Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802.

Bild:
<< vorherige Seite

ein jugendliches Gesicht, es war bleich, wie
eine Nachtblume: in Thränen hatte sich der
Balsamsaft des jungen Lebens, in tiefe
Seufzer sein schwellender Hauch verwandelt,
in ein fahles Aschgrau waren alle seine Far¬
ben verschossen.

Seitwärts am Gehänge schien ihm ein
Mönch unter einem allen Eichbaum zu knie¬
en. Sollte das der alte Hofkaplan seyn?
so dachte er bei sich ohne große Verwunde¬
rung. Der Mönch kam ihm größer und
ungestalter vor, je näher er zu ihm trat;
er merkte nun seinen Irrthum, denn es war
ein einzelner Felsen, über den sich der Baum
herbog. Stillgerührt faßte er den Stein in
seine Arme, und drückte ihn lautweinend
an seine Brust. Ach daß doch jezt deine
Reden sich bewährten, und die heilige Mut¬
ter ein Zeichen an mir thäte! Bin ich doch
so ganz elend und verlassen. Wohnt in

ein jugendliches Geſicht, es war bleich, wie
eine Nachtblume: in Thränen hatte ſich der
Balſamſaft des jungen Lebens, in tiefe
Seufzer ſein ſchwellender Hauch verwandelt,
in ein fahles Aſchgrau waren alle ſeine Far¬
ben verſchoſſen.

Seitwärts am Gehänge ſchien ihm ein
Mönch unter einem allen Eichbaum zu knie¬
en. Sollte das der alte Hofkaplan ſeyn?
ſo dachte er bei ſich ohne große Verwunde¬
rung. Der Mönch kam ihm größer und
ungeſtalter vor, je näher er zu ihm trat;
er merkte nun ſeinen Irrthum, denn es war
ein einzelner Felſen, über den ſich der Baum
herbog. Stillgerührt faßte er den Stein in
ſeine Arme, und drückte ihn lautweinend
an ſeine Bruſt. Ach daß doch jezt deine
Reden ſich bewährten, und die heilige Mut¬
ter ein Zeichen an mir thäte! Bin ich doch
ſo ganz elend und verlaſſen. Wohnt in

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0358" n="12"/>
ein jugendliches Ge&#x017F;icht, es war bleich, wie<lb/>
eine Nachtblume: in Thränen hatte &#x017F;ich der<lb/>
Bal&#x017F;am&#x017F;aft des jungen Lebens, in tiefe<lb/>
Seufzer &#x017F;ein &#x017F;chwellender Hauch verwandelt,<lb/>
in ein fahles A&#x017F;chgrau waren alle &#x017F;eine Far¬<lb/>
ben ver&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
              <p>Seitwärts am Gehänge &#x017F;chien ihm ein<lb/>
Mönch unter einem allen Eichbaum zu knie¬<lb/>
en. Sollte das der alte Hofkaplan &#x017F;eyn?<lb/>
&#x017F;o dachte er bei &#x017F;ich ohne große Verwunde¬<lb/>
rung. Der Mönch kam ihm größer und<lb/>
unge&#x017F;talter vor, je näher er zu ihm trat;<lb/>
er merkte nun &#x017F;einen Irrthum, denn es war<lb/>
ein einzelner Fel&#x017F;en, über den &#x017F;ich der Baum<lb/>
herbog. Stillgerührt faßte er den Stein in<lb/>
&#x017F;eine Arme, und drückte ihn lautweinend<lb/>
an &#x017F;eine Bru&#x017F;t. Ach daß doch jezt deine<lb/>
Reden &#x017F;ich bewährten, und die heilige Mut¬<lb/>
ter ein Zeichen an mir thäte! Bin ich doch<lb/>
&#x017F;o ganz elend und verla&#x017F;&#x017F;en. Wohnt in<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[12/0358] ein jugendliches Geſicht, es war bleich, wie eine Nachtblume: in Thränen hatte ſich der Balſamſaft des jungen Lebens, in tiefe Seufzer ſein ſchwellender Hauch verwandelt, in ein fahles Aſchgrau waren alle ſeine Far¬ ben verſchoſſen. Seitwärts am Gehänge ſchien ihm ein Mönch unter einem allen Eichbaum zu knie¬ en. Sollte das der alte Hofkaplan ſeyn? ſo dachte er bei ſich ohne große Verwunde¬ rung. Der Mönch kam ihm größer und ungeſtalter vor, je näher er zu ihm trat; er merkte nun ſeinen Irrthum, denn es war ein einzelner Felſen, über den ſich der Baum herbog. Stillgerührt faßte er den Stein in ſeine Arme, und drückte ihn lautweinend an ſeine Bruſt. Ach daß doch jezt deine Reden ſich bewährten, und die heilige Mut¬ ter ein Zeichen an mir thäte! Bin ich doch ſo ganz elend und verlaſſen. Wohnt in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802/358
Zitationshilfe: Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802/358>, abgerufen am 22.11.2024.