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Ohr, Julie: Die Studentin der Gegenwart. München-Gern, 1909.

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Es sollen diese Abteilungen für Frauenfragen
das Problem der Frauenbewegung in die Studentenschaft
hineintragen. Wie ich schon erwähnte, gehört die Frauen-
bewegung zu denjenigen modernen und wichtigen Erschei-
nungen, über die auch der Akademiker orientiert sein muß.
Es ist äußerst wichtig, daß er über Tatsachen unterrichtet
sei, wie folgende: Jn Deutschland sind etwa ein Drittel
aller im Erwerbsleben stehender Volksgenossen Frauen,
(augenblicklich 9 1/2 Millionen), und von den erwerbs-
tätigen Frauen über 50 Jahren sind 57 % Witwen.
Das soll den Akademiker auf nationalökonomische
Fragen bringen, wie folgt: Jst die Berufsausbil-
dung dieser ungefähr 9 1/2 Millionen Frauen so, daß
sie mit dem Manne als ebenbürtige Konkurrenten auf-
treten, daß sie auch im Alter eine lohnende Tätig-
keit wieder aufnehmen können, drängen diese Frauen
den Mann nicht durch mindere Bezahlung aus dem Ver-
dienste heraus? Ferner: Die Arbeitszeit der erwerbstätigen
Frau in Betrieben beträgt maximal 10-12 Stunden. Jst
es da möglich, daß die verheiratete Frau ihren Familien-
und Mutterpflichten nachkomme? Kann sie den Haushalt
versehen, den Säugling stillen, die Kinder zu ordentlichen
Menschen erziehen? Jst die Heimarbeit so beschaffen, daß
die verheiratete Frau noch die Möglichkeit hat, neben
ihr die Familie ordentlich zu halten? Von solchen Fragen
hängt die geistige und leibliche Gesundheit des Volkes ab.

Ueber solche Fragen wird vorgetragen und diskutiert.
Da eine freistudentische Abteilung keine Rücksicht nimmt auf
die Zusammensetzung des Publikums (den Kern bildet
natürlich der nichtinkorporierte Student und die Studentin,
aber auch Gäste, ältere Akademiker, Nichtakademiker, sind
willkommen), so ersehen wir den großen Vorteil darin,
daß die Kenntnis der Frauenbewegung über die direkt

Es sollen diese Abteilungen für Frauenfragen
das Problem der Frauenbewegung in die Studentenschaft
hineintragen. Wie ich schon erwähnte, gehört die Frauen-
bewegung zu denjenigen modernen und wichtigen Erschei-
nungen, über die auch der Akademiker orientiert sein muß.
Es ist äußerst wichtig, daß er über Tatsachen unterrichtet
sei, wie folgende: Jn Deutschland sind etwa ein Drittel
aller im Erwerbsleben stehender Volksgenossen Frauen,
(augenblicklich 9 ½ Millionen), und von den erwerbs-
tätigen Frauen über 50 Jahren sind 57 % Witwen.
Das soll den Akademiker auf nationalökonomische
Fragen bringen, wie folgt: Jst die Berufsausbil-
dung dieser ungefähr 9 ½ Millionen Frauen so, daß
sie mit dem Manne als ebenbürtige Konkurrenten auf-
treten, daß sie auch im Alter eine lohnende Tätig-
keit wieder aufnehmen können, drängen diese Frauen
den Mann nicht durch mindere Bezahlung aus dem Ver-
dienste heraus? Ferner: Die Arbeitszeit der erwerbstätigen
Frau in Betrieben beträgt maximal 10-12 Stunden. Jst
es da möglich, daß die verheiratete Frau ihren Familien-
und Mutterpflichten nachkomme? Kann sie den Haushalt
versehen, den Säugling stillen, die Kinder zu ordentlichen
Menschen erziehen? Jst die Heimarbeit so beschaffen, daß
die verheiratete Frau noch die Möglichkeit hat, neben
ihr die Familie ordentlich zu halten? Von solchen Fragen
hängt die geistige und leibliche Gesundheit des Volkes ab.

Ueber solche Fragen wird vorgetragen und diskutiert.
Da eine freistudentische Abteilung keine Rücksicht nimmt auf
die Zusammensetzung des Publikums (den Kern bildet
natürlich der nichtinkorporierte Student und die Studentin,
aber auch Gäste, ältere Akademiker, Nichtakademiker, sind
willkommen), so ersehen wir den großen Vorteil darin,
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[39/0038] Es sollen diese Abteilungen für Frauenfragen das Problem der Frauenbewegung in die Studentenschaft hineintragen. Wie ich schon erwähnte, gehört die Frauen- bewegung zu denjenigen modernen und wichtigen Erschei- nungen, über die auch der Akademiker orientiert sein muß. Es ist äußerst wichtig, daß er über Tatsachen unterrichtet sei, wie folgende: Jn Deutschland sind etwa ein Drittel aller im Erwerbsleben stehender Volksgenossen Frauen, (augenblicklich 9 ½ Millionen), und von den erwerbs- tätigen Frauen über 50 Jahren sind 57 % Witwen. Das soll den Akademiker auf nationalökonomische Fragen bringen, wie folgt: Jst die Berufsausbil- dung dieser ungefähr 9 ½ Millionen Frauen so, daß sie mit dem Manne als ebenbürtige Konkurrenten auf- treten, daß sie auch im Alter eine lohnende Tätig- keit wieder aufnehmen können, drängen diese Frauen den Mann nicht durch mindere Bezahlung aus dem Ver- dienste heraus? Ferner: Die Arbeitszeit der erwerbstätigen Frau in Betrieben beträgt maximal 10-12 Stunden. Jst es da möglich, daß die verheiratete Frau ihren Familien- und Mutterpflichten nachkomme? Kann sie den Haushalt versehen, den Säugling stillen, die Kinder zu ordentlichen Menschen erziehen? Jst die Heimarbeit so beschaffen, daß die verheiratete Frau noch die Möglichkeit hat, neben ihr die Familie ordentlich zu halten? Von solchen Fragen hängt die geistige und leibliche Gesundheit des Volkes ab. Ueber solche Fragen wird vorgetragen und diskutiert. Da eine freistudentische Abteilung keine Rücksicht nimmt auf die Zusammensetzung des Publikums (den Kern bildet natürlich der nichtinkorporierte Student und die Studentin, aber auch Gäste, ältere Akademiker, Nichtakademiker, sind willkommen), so ersehen wir den großen Vorteil darin, daß die Kenntnis der Frauenbewegung über die direkt

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Zitationshilfe: Ohr, Julie: Die Studentin der Gegenwart. München-Gern, 1909, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ohr_studentin_1909/38>, abgerufen am 29.03.2024.