Oest, Johann Friedrich: Versuch einer Beantwortung der pädagogischen Frage: Wie man Kinder und junge Leute vor dem Leib und Seele verwüstenden Laster der Unzucht überhaupt, und der Selbstschwächung insonderheit verwahren, oder, wofern sie schon davon angesteckt waren, wie man sie davon heilen könne? Wien, 1787.ist; wissen soll das Mädchen, wie ein männlicher Körper gestaltet ist, sonst bekommen sie wieder keine vollständigen Begriffe und man setzt der grübelnden Neugierde keine Schranken. Beide sollen es auf eine ernsthafte Art wissen. Kupfertafeln könnten über diesen Punkt Befriedigung geben; aber stellen sie die Sache deutlich vor? Reizen sie nicht die Einbildungskraft? Laßen sie nicht den Wunsch einer Vergleichung mit der Natur zurück? Alle diese Besorgnisse verschwinden, wenn man sich zu dieser Absicht eines entseelten menschlichen Körpers bedient. Der Anblick einer Leiche flößt Ernst und Nachdenken ein, und dies ist die beste Stimmung, die ein Kind unter solchen Umständen haben kann. Seine nachherigen Erinnerungen an die Scene werden durch eine natürliche Jdeenverknüpfung auch eine ernsthafte Wendung nehmen. Das Bild, das in seiner Seele zurückbleibt, hat nicht die verführerischen Reize der Bilder, die die Einbildungskraft freiwillig erzeugt, oder die durch andre minder ernsthafte Gegenstände erregt werden. Könnte alle Jugend den Unterricht über die Erzeugung des Menschen aus einer anatomischen Vorlesung schöpfen, so würde es weit weniger Vorbereitungen bedürfen. Da aber die Gele- ist; wissen soll das Mädchen, wie ein männlicher Körper gestaltet ist, sonst bekommen sie wieder keine vollständigen Begriffe und man setzt der grübelnden Neugierde keine Schranken. Beide sollen es auf eine ernsthafte Art wissen. Kupfertafeln könnten über diesen Punkt Befriedigung geben; aber stellen sie die Sache deutlich vor? Reizen sie nicht die Einbildungskraft? Laßen sie nicht den Wunsch einer Vergleichung mit der Natur zurück? Alle diese Besorgnisse verschwinden, wenn man sich zu dieser Absicht eines entseelten menschlichen Körpers bedient. Der Anblick einer Leiche flößt Ernst und Nachdenken ein, und dies ist die beste Stimmung, die ein Kind unter solchen Umständen haben kann. Seine nachherigen Erinnerungen an die Scene werden durch eine natürliche Jdeenverknüpfung auch eine ernsthafte Wendung nehmen. Das Bild, das in seiner Seele zurückbleibt, hat nicht die verführerischen Reize der Bilder, die die Einbildungskraft freiwillig erzeugt, oder die durch andre minder ernsthafte Gegenstände erregt werden. Könnte alle Jugend den Unterricht über die Erzeugung des Menschen aus einer anatomischen Vorlesung schöpfen, so würde es weit weniger Vorbereitungen bedürfen. Da aber die Gele- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0272" n="273"/> ist; wissen soll das Mädchen, wie ein männlicher Körper gestaltet ist, sonst bekommen sie wieder keine vollständigen Begriffe und man setzt der grübelnden Neugierde keine Schranken. Beide sollen es auf eine ernsthafte Art wissen. Kupfertafeln könnten über diesen Punkt Befriedigung geben; aber stellen sie die Sache deutlich vor? Reizen sie nicht die Einbildungskraft? Laßen sie nicht den Wunsch einer Vergleichung mit der Natur zurück? Alle diese Besorgnisse verschwinden, wenn man sich zu dieser Absicht eines entseelten menschlichen Körpers bedient. Der Anblick einer Leiche flößt Ernst und Nachdenken ein, und dies ist die beste Stimmung, die ein Kind unter solchen Umständen haben kann. Seine nachherigen Erinnerungen an die Scene werden durch eine natürliche Jdeenverknüpfung auch eine ernsthafte Wendung nehmen. Das Bild, das in seiner Seele zurückbleibt, hat nicht die verführerischen Reize der Bilder, die die Einbildungskraft freiwillig erzeugt, oder die durch andre minder ernsthafte Gegenstände erregt werden. Könnte alle Jugend den Unterricht über die Erzeugung des Menschen aus einer anatomischen Vorlesung schöpfen, so würde es weit weniger Vorbereitungen bedürfen. Da aber die Gele- </p> </div> </body> </text> </TEI> [273/0272]
ist; wissen soll das Mädchen, wie ein männlicher Körper gestaltet ist, sonst bekommen sie wieder keine vollständigen Begriffe und man setzt der grübelnden Neugierde keine Schranken. Beide sollen es auf eine ernsthafte Art wissen. Kupfertafeln könnten über diesen Punkt Befriedigung geben; aber stellen sie die Sache deutlich vor? Reizen sie nicht die Einbildungskraft? Laßen sie nicht den Wunsch einer Vergleichung mit der Natur zurück? Alle diese Besorgnisse verschwinden, wenn man sich zu dieser Absicht eines entseelten menschlichen Körpers bedient. Der Anblick einer Leiche flößt Ernst und Nachdenken ein, und dies ist die beste Stimmung, die ein Kind unter solchen Umständen haben kann. Seine nachherigen Erinnerungen an die Scene werden durch eine natürliche Jdeenverknüpfung auch eine ernsthafte Wendung nehmen. Das Bild, das in seiner Seele zurückbleibt, hat nicht die verführerischen Reize der Bilder, die die Einbildungskraft freiwillig erzeugt, oder die durch andre minder ernsthafte Gegenstände erregt werden. Könnte alle Jugend den Unterricht über die Erzeugung des Menschen aus einer anatomischen Vorlesung schöpfen, so würde es weit weniger Vorbereitungen bedürfen. Da aber die Gele-
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