Oest, Johann Friedrich: Nöthige Belehrung und Warnung für Jüngling und solche Knaben. In: Allgemeine Revision des gesammten Schul- und Erziehungswesens: von einer Gesellschaft practischer Erzieher, Bd. 6. Wolfenbüttel, 1787. S. 293-434daß sie jeden Augenblick durch die Vorstellungen von ihrer abscheulichen Sünde, die sich ihnen wider ihren Willen aufdrangen, unterbrochen wurden, und daß sie daher nur immer halb sich dessen bewußt waren, womit ihre Seele sich beschäftigte. Jhr Gedächtniß, das sonst ja in der Jugend am stärksten ist, war so äusserst geschwächt, daß sie sich auf das eben Gelesene, oder Gehörte, nicht besinnen konnten. Jhre Einbildungskraft war so zerrüttet, daß sie wachend und schlafend nichts als unschaamhafte Bilder sehen konnten. Jn ihrem Herzen erlosch jede Empfindung für das Gute, jedes Gefühl für das Schöne in der Natur, das doch dem Menschen so viele frohe Stunden verschaffen kann. Keine schöne Gegend, kein sternenheller Himmel, nicht die aufgehende Sonne, nicht die Blumen im Thal machten einen Eindruck auf sie. Ein inneres Bewußtseyn ihrer eigenen Untauglichkeit zu allen nützlichen Beschäftigungen und ihres Unvermögens, sich irgend einem Menschen angenehm zu machen, zog sie immer mehr von Menschen und ihrer Gesellschaft ab. Wie mancher, der sich seiner Schande bewußt gewesen ist, mag auch wol gefürchtet haben, man mögte sein Verbrechen in seinem Angesichte lesen; denn wenn man etwas daß sie jeden Augenblick durch die Vorstellungen von ihrer abscheulichen Sünde, die sich ihnen wider ihren Willen aufdrangen, unterbrochen wurden, und daß sie daher nur immer halb sich dessen bewußt waren, womit ihre Seele sich beschäftigte. Jhr Gedächtniß, das sonst ja in der Jugend am stärksten ist, war so äusserst geschwächt, daß sie sich auf das eben Gelesene, oder Gehörte, nicht besinnen konnten. Jhre Einbildungskraft war so zerrüttet, daß sie wachend und schlafend nichts als unschaamhafte Bilder sehen konnten. Jn ihrem Herzen erlosch jede Empfindung für das Gute, jedes Gefühl für das Schöne in der Natur, das doch dem Menschen so viele frohe Stunden verschaffen kann. Keine schöne Gegend, kein sternenheller Himmel, nicht die aufgehende Sonne, nicht die Blumen im Thal machten einen Eindruck auf sie. Ein inneres Bewußtseyn ihrer eigenen Untauglichkeit zu allen nützlichen Beschäftigungen und ihres Unvermögens, sich irgend einem Menschen angenehm zu machen, zog sie immer mehr von Menschen und ihrer Gesellschaft ab. Wie mancher, der sich seiner Schande bewußt gewesen ist, mag auch wol gefürchtet haben, man mögte sein Verbrechen in seinem Angesichte lesen; denn wenn man etwas <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0055" n="347"/> daß sie jeden Augenblick durch die Vorstellungen von ihrer abscheulichen Sünde, die sich ihnen wider ihren Willen aufdrangen, unterbrochen wurden, und daß sie daher nur immer halb sich dessen bewußt waren, womit ihre Seele sich beschäftigte. Jhr Gedächtniß, das sonst ja in der Jugend am stärksten ist, war so äusserst geschwächt, daß sie sich auf das eben Gelesene, oder Gehörte, nicht besinnen konnten. Jhre Einbildungskraft war so zerrüttet, daß sie wachend und schlafend nichts als unschaamhafte Bilder sehen konnten. Jn ihrem Herzen erlosch jede Empfindung für das Gute, jedes Gefühl für das Schöne in der Natur, das doch dem Menschen so viele frohe Stunden verschaffen kann. Keine schöne Gegend, kein sternenheller Himmel, nicht die aufgehende Sonne, nicht die Blumen im Thal machten einen Eindruck auf sie. Ein inneres Bewußtseyn ihrer eigenen Untauglichkeit zu allen nützlichen Beschäftigungen und ihres Unvermögens, sich irgend einem Menschen angenehm zu machen, zog sie immer mehr von Menschen und ihrer Gesellschaft ab. Wie mancher, der sich seiner Schande bewußt gewesen ist, mag auch wol gefürchtet haben, man mögte sein Verbrechen in seinem Angesichte lesen; denn wenn man etwas </p> </div> </body> </text> </TEI> [347/0055]
daß sie jeden Augenblick durch die Vorstellungen von ihrer abscheulichen Sünde, die sich ihnen wider ihren Willen aufdrangen, unterbrochen wurden, und daß sie daher nur immer halb sich dessen bewußt waren, womit ihre Seele sich beschäftigte. Jhr Gedächtniß, das sonst ja in der Jugend am stärksten ist, war so äusserst geschwächt, daß sie sich auf das eben Gelesene, oder Gehörte, nicht besinnen konnten. Jhre Einbildungskraft war so zerrüttet, daß sie wachend und schlafend nichts als unschaamhafte Bilder sehen konnten. Jn ihrem Herzen erlosch jede Empfindung für das Gute, jedes Gefühl für das Schöne in der Natur, das doch dem Menschen so viele frohe Stunden verschaffen kann. Keine schöne Gegend, kein sternenheller Himmel, nicht die aufgehende Sonne, nicht die Blumen im Thal machten einen Eindruck auf sie. Ein inneres Bewußtseyn ihrer eigenen Untauglichkeit zu allen nützlichen Beschäftigungen und ihres Unvermögens, sich irgend einem Menschen angenehm zu machen, zog sie immer mehr von Menschen und ihrer Gesellschaft ab. Wie mancher, der sich seiner Schande bewußt gewesen ist, mag auch wol gefürchtet haben, man mögte sein Verbrechen in seinem Angesichte lesen; denn wenn man etwas
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Zitationshilfe: | Oest, Johann Friedrich: Nöthige Belehrung und Warnung für Jüngling und solche Knaben. In: Allgemeine Revision des gesammten Schul- und Erziehungswesens: von einer Gesellschaft practischer Erzieher, Bd. 6. Wolfenbüttel, 1787. S. 293-434, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/oest_knaben_1787/55>, abgerufen am 16.02.2025. |