stehen. Ein magischer Schleyer dehnte sich in weiten Falten um ihr klares Bewußtseyn. Es war ihr, als würde sie sich, wenn er auf¬ geschlagen würde, in einer überirdischen Welt befinden. Die Erinnerung an die Dichtkunst, die bisher ihre ganze Seele beschäftigt hatte, war zu einem fernen Gesange geworden, der ihren seltsam lieblichen Traum mit den ehe¬ maligen Zeiten verband. Wie sie zurück in den Pallast kam, erschrak sie beynah über seine Pracht und sein buntes Leben, noch mehr aber bey der Bewillkommung ihres Vaters, dessen Gesicht zum erstenmale in ih¬ rem Leben eine scheue Ehrfurcht in ihr erreg¬ te. Es schien ihr eine unabänderliche Noth¬ wendigkeit, nichts von ihrem Abentheuer zu erwähnen. Man war ihre schwärmerische Ernsthaftigkeit, ihren in Fantasieen und tie¬ fes Sinnen verlornen Blick schon zu ge¬ wohnt, um etwas Außerordentliches darin zu
ſtehen. Ein magiſcher Schleyer dehnte ſich in weiten Falten um ihr klares Bewußtſeyn. Es war ihr, als würde ſie ſich, wenn er auf¬ geſchlagen würde, in einer überirdiſchen Welt befinden. Die Erinnerung an die Dichtkunſt, die bisher ihre ganze Seele beſchäftigt hatte, war zu einem fernen Geſange geworden, der ihren ſeltſam lieblichen Traum mit den ehe¬ maligen Zeiten verband. Wie ſie zurück in den Pallaſt kam, erſchrak ſie beynah über ſeine Pracht und ſein buntes Leben, noch mehr aber bey der Bewillkommung ihres Vaters, deſſen Geſicht zum erſtenmale in ih¬ rem Leben eine ſcheue Ehrfurcht in ihr erreg¬ te. Es ſchien ihr eine unabänderliche Noth¬ wendigkeit, nichts von ihrem Abentheuer zu erwähnen. Man war ihre ſchwärmeriſche Ernſthaftigkeit, ihren in Fantaſieen und tie¬ fes Sinnen verlornen Blick ſchon zu ge¬ wohnt, um etwas Außerordentliches darin zu
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ſtehen. Ein magiſcher Schleyer dehnte ſich
in weiten Falten um ihr klares Bewußtſeyn.
Es war ihr, als würde ſie ſich, wenn er auf¬
geſchlagen würde, in einer überirdiſchen Welt
befinden. Die Erinnerung an die Dichtkunſt,
die bisher ihre ganze Seele beſchäftigt hatte,
war zu einem fernen Geſange geworden, der
ihren ſeltſam lieblichen Traum mit den ehe¬
maligen Zeiten verband. Wie ſie zurück in
den Pallaſt kam, erſchrak ſie beynah über
ſeine Pracht und ſein buntes Leben, noch
mehr aber bey der Bewillkommung ihres
Vaters, deſſen Geſicht zum erſtenmale in ih¬
rem Leben eine ſcheue Ehrfurcht in ihr erreg¬
te. Es ſchien ihr eine unabänderliche Noth¬
wendigkeit, nichts von ihrem Abentheuer zu
erwähnen. Man war ihre ſchwärmeriſche
Ernſthaftigkeit, ihren in Fantaſieen und tie¬
fes Sinnen verlornen Blick ſchon zu ge¬
wohnt, um etwas Außerordentliches darin zu
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Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802/81>, abgerufen am 23.11.2024.
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