gleicht, so findet man, daß die Gesänge der Dichter nicht selten den Heldenmuth in jugend¬ lichen Herzen erweckt, Heldenthaten aber wohl nie den Geist der Poesie in ein neues Ge¬ müth gerufen haben.
Heinrich war von Natur zum Dichter ge¬ boren. Mannichfaltige Zufälle schienen sich zu seiner Bildung zu vereinigen, und noch hatte nichts seine innere Regsamkeit gestört. Alles was er sah und hörte schien nur neue Riegel in ihm wegzuschieben, und neue Fen¬ ster ihm zu öffnen. Er sah die Welt in ih¬ ren großen und abwechselnden Verhältnissen vor sich liegen. Noch war sie aber stumm, und ihre Seele, das Gespräch, noch nicht erwacht. Schon nahte sich ein Dichter, ein liebliches Mädchen an der Hand, um durch Laute der Muttersprache und durch Berüh¬ rung eines süßen zärtlichen Mundes, die blöden Lippen aufzuschließen, und den einfa¬
gleicht, ſo findet man, daß die Geſänge der Dichter nicht ſelten den Heldenmuth in jugend¬ lichen Herzen erweckt, Heldenthaten aber wohl nie den Geiſt der Poeſie in ein neues Ge¬ müth gerufen haben.
Heinrich war von Natur zum Dichter ge¬ boren. Mannichfaltige Zufälle ſchienen ſich zu ſeiner Bildung zu vereinigen, und noch hatte nichts ſeine innere Regſamkeit geſtört. Alles was er ſah und hörte ſchien nur neue Riegel in ihm wegzuſchieben, und neue Fen¬ ſter ihm zu öffnen. Er ſah die Welt in ih¬ ren großen und abwechſelnden Verhältniſſen vor ſich liegen. Noch war ſie aber ſtumm, und ihre Seele, das Geſpräch, noch nicht erwacht. Schon nahte ſich ein Dichter, ein liebliches Mädchen an der Hand, um durch Laute der Mutterſprache und durch Berüh¬ rung eines ſüßen zärtlichen Mundes, die blöden Lippen aufzuſchließen, und den einfa¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0214"n="206"/>
gleicht, ſo findet man, daß die Geſänge der<lb/>
Dichter nicht ſelten den Heldenmuth in jugend¬<lb/>
lichen Herzen erweckt, Heldenthaten aber wohl<lb/>
nie den Geiſt der Poeſie in ein neues Ge¬<lb/>
müth gerufen haben.</p><lb/><p>Heinrich war von Natur zum Dichter ge¬<lb/>
boren. Mannichfaltige Zufälle ſchienen ſich<lb/>
zu ſeiner Bildung zu vereinigen, und noch<lb/>
hatte nichts ſeine innere Regſamkeit geſtört.<lb/>
Alles was er ſah und hörte ſchien nur neue<lb/>
Riegel in ihm wegzuſchieben, und neue Fen¬<lb/>ſter ihm zu öffnen. Er ſah die Welt in ih¬<lb/>
ren großen und abwechſelnden Verhältniſſen<lb/>
vor ſich liegen. Noch war ſie aber ſtumm,<lb/>
und ihre Seele, das Geſpräch, noch nicht<lb/>
erwacht. Schon nahte ſich ein Dichter, ein<lb/>
liebliches Mädchen an der Hand, um durch<lb/>
Laute der Mutterſprache und durch Berüh¬<lb/>
rung eines ſüßen zärtlichen Mundes, die<lb/>
blöden Lippen aufzuſchließen, und den einfa¬<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[206/0214]
gleicht, ſo findet man, daß die Geſänge der
Dichter nicht ſelten den Heldenmuth in jugend¬
lichen Herzen erweckt, Heldenthaten aber wohl
nie den Geiſt der Poeſie in ein neues Ge¬
müth gerufen haben.
Heinrich war von Natur zum Dichter ge¬
boren. Mannichfaltige Zufälle ſchienen ſich
zu ſeiner Bildung zu vereinigen, und noch
hatte nichts ſeine innere Regſamkeit geſtört.
Alles was er ſah und hörte ſchien nur neue
Riegel in ihm wegzuſchieben, und neue Fen¬
ſter ihm zu öffnen. Er ſah die Welt in ih¬
ren großen und abwechſelnden Verhältniſſen
vor ſich liegen. Noch war ſie aber ſtumm,
und ihre Seele, das Geſpräch, noch nicht
erwacht. Schon nahte ſich ein Dichter, ein
liebliches Mädchen an der Hand, um durch
Laute der Mutterſprache und durch Berüh¬
rung eines ſüßen zärtlichen Mundes, die
blöden Lippen aufzuſchließen, und den einfa¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802/214>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.