie aller Jahrhun-
derte. In den Thieren iſt das kleine Ge-
hirn durchgängig überwiegend, und
deſto überwiegender, je niedriger das Thier
in den Sinnen steht, daher auch der Ge-
schlechtstrieb in ihnen heftiger als im
Menſchen, daher ihr ganzer Organismus
nichts als Geſchlechtstrieb, selbſt der vor-
handene Sinn iſt ihm dienſtbar und nur
seiner wegen da, denn iſt er befriediget,
so haben sie ihren Endzwek erreicht und
sind bereit, den Sinn nebſt ihrem Leben
abzulegen.

Ein
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0120" n="102"/>
          <p>Da die Ge&#x017F;chlechtsorgane zwar nicht<lb/>
zum Charakteri&#x017F;ti&#x017F;chen des Thiers gehören.<lb/>
sie aber die Totalität der Differenz der<lb/>
Organi&#x017F;ation sind, mithin auch alle orga-<lb/>
ni&#x017F;che Functionen in sich begreifen, so<lb/>
kann man das Hirn des Rumpfes das Hirn<lb/>
der Ge&#x017F;chlechtsfunction nennen. Daher<lb/>
es allerdings wahr i&#x017F;t; je ausgebildeter das<lb/>
kleine Gehirn, de&#x017F;to mächtiger der Ge-<lb/>
&#x017F;chlechtstrieb, aber die&#x017F;es vom Men&#x017F;chen<lb/>
ausge&#x017F;prochen, als wenn er das entwikelt-<lb/>
&#x017F;te <hi rendition="#g">Cerebellum</hi> in Bezug auf das <hi rendition="#g">Ce-<lb/>
rebrum</hi> hätte, i&#x017F;t grundfal&#x017F;ch, und wider-<lb/>
spricht der Thieranatomie aller Jahrhun-<lb/>
derte. In den Thieren i&#x017F;t das kleine Ge-<lb/>
hirn <hi rendition="#g">durchgängig</hi> überwiegend, und<lb/>
de&#x017F;to überwiegender, je niedriger das Thier<lb/>
in den Sinnen steht, daher auch der Ge-<lb/>
schlechtstrieb in ihnen heftiger als im<lb/>
Men&#x017F;chen, daher ihr ganzer Organismus<lb/>
nichts als Ge&#x017F;chlechtstrieb, selb&#x017F;t der vor-<lb/>
handene Sinn i&#x017F;t ihm dien&#x017F;tbar und nur<lb/>
seiner wegen da, denn i&#x017F;t er befriediget,<lb/>
so haben sie ihren Endzwek erreicht und<lb/>
sind bereit, den Sinn neb&#x017F;t ihrem Leben<lb/>
abzulegen.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Ein</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[102/0120] Da die Geſchlechtsorgane zwar nicht zum Charakteriſtiſchen des Thiers gehören. sie aber die Totalität der Differenz der Organiſation sind, mithin auch alle orga- niſche Functionen in sich begreifen, so kann man das Hirn des Rumpfes das Hirn der Geſchlechtsfunction nennen. Daher es allerdings wahr iſt; je ausgebildeter das kleine Gehirn, deſto mächtiger der Ge- ſchlechtstrieb, aber dieſes vom Menſchen ausgeſprochen, als wenn er das entwikelt- ſte Cerebellum in Bezug auf das Ce- rebrum hätte, iſt grundfalſch, und wider- spricht der Thieranatomie aller Jahrhun- derte. In den Thieren iſt das kleine Ge- hirn durchgängig überwiegend, und deſto überwiegender, je niedriger das Thier in den Sinnen steht, daher auch der Ge- schlechtstrieb in ihnen heftiger als im Menſchen, daher ihr ganzer Organismus nichts als Geſchlechtstrieb, selbſt der vor- handene Sinn iſt ihm dienſtbar und nur seiner wegen da, denn iſt er befriediget, so haben sie ihren Endzwek erreicht und sind bereit, den Sinn nebſt ihrem Leben abzulegen. Ein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/oken_biologie_1805
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/oken_biologie_1805/120
Zitationshilfe: Oken, Lorenz: Abriß des Systems der Biologie. Göttingen, 1805, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/oken_biologie_1805/120>, abgerufen am 30.04.2024.