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Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802.

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Er neigte sich ehrfurchtsvoll und sah ihr lan¬
ge nach, bis sie hinter den Bäumen ver¬
schwand. Nach dieser Zeit vergingen wenig
Tage bis zu ihrem zweyten Besuche, dem
bald mehrere folgten. Der Jüngling ward
unvermerkt ihr Begleiter bey diesen Spazier¬
gängen. Er holte sie zu bestimmten Stun¬
den am Garten ab, und brachte sie dahin
zurück. Sie beobachtete ein unverbrüchliches
Stillschweigen über ihren Stand, so zutrau¬
lich sie auch sonst gegen ihren Begleiter wur¬
de, dem bald kein Gedanke in ihrer himmli¬
schen Seele verborgen blieb. Es war, als
flößte ihr die Erhabenheit ihrer Herkunft ei¬
ne geheime Furcht ein. Der Jüngling gab
ihr ebenfalls seine ganze Seele. Vater und
Sohn hielten sie für ein vornehmes Mäd¬
chen vom Hofe. Sie hing an dem Alten
mit der Zärtlichkeit einer Tochter. Ihre Lieb¬
kosungen gegen ihn waren die entzückenden

Vor¬

Er neigte ſich ehrfurchtsvoll und ſah ihr lan¬
ge nach, bis ſie hinter den Bäumen ver¬
ſchwand. Nach dieſer Zeit vergingen wenig
Tage bis zu ihrem zweyten Beſuche, dem
bald mehrere folgten. Der Jüngling ward
unvermerkt ihr Begleiter bey dieſen Spazier¬
gängen. Er holte ſie zu beſtimmten Stun¬
den am Garten ab, und brachte ſie dahin
zurück. Sie beobachtete ein unverbrüchliches
Stillſchweigen über ihren Stand, ſo zutrau¬
lich ſie auch ſonſt gegen ihren Begleiter wur¬
de, dem bald kein Gedanke in ihrer himmli¬
ſchen Seele verborgen blieb. Es war, als
flößte ihr die Erhabenheit ihrer Herkunft ei¬
ne geheime Furcht ein. Der Jüngling gab
ihr ebenfalls ſeine ganze Seele. Vater und
Sohn hielten ſie für ein vornehmes Mäd¬
chen vom Hofe. Sie hing an dem Alten
mit der Zärtlichkeit einer Tochter. Ihre Lieb¬
koſungen gegen ihn waren die entzückenden

Vor¬
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[80/0088] Er neigte ſich ehrfurchtsvoll und ſah ihr lan¬ ge nach, bis ſie hinter den Bäumen ver¬ ſchwand. Nach dieſer Zeit vergingen wenig Tage bis zu ihrem zweyten Beſuche, dem bald mehrere folgten. Der Jüngling ward unvermerkt ihr Begleiter bey dieſen Spazier¬ gängen. Er holte ſie zu beſtimmten Stun¬ den am Garten ab, und brachte ſie dahin zurück. Sie beobachtete ein unverbrüchliches Stillſchweigen über ihren Stand, ſo zutrau¬ lich ſie auch ſonſt gegen ihren Begleiter wur¬ de, dem bald kein Gedanke in ihrer himmli¬ ſchen Seele verborgen blieb. Es war, als flößte ihr die Erhabenheit ihrer Herkunft ei¬ ne geheime Furcht ein. Der Jüngling gab ihr ebenfalls ſeine ganze Seele. Vater und Sohn hielten ſie für ein vornehmes Mäd¬ chen vom Hofe. Sie hing an dem Alten mit der Zärtlichkeit einer Tochter. Ihre Lieb¬ koſungen gegen ihn waren die entzückenden Vor¬

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Zitationshilfe: Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802/88>, abgerufen am 23.11.2024.