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Ohr, Julie: Die Studentin der Gegenwart. München-Gern, 1909.

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zu Gunsten der Söhne, entgegen dem Grundsatz der Gleich-
berechtigung der beiden Geschlechter, wie er im Staats-
leben vielfach als notwendig und kulturfördernd sich ge-
zeigt hat. Schuld an der konservativen Haltung der Fa-
milie trägt sehr häufig die Frau - sie ist konservativ
erzogen, geht aus dem Elternhaus in die Hand des Man-
nes über und kennt nichts anderes als den Patriarchalis-
mus. Der Mann, der oft in seiner Jugend fortschrittlich
dachte, der ins reife Mannesalter hinein seine fortschritt-
liche Gesinnung bewahrt haben kann, ist in den aller-
meisten Fällen nicht selbstverläugnend, nicht energisch ge-
nug, seine Grundsätze gegenüber der konservativen Frau
aufrechtzuerhalten. Jn ihm regen sich die alten Herren-
und Machtgefühle, wenn die Frau im anerzogenen Ge-
horsam und mit selbstaufgebender Bereitwilligkeit sich
an ihn herandrängt. Die Frau überwindet ihren
Mann durch ihren stetigen, gefühlsmäßigen Einfluß.
Die Kindererziehung hat die Frau meistens in den Hän-
den - denn der Mann ist durch den Beruf zu sehr
in Anspruch genommen. So werden die Kinder auch
nach der alten Methode erzogen. Die Gesellschaft, die
sich aus den Familien zusammensetzt, kann demgemäß auch
kein anderes Aussehen haben. Auch hier die Bevorzugung
des einen Teils, des männlichen Geschlechts, die sich unter
anderm in einer schrankenlosen Freiheit zeigt, und die Be-
nachteiligung des andern Teils durch Einengung. Diese
äußert sich in einer ganz eigentümlichen Bevormundung der
Frau, wie sie gar nicht in unsere um Freiheit und Selb-
ständigkeit ringende Zeit hineinpaßt; eine Ueberwachung
und Beaufsichtigung des gleichen Menschen, den der Staat
für verfügungsfähig und rechtskräftig erklärt hat und be-
handelt. Zu der ängstlichen Aufmerksamkeit der Eltern
und Verwandten gesellt sich ein Verkehr der jungen Gene-

zu Gunsten der Söhne, entgegen dem Grundsatz der Gleich-
berechtigung der beiden Geschlechter, wie er im Staats-
leben vielfach als notwendig und kulturfördernd sich ge-
zeigt hat. Schuld an der konservativen Haltung der Fa-
milie trägt sehr häufig die Frau – sie ist konservativ
erzogen, geht aus dem Elternhaus in die Hand des Man-
nes über und kennt nichts anderes als den Patriarchalis-
mus. Der Mann, der oft in seiner Jugend fortschrittlich
dachte, der ins reife Mannesalter hinein seine fortschritt-
liche Gesinnung bewahrt haben kann, ist in den aller-
meisten Fällen nicht selbstverläugnend, nicht energisch ge-
nug, seine Grundsätze gegenüber der konservativen Frau
aufrechtzuerhalten. Jn ihm regen sich die alten Herren-
und Machtgefühle, wenn die Frau im anerzogenen Ge-
horsam und mit selbstaufgebender Bereitwilligkeit sich
an ihn herandrängt. Die Frau überwindet ihren
Mann durch ihren stetigen, gefühlsmäßigen Einfluß.
Die Kindererziehung hat die Frau meistens in den Hän-
den – denn der Mann ist durch den Beruf zu sehr
in Anspruch genommen. So werden die Kinder auch
nach der alten Methode erzogen. Die Gesellschaft, die
sich aus den Familien zusammensetzt, kann demgemäß auch
kein anderes Aussehen haben. Auch hier die Bevorzugung
des einen Teils, des männlichen Geschlechts, die sich unter
anderm in einer schrankenlosen Freiheit zeigt, und die Be-
nachteiligung des andern Teils durch Einengung. Diese
äußert sich in einer ganz eigentümlichen Bevormundung der
Frau, wie sie gar nicht in unsere um Freiheit und Selb-
ständigkeit ringende Zeit hineinpaßt; eine Ueberwachung
und Beaufsichtigung des gleichen Menschen, den der Staat
für verfügungsfähig und rechtskräftig erklärt hat und be-
handelt. Zu der ängstlichen Aufmerksamkeit der Eltern
und Verwandten gesellt sich ein Verkehr der jungen Gene-

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[14/0013] zu Gunsten der Söhne, entgegen dem Grundsatz der Gleich- berechtigung der beiden Geschlechter, wie er im Staats- leben vielfach als notwendig und kulturfördernd sich ge- zeigt hat. Schuld an der konservativen Haltung der Fa- milie trägt sehr häufig die Frau – sie ist konservativ erzogen, geht aus dem Elternhaus in die Hand des Man- nes über und kennt nichts anderes als den Patriarchalis- mus. Der Mann, der oft in seiner Jugend fortschrittlich dachte, der ins reife Mannesalter hinein seine fortschritt- liche Gesinnung bewahrt haben kann, ist in den aller- meisten Fällen nicht selbstverläugnend, nicht energisch ge- nug, seine Grundsätze gegenüber der konservativen Frau aufrechtzuerhalten. Jn ihm regen sich die alten Herren- und Machtgefühle, wenn die Frau im anerzogenen Ge- horsam und mit selbstaufgebender Bereitwilligkeit sich an ihn herandrängt. Die Frau überwindet ihren Mann durch ihren stetigen, gefühlsmäßigen Einfluß. Die Kindererziehung hat die Frau meistens in den Hän- den – denn der Mann ist durch den Beruf zu sehr in Anspruch genommen. So werden die Kinder auch nach der alten Methode erzogen. Die Gesellschaft, die sich aus den Familien zusammensetzt, kann demgemäß auch kein anderes Aussehen haben. Auch hier die Bevorzugung des einen Teils, des männlichen Geschlechts, die sich unter anderm in einer schrankenlosen Freiheit zeigt, und die Be- nachteiligung des andern Teils durch Einengung. Diese äußert sich in einer ganz eigentümlichen Bevormundung der Frau, wie sie gar nicht in unsere um Freiheit und Selb- ständigkeit ringende Zeit hineinpaßt; eine Ueberwachung und Beaufsichtigung des gleichen Menschen, den der Staat für verfügungsfähig und rechtskräftig erklärt hat und be- handelt. Zu der ängstlichen Aufmerksamkeit der Eltern und Verwandten gesellt sich ein Verkehr der jungen Gene-

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Zitationshilfe: Ohr, Julie: Die Studentin der Gegenwart. München-Gern, 1909, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ohr_studentin_1909/13>, abgerufen am 28.03.2024.