Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Talvj, Volkslieder der Serben, 1825

Bild:
<< vorherige Seite
Der Hirsch und die Wila.


Hirschlein weidete im Waldesgrase
Einen Tag nur, weh ward ihm am andern,
Und am dritten stöhnt es Klag' und Seufzer.
Fragt' es da des Waldgebirges Wila:
"Hirschlein, sprach sie, Wild des grünen Bergwalds!
Was für großes Leid hat Dich befallen?
Weidest ja allhier im Waldesgrase
Einen Tag nur, weh wird Dir am andern,
Und am dritten stöhnst Du Klag' und Seufzer?" --
Drauf der Hirsch entgegnete der Wila:
"Liebe Schwester, Wila dieses Bergwalds!
Wohl hat mich gar großes Leid befallen.
Hatt' ich eine gar geliebte Hindin,
In den Wald gieng neulich sie nach Wasser,
Gieng dahin, allein fie kam nicht wieder!
Hat sie irrend wohl den Weg verloren?
Hat der Jägersmann sie eingefangen?
Oder hat sie gänzlich mich verlassen,
Liebt ein andres Hirschlein, treuvergessen?
Ach! wenn irrend sie den Weg verloren:
Gebe Gott, daß sie ihn balde finde!
Ach! hat sie der Jägersmann gefangen:
Der Hirsch und die Wila.


Hirschlein weidete im Waldesgrase
Einen Tag nur, weh ward ihm am andern,
Und am dritten stöhnt es Klag' und Seufzer.
Fragt' es da des Waldgebirges Wila:
„Hirschlein, sprach sie, Wild des grünen Bergwalds!
Was für großes Leid hat Dich befallen?
Weidest ja allhier im Waldesgrase
Einen Tag nur, weh wird Dir am andern,
Und am dritten stöhnst Du Klag' und Seufzer?“ —
Drauf der Hirsch entgegnete der Wila:
„Liebe Schwester, Wila dieses Bergwalds!
Wohl hat mich gar großes Leid befallen.
Hatt' ich eine gar geliebte Hindin,
In den Wald gieng neulich sie nach Wasser,
Gieng dahin, allein fie kam nicht wieder!
Hat sie irrend wohl den Weg verloren?
Hat der Jägersmann sie eingefangen?
Oder hat sie gänzlich mich verlassen,
Liebt ein andres Hirschlein, treuvergessen?
Ach! wenn irrend sie den Weg verloren:
Gebe Gott, daß sie ihn balde finde!
Ach! hat sie der Jägersmann gefangen:
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0078" n="12"/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Der Hirsch und die Wila</hi>.</hi> </hi> </head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <lg type="poem">
            <lg>
              <l><hi rendition="#in">H</hi>irschlein weidete im Waldesgrase</l><lb/>
              <l>Einen Tag nur, weh ward ihm am andern,</l><lb/>
              <l>Und am dritten stöhnt es Klag' und Seufzer.</l><lb/>
              <l>Fragt' es da des Waldgebirges Wila:</l><lb/>
              <l>&#x201E;Hirschlein, sprach sie, Wild des grünen Bergwalds!</l><lb/>
              <l>Was für großes Leid hat Dich befallen?</l><lb/>
              <l>Weidest ja allhier im Waldesgrase</l><lb/>
              <l>Einen Tag nur, weh wird Dir am andern,</l><lb/>
              <l>Und am dritten stöhnst Du Klag' und Seufzer?&#x201C; &#x2014;</l>
            </lg><lb/>
            <lg>
              <l>Drauf der Hirsch entgegnete der Wila:</l><lb/>
              <l>&#x201E;Liebe Schwester, Wila dieses Bergwalds!</l><lb/>
              <l>Wohl hat mich gar großes Leid befallen.</l><lb/>
              <l>Hatt' ich eine gar geliebte Hindin,</l><lb/>
              <l>In den Wald gieng neulich sie nach Wasser,</l><lb/>
              <l>Gieng dahin, allein fie kam nicht wieder!</l><lb/>
              <l>Hat sie irrend wohl den Weg verloren?</l><lb/>
              <l>Hat der Jägersmann sie eingefangen?</l><lb/>
              <l>Oder hat sie gänzlich mich verlassen,</l><lb/>
              <l>Liebt ein andres Hirschlein, treuvergessen?</l><lb/>
              <l>Ach! wenn irrend sie den Weg verloren:</l><lb/>
              <l>Gebe Gott, daß sie ihn balde finde!</l><lb/>
              <l>Ach! hat sie der Jägersmann gefangen:</l>
            </lg><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[12/0078] Der Hirsch und die Wila. Hirschlein weidete im Waldesgrase Einen Tag nur, weh ward ihm am andern, Und am dritten stöhnt es Klag' und Seufzer. Fragt' es da des Waldgebirges Wila: „Hirschlein, sprach sie, Wild des grünen Bergwalds! Was für großes Leid hat Dich befallen? Weidest ja allhier im Waldesgrase Einen Tag nur, weh wird Dir am andern, Und am dritten stöhnst Du Klag' und Seufzer?“ — Drauf der Hirsch entgegnete der Wila: „Liebe Schwester, Wila dieses Bergwalds! Wohl hat mich gar großes Leid befallen. Hatt' ich eine gar geliebte Hindin, In den Wald gieng neulich sie nach Wasser, Gieng dahin, allein fie kam nicht wieder! Hat sie irrend wohl den Weg verloren? Hat der Jägersmann sie eingefangen? Oder hat sie gänzlich mich verlassen, Liebt ein andres Hirschlein, treuvergessen? Ach! wenn irrend sie den Weg verloren: Gebe Gott, daß sie ihn balde finde! Ach! hat sie der Jägersmann gefangen:

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Robert Charlier, AV GWB Berlin: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-05-30T17:55:01Z)

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): keine Angabe; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: keine Angabe; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: keine Angabe;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_volkslieder_1825
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_volkslieder_1825/78
Zitationshilfe: Talvj, Volkslieder der Serben, 1825, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_volkslieder_1825/78>, abgerufen am 29.03.2024.