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Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802.

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daß Schicksal und Gemüth Nahmen Eines
Begriffes sind.

Auf mich, sagte Sylvester, hat freilich
die lebendige Natur, die regsame Überklei¬
dung der Gegend, immer am meisten ge¬
wirkt. Ich bin nicht müde geworden, be¬
sonders die verschiedene Pflanzennatur auf
das sorgfältigste zu betrachten. Die Ge¬
wächse sind so die unmittelbarste Sprache
des Bodens, jedes neue Blatt, jede sonder¬
bare Blume ist irgend ein Geheimniß, das
sich hervordrängt, und das, weil es sich
vor Liebe und Lust nicht bewegen und nicht
zu Worten kommen kann, eine stumme,
ruhige Pflanze wird. Findet man in der
Einsamkeit eine solche Blume, ist es da
nicht, als wäre alles umher verklärt und
hielten sich die kleinen befiederten Töne am
liebsten in ihrer Nähe auf? Man möchte
für Freuden weinen, und abgesondert von

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daß Schickſal und Gemüth Nahmen Eines
Begriffes ſind.

Auf mich, ſagte Sylveſter, hat freilich
die lebendige Natur, die regſame Überklei¬
dung der Gegend, immer am meiſten ge¬
wirkt. Ich bin nicht müde geworden, be¬
ſonders die verſchiedene Pflanzennatur auf
das ſorgfältigſte zu betrachten. Die Ge¬
wächſe ſind ſo die unmittelbarſte Sprache
des Bodens, jedes neue Blatt, jede ſonder¬
bare Blume iſt irgend ein Geheimniß, das
ſich hervordrängt, und das, weil es ſich
vor Liebe und Luſt nicht bewegen und nicht
zu Worten kommen kann, eine ſtumme,
ruhige Pflanze wird. Findet man in der
Einſamkeit eine ſolche Blume, iſt es da
nicht, als wäre alles umher verklärt und
hielten ſich die kleinen befiederten Töne am
liebſten in ihrer Nähe auf? Man möchte
für Freuden weinen, und abgeſondert von

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[33/0379] daß Schickſal und Gemüth Nahmen Eines Begriffes ſind. Auf mich, ſagte Sylveſter, hat freilich die lebendige Natur, die regſame Überklei¬ dung der Gegend, immer am meiſten ge¬ wirkt. Ich bin nicht müde geworden, be¬ ſonders die verſchiedene Pflanzennatur auf das ſorgfältigſte zu betrachten. Die Ge¬ wächſe ſind ſo die unmittelbarſte Sprache des Bodens, jedes neue Blatt, jede ſonder¬ bare Blume iſt irgend ein Geheimniß, das ſich hervordrängt, und das, weil es ſich vor Liebe und Luſt nicht bewegen und nicht zu Worten kommen kann, eine ſtumme, ruhige Pflanze wird. Findet man in der Einſamkeit eine ſolche Blume, iſt es da nicht, als wäre alles umher verklärt und hielten ſich die kleinen befiederten Töne am liebſten in ihrer Nähe auf? Man möchte für Freuden weinen, und abgeſondert von C

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Zitationshilfe: Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802/379>, abgerufen am 27.05.2024.