Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802.

Bild:
<< vorherige Seite

habe sie eben das Zimmer verlassen: so ver¬
gaß er seine Vorsätze, gebehrdete sich wie ein
trübseliger Mensch, und rief seine geringsten
Diener um Mitleid an. Die ganze Stadt
und das ganze Land weinten und klagten
von ganzem Herzen mit ihm. Sonderlich
war es, daß eine Sage umherging, die Prin¬
zessin lebe noch, und werde bald mit einem
Gemahl wiederkommen. Kein Mensch wu߬
te, woher die Sage kam: aber alles hing
sich mit frohem Glauben daran, und sah mit
ungeduldiger Erwartung ihrer baldigen Wie¬
derkunft entgegen. So vergingen mehrere
Monden, bis das Frühjahr wieder heran¬
kam. Was gilts, sagten einige in wunderli¬
chem Muthe, nun kommt auch die Prinzessin
wieder. Selbst der König ward heitrer und
hoffnungsvoller. Die Sage dünkte ihm wie
die Verheißung einer gütigen Macht. Die
ehemaligen Feste fingen wieder an, und es

habe ſie eben das Zimmer verlaſſen: ſo ver¬
gaß er ſeine Vorſätze, gebehrdete ſich wie ein
trübſeliger Menſch, und rief ſeine geringſten
Diener um Mitleid an. Die ganze Stadt
und das ganze Land weinten und klagten
von ganzem Herzen mit ihm. Sonderlich
war es, daß eine Sage umherging, die Prin¬
zeſſin lebe noch, und werde bald mit einem
Gemahl wiederkommen. Kein Menſch wu߬
te, woher die Sage kam: aber alles hing
ſich mit frohem Glauben daran, und ſah mit
ungeduldiger Erwartung ihrer baldigen Wie¬
derkunft entgegen. So vergingen mehrere
Monden, bis das Frühjahr wieder heran¬
kam. Was gilts, ſagten einige in wunderli¬
chem Muthe, nun kommt auch die Prinzeſſin
wieder. Selbſt der König ward heitrer und
hoffnungsvoller. Die Sage dünkte ihm wie
die Verheißung einer gütigen Macht. Die
ehemaligen Feſte fingen wieder an, und es

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0098" n="90"/>
habe &#x017F;ie eben das Zimmer verla&#x017F;&#x017F;en: &#x017F;o ver¬<lb/>
gaß er &#x017F;eine Vor&#x017F;ätze, gebehrdete &#x017F;ich wie ein<lb/>
trüb&#x017F;eliger Men&#x017F;ch, und rief &#x017F;eine gering&#x017F;ten<lb/>
Diener um Mitleid an. Die ganze Stadt<lb/>
und das ganze Land weinten und klagten<lb/>
von ganzem Herzen mit ihm. Sonderlich<lb/>
war es, daß eine Sage umherging, die Prin¬<lb/>
ze&#x017F;&#x017F;in lebe noch, und werde bald mit einem<lb/>
Gemahl wiederkommen. Kein Men&#x017F;ch wu߬<lb/>
te, woher die Sage kam: aber alles hing<lb/>
&#x017F;ich mit frohem Glauben daran, und &#x017F;ah mit<lb/>
ungeduldiger Erwartung ihrer baldigen Wie¬<lb/>
derkunft entgegen. So vergingen mehrere<lb/>
Monden, bis das Frühjahr wieder heran¬<lb/>
kam. Was gilts, &#x017F;agten einige in wunderli¬<lb/>
chem Muthe, nun kommt auch die Prinze&#x017F;&#x017F;in<lb/>
wieder. Selb&#x017F;t der König ward heitrer und<lb/>
hoffnungsvoller. Die Sage dünkte ihm wie<lb/>
die Verheißung einer gütigen Macht. Die<lb/>
ehemaligen Fe&#x017F;te fingen wieder an, und es<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[90/0098] habe ſie eben das Zimmer verlaſſen: ſo ver¬ gaß er ſeine Vorſätze, gebehrdete ſich wie ein trübſeliger Menſch, und rief ſeine geringſten Diener um Mitleid an. Die ganze Stadt und das ganze Land weinten und klagten von ganzem Herzen mit ihm. Sonderlich war es, daß eine Sage umherging, die Prin¬ zeſſin lebe noch, und werde bald mit einem Gemahl wiederkommen. Kein Menſch wu߬ te, woher die Sage kam: aber alles hing ſich mit frohem Glauben daran, und ſah mit ungeduldiger Erwartung ihrer baldigen Wie¬ derkunft entgegen. So vergingen mehrere Monden, bis das Frühjahr wieder heran¬ kam. Was gilts, ſagten einige in wunderli¬ chem Muthe, nun kommt auch die Prinzeſſin wieder. Selbſt der König ward heitrer und hoffnungsvoller. Die Sage dünkte ihm wie die Verheißung einer gütigen Macht. Die ehemaligen Feſte fingen wieder an, und es

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802/98
Zitationshilfe: Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802/98>, abgerufen am 05.05.2024.