mußte die Mutter sterben, damit die Kinder gedeihen können, und bleibt der Vater zu ewigen Thränen allein an ihrem Grabe sitzen?
Sylvester reichte dem schluchzenden Jünglinge die Hand, und stand auf, um ihm ein eben aufgeblühtes Vergißmeinnicht zu hohlen, das er an einen Cypressenzweig band und ihm brachte. Wunderlich rührte der Abendwind die Wipfel der Kiefern, die jenseits der Ruinen standen, ihr dumpfes Brausen tönte herüber. Heinrich verbarg sein Gesicht in Thränen an dem Halse des guten Sylvester, und wie er sich wieder er¬ hob, trat eben der Abendstern in voller Glo¬ rie über den Wald herüber.
Nach einiger Stille fing Sylvester an: Ich möchte euch wohl in Eisenach unter eu¬ ren Gespielen gesehn haben, eure Eltern, die vortreffliche Landgräfin, die biedern
mußte die Mutter ſterben, damit die Kinder gedeihen können, und bleibt der Vater zu ewigen Thränen allein an ihrem Grabe ſitzen?
Sylveſter reichte dem ſchluchzenden Jünglinge die Hand, und ſtand auf, um ihm ein eben aufgeblühtes Vergißmeinnicht zu hohlen, das er an einen Cypreſſenzweig band und ihm brachte. Wunderlich rührte der Abendwind die Wipfel der Kiefern, die jenſeits der Ruinen ſtanden, ihr dumpfes Brauſen tönte herüber. Heinrich verbarg ſein Geſicht in Thränen an dem Halſe des guten Sylveſter, und wie er ſich wieder er¬ hob, trat eben der Abendſtern in voller Glo¬ rie über den Wald herüber.
Nach einiger Stille fing Sylveſter an: Ich möchte euch wohl in Eiſenach unter eu¬ ren Geſpielen geſehn haben, eure Eltern, die vortreffliche Landgräfin, die biedern
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0376"n="30"/>
mußte die Mutter ſterben, damit die Kinder<lb/>
gedeihen können, und bleibt der Vater zu<lb/>
ewigen Thränen allein an ihrem Grabe<lb/>ſitzen?</p><lb/><p>Sylveſter reichte dem ſchluchzenden<lb/>
Jünglinge die Hand, und ſtand auf, um<lb/>
ihm ein eben aufgeblühtes Vergißmeinnicht<lb/>
zu hohlen, das er an einen Cypreſſenzweig<lb/>
band und ihm brachte. Wunderlich rührte<lb/>
der Abendwind die Wipfel der Kiefern, die<lb/>
jenſeits der Ruinen ſtanden, ihr dumpfes<lb/>
Brauſen tönte herüber. Heinrich verbarg<lb/>ſein Geſicht in Thränen an dem Halſe des<lb/>
guten Sylveſter, und wie er ſich wieder er¬<lb/>
hob, trat eben der Abendſtern in voller Glo¬<lb/>
rie über den Wald herüber.</p><lb/><p>Nach einiger Stille fing Sylveſter an:<lb/>
Ich möchte euch wohl in Eiſenach unter eu¬<lb/>
ren Geſpielen geſehn haben, eure Eltern,<lb/>
die vortreffliche Landgräfin, die biedern<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[30/0376]
mußte die Mutter ſterben, damit die Kinder
gedeihen können, und bleibt der Vater zu
ewigen Thränen allein an ihrem Grabe
ſitzen?
Sylveſter reichte dem ſchluchzenden
Jünglinge die Hand, und ſtand auf, um
ihm ein eben aufgeblühtes Vergißmeinnicht
zu hohlen, das er an einen Cypreſſenzweig
band und ihm brachte. Wunderlich rührte
der Abendwind die Wipfel der Kiefern, die
jenſeits der Ruinen ſtanden, ihr dumpfes
Brauſen tönte herüber. Heinrich verbarg
ſein Geſicht in Thränen an dem Halſe des
guten Sylveſter, und wie er ſich wieder er¬
hob, trat eben der Abendſtern in voller Glo¬
rie über den Wald herüber.
Nach einiger Stille fing Sylveſter an:
Ich möchte euch wohl in Eiſenach unter eu¬
ren Geſpielen geſehn haben, eure Eltern,
die vortreffliche Landgräfin, die biedern
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802/376>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.