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Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802.

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Gedichte nicht genau an die Zeit, oder an
die Person jenes bekannten Minnesängers
gebunden hat, obgleich alles an ihn und
sein Zeitalter erinnern soll. Nicht nur für
die Freunde des Verfassers, sondern für
die Kunst selbst, ist es ein unersetzlicher Ver¬
lust, daß er diesen Roman nicht hat beendi¬
gen können, dessen Originalität und große
Absicht sich im zweiten Theile noch mehr als
im ersten würde gezeigt haben. Denn es
war ihm nicht darum zu thun, diese oder
jene Begebenheit darzustellen, eine Seite
der Poesie aufzufassen, und sie durch Figu¬
ren und Geschichten zu erklären, sondern er
wollte, wie auch schon im letzten Kapitel des
ersten Theils bestimmt angedeutet ist, das
eigentliche Wesen der Poesie aussprechen und
ihre innerste Absicht erklären. Darum ver¬
wandelt sich Natur, Historie, der Krieg
und das bürgerliche Leben mit seinen ge¬

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Gedichte nicht genau an die Zeit, oder an
die Perſon jenes bekannten Minneſängers
gebunden hat, obgleich alles an ihn und
ſein Zeitalter erinnern ſoll. Nicht nur für
die Freunde des Verfaſſers, ſondern für
die Kunſt ſelbſt, iſt es ein unerſetzlicher Ver¬
luſt, daß er dieſen Roman nicht hat beendi¬
gen können, deſſen Originalität und große
Abſicht ſich im zweiten Theile noch mehr als
im erſten würde gezeigt haben. Denn es
war ihm nicht darum zu thun, dieſe oder
jene Begebenheit darzuſtellen, eine Seite
der Poeſie aufzufaſſen, und ſie durch Figu¬
ren und Geſchichten zu erklären, ſondern er
wollte, wie auch ſchon im letzten Kapitel des
erſten Theils beſtimmt angedeutet iſt, das
eigentliche Weſen der Poeſie ausſprechen und
ihre innerſte Abſicht erklären. Darum ver¬
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[51/0397] Gedichte nicht genau an die Zeit, oder an die Perſon jenes bekannten Minneſängers gebunden hat, obgleich alles an ihn und ſein Zeitalter erinnern ſoll. Nicht nur für die Freunde des Verfaſſers, ſondern für die Kunſt ſelbſt, iſt es ein unerſetzlicher Ver¬ luſt, daß er dieſen Roman nicht hat beendi¬ gen können, deſſen Originalität und große Abſicht ſich im zweiten Theile noch mehr als im erſten würde gezeigt haben. Denn es war ihm nicht darum zu thun, dieſe oder jene Begebenheit darzuſtellen, eine Seite der Poeſie aufzufaſſen, und ſie durch Figu¬ ren und Geſchichten zu erklären, ſondern er wollte, wie auch ſchon im letzten Kapitel des erſten Theils beſtimmt angedeutet iſt, das eigentliche Weſen der Poeſie ausſprechen und ihre innerſte Abſicht erklären. Darum ver¬ wandelt ſich Natur, Hiſtorie, der Krieg und das bürgerliche Leben mit ſeinen ge¬ D 2

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Zitationshilfe: Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802/397>, abgerufen am 22.11.2024.